Gegen die Vergangenheit. Ernst Meder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Meder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844274721
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pflichtete er ihm bei, dieser Träumer, wieso dachte er, ein Jude würde auch nur ein Patent anmelden können. Zu gegebener Zeit würde er ihm dies schon noch begreiflich machen. Er verabschiedete sich mit Heil Hitler, wartete die Antwort nicht ab, sondern wandte sich ab und ging.

      Zurück blieb ein verwirrter jüdischer Chemiker, der die Welt nicht mehr verstand. Sollte dieser Bloch nur scheinbar ein Nazi sein, sein Verhalten nur vortäuschen, vielleicht sollte er ihm in nächster Zeit mehr Aufmerksamkeit schenken.

      Wie konnte er diese Nazis verstehen, wenn sogar die sich eigentümlich verhielten, die er bisher als ausgesprochene Vertreter ihrer Partei sowie ihres Führers gehalten hatte. Er war überzeugt, dass dieses Schreckgespenst früher oder später zu Ende sein würde, ein derart verzerrtes Menschenbild konnten nicht einmal diese Menschen haben.

      Natürlich war er betroffen ja sogar beleidigt, wenn er in Reden und Schriften der Nationalsozialisten mit Ungeziefer, Krankheitskeimen, Bazillen oder Viren gleichgesetzt wurde. Diese Ausdrücke suggerierten insbesondere bei Kleinbürgern und verarmten Angehörigen des Mittelstands die Notwendigkeit der Vernichtung. Aber weshalb, sie hatten doch niemandem etwas getan, hatten keinen verletzt.

      Sei’s drum, er würde das Angebot annehmen, die fehlenden Rohstoffe oder sonstigen Gegenstände, die er für die Forschung benötigte, von diesem Bloch besorgen lassen. Im Übrigen unterschätzte ihn dieser, wenn er glaubte, dass er an seine Forschungsergebnisse kommen würde. Er war nicht so dumm, er würde alle Ergebnisse vorerst verstecken, bis dieser Nazi-Spuk vorbei war, dann würde es wieder möglich sein, dass Juden Patente anmelden konnten.

      3. Kapitel

      Wir trafen uns bewusst zum ersten Mal am zwanzigsten September neunzehnhundertfünfunddreißig in der Synagoge in Berlin in der Levetzowstraße. Die war so groß, dass es Zufall war, dass wir uns überhaupt wahrgenommen haben. Gedankenverloren fuhr sie fort, da waren jeden Freitag fast zweitausend Gläubige, die sich zum Gebet eingefunden haben. Das Datum weiß ich deshalb so genau, weil fünf Tage vorher die Nürnberger Rassengesetze verabschiedet worden waren.

      So wurden die Gesetze zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre damals genannt, darin wurden allen Nicht-Ariern, also uns Juden, die Bürgerrechte entzogen. Von einem Tag auf den anderen waren wir nur noch einfache Staatsangehörige keine Reichsbürger mehr.

      Gab es denn keine Reaktionen oder Proteste aus dem Ausland, kam die Gegenfrage, wenn es denn welche gab, wie war die Reaktion darauf.

      Sie haben alles ignoriert, es ist an ihnen abgeperlt wie Wasser an einer Regenpelerine. Es bewirkte genau das Gegenteil, erneut kam es in ganz Deutschland zu Boykottaufrufen. Sie stellten vor den Eingang jüdischer Geschäfte einen braunen Unformträger, der ein großes Schild in die Höhe hob, darauf stand „Deutsche kauft nicht in jüdischen Geschäften“. Auf Plakaten hatte man uns Juden schon länger als Kakerlaken oder sonstiges Ungeziefer bezeichnet, es waren abartige Darstellungen, die von der Mehrzahl der Deutschen gar nicht mehr wahrgenommen wurde. Nachdem der Protest gegen diese Zerrbilder ausgeblieben war, fühlten sich die Verantwortlichen bestätigt, sie gaben nur die Ansicht der Mehrheit wieder, so ihr Argument.

      Nach dem neuen Gesetz durften Juden und Deutsche nicht mehr heiraten, zudem wurden Unterschiede gemacht zwischen Deutschblütigen, Juden und Mischlingen ersten und zweiten Grades. Danach galten Deutschblütige und Mischlinge als Reichsbürger, für Juden galt das aber nicht. Wegen der Gefährdung der Reinerhaltung des deutschen Volkes waren deshalb Ehen mit uns Juden verboten.

      Die Diskussion über die neuen Gesetze war sehr groß, ein Teil unserer jüdischen Gemeinde glaubte nicht mehr daran, dass sich etwas ändern würde, dass wir Juden wieder als Teil des Deutschen Reiches anerkannt werden. Sie entschlossen sich, ihr Geschäft zu verkaufen, um im Ausland neu anzufangen. Es gab bereits die ersten Warner, die gesagt haben, dass alles noch viel schlimmer werden wird, dass wir besser woanders neu beginnen sollten.

      Ephraim gehörte zu den Menschen, die positiv dachten, die überzeugt waren, dass die Nationalsozialisten nicht weiter die Juden als ihr persönliches Opfer betrachten konnten, dass das Ausland dies nicht zulassen würde. Er glaubte tatsächlich an das Gute im Menschen, er konnte sich nicht vorstellen, dass jemand ihn auch dann mutwillig verletzen würde, obwohl er niemandem ein Leid zugefügt hatte. Er erzählte von seinem Chef, der ihn vor den Nazis in Schutz genommen, seinen Arbeitsplatz gegen den Widerstand der Nazis für ihn bereitgehalten hatte.

      Trotzdem war er, wie ich später feststellen konnte, ein Sicherheitsfanatiker, der sich gegen alles und jeden absichern wollte. Wenn der heute noch leben würde, dann würde er eine Versicherung gegen Zahnausfall abschließen, obwohl er seit Jahren keine Zähne mehr hat.

      An jenem Sabbat sahen wir uns zum ersten Mal, verträumt unterbrach sie ihre Erzählung, dabei lief ihr eine Träne aus ihrem linken Auge, welche sie geistesabwesend abwischte. Sie war in Gedanken zurückgekehrt zu jenem Sabbat, zu diesem Treffen, welches ihr Leben so verändert hatte. An den Tag, an dem sie die Liebe ihres Lebens gefunden hatte. Sie hatte nie wieder geheiratet, obwohl es genug Bewerber gegeben hatte, wie er selbst erlebt hatte.

      Sie nahm ein Taschentuch, wischte erneut über die Augen, um dann mit einem Trompetenton auszuschnauben. Wir haben uns in die Augen gesehen, danach wussten wir beide, dass wir verloren waren, verloren für jeden anderen, keiner wäre in der Lage gewesen, uns voneinander fernzuhalten. Er kam auf mich zu, mit seinen staksigen Bewegungen, wie eine Marionette, die einer, der es gut mit uns meint, an den Schnüren auf mich zu bewegt.

      Umständlich stellte er sich mir vor, ich konnte die Hoffnung in seinen Augen sehen, die sagte, weise mich nicht ab, aber auch die Angst, dass er abgewiesen werden könnte. Ich nahm ihn an der Hand, dann zog ich ihn etwas weg von dem Trubel, den vielen Leuten, die uns beobachteten, dann sagte ich ihm meinen Namen.

      Wir stellten fest, dass wir über fünfundzwanzig Ecken verwandt waren, hatten jedoch noch nie voneinander gehört. Seine Eltern gehörten zu der Gruppe von Juden, die aus Deutschland wegwollten, die in einem anderen Land neu beginnen wollten.

      Wir hatten uns in eine Ecke der Synagoge zurückgezogen, dabei haben wir uns gegenseitig unser bisheriges Leben erzählt, die Zeit voreinander ausgebreitet, die wir ohne den Anderen gelebt hatten.

      Ich erzählte ihm, dass ich eigentlich studieren wollte, aber jetzt keine Möglichkeit mehr sah, meinen Traum, hier in Deutschland zu erfüllen, da uns Juden der Zugang zur Universität verwehrt wurde. Mein Traum war es seit meiner frühesten Jugend einmal Medizin zu studieren. Ich wollte Menschen helfen, wobei ich in meinen Träumen immer Kindern geholfen habe, da in Kinderärztin geworden war.

      Er hat mir erzählt, wie er zur Chemie gefunden hatte, von seinem Studium. Auch von dem Lob, welches er von seinem Professor erhalten hatte, der ihn auch an die Firma, in der er jetzt arbeitete und forschte, vermittelt hatte. Sein Kummer als feststellen musste, dass seine Forschung sich sehr eng an den Produkten orientierte, die von der Firma verkauft wurden. Sie hatten kein Interesse in eine Forschung zu investieren, die ihnen scheinbar keinen Nutzen brachte.

      Um seine eigene Forschung weiter betreiben zu können, hatte er sich ein kleines Labor zu Hause eingerichtet, damit er auch zu Hause forschen konnte. Um die Kosten für sein Labor tragen zu können, hat er sich als Erstes darum gekümmert, dass er nach etwas geforscht hat, was sich schnell verkaufen lässt.

      Aber das hat er mir eigentlich erst später erzählt, vorerst hatten wir mit unserer Lebensgeschichte mehr zu erzählen, als wir Zeit hatten. Mitten in unser Gespräch platzten meine Eltern, die mich schon eine Weile gesucht hatten. Kaum hatten sie mich gefunden, kamen auch schon seine Eltern, die von meinem Vater gerufen worden waren.

      Die Enttäuschung war ihrem Gesicht anzusehen, eigentlich hatten sie sich für ihren Sohn etwas anderes vorgestellt. Eine reiche Kaufmannstochter oder eine reiche was weiß ich, auf alle Fälle jemand mit viel Geld. Nun hatte sich der dumme Junge die Tochter eines Lehrers ausgesucht, die noch weniger Geld als er selbst hatte.

      Viele Einwände von allen Seiten sollten verhindern, dass wir zusammenfinden, sie sprachen von dem Fehler, der Unglück über unser Leben brächte. Allerdings hatten sie nicht für möglich gehalten