Unten stöhnte sie vor überstandener Anstrengung. Was tun mit dem angebrochenen Tag? Zuerst fuhr sie zur Bank. Der Stand ihres Kontos bestürzte sie. Sofort entschied sie, in Zukunft weniger auszugeben, anschließend ging sie in eine Boutique und kaufte etwas Traumhaft-Schönes auf Scheck, erschrak über die unnötige Geldausgabe und beruhigte sich bei einem Eisbecher damit, daß sie schließlich eine Frau sei, daß sie was vom Leben haben wolle, daß sie ja auch arbeite und keinem Rechenschaft schulde.
Nach dem Eis entsann sie sich ihres Jungen, erstand ein Dreirad, und da es spät war, ließ sie sich mit der Taxe zu ihrer Mutter bringen. Bis zum Abend blieb sie dort, spielte mit dem Kind, wusch, fütterte es und brachte es zu Bett. Danach sah sie ihrer Mutter beim Stricken zu und dachte über eine Ausrede nach, wie sie sich vor diesem Abend drücken könne.
«Du siehst müde aus», sagte die Mutter, «leg dich doch hin.»
«Ich habe kaum vier Stunden Schlaf gehabt, lange halte ich das sowieso nicht mehr durch. Heute muß ich noch was tippen.»
Respektvoll nickte die Mutter, man verstand sich gut aufgrund eines Mißverständnisses.
Als Lisa glaubte, ihren Pflichten Genüge getan zu haben, verschwand sie und fuhr nach Hause. Sie legte sich wirklich hin und wartete auf Lab. Gegen zehn stand sie wieder auf und beauftragte sich zu arbeiten. Sie ging systematisch vor, brühte zuerst Kaffee und legte Zigaretten bereit, ohne das hätte sie keine Silbe schreiben können. Sie dachte an ihn und wurde wütend, weil er sich nicht meldete. Zumindest hätte er anrufen können. Dann erschrak sie tief, vielleicht war etwas passiert.
Sie nahm ein paar Tabletten und stellte sich auf den Balkon. So würde sie seinen Wagen sehen können. Es war ja wirklich lächerlich, daß sie sich derart aufregte. Endlich schnarrte das Telefon, sie ließ es erst einige Male klingeln, ehe sie den Hörer abnahm. Sie wollte harmlos fragen, bist du schon zurück?
Es war nicht Lab, sondern Zebosinski.
«Was willst du?», fragte sie eisig. Nicht, daß sie Zebosinski gern verletzte, aber sie war so sicher gewesen, daß Lab endlich anrief, und der Benjamin mußte die Reaktion auf ihre Enttäuschung hinnehmen. Er sagte ihr durch, sie sollten früh bei Holz sein.
«Hör mal», sagte sie, «du spinnst wohl, mich wegen dieser Bagatelle anzurufen, als ob ich nicht sowieso morgen in der Redaktion gewesen wäre. Ich habe auch Nerven, nicht bloß du.»
«Wie», fragte der Benjamin, «ich verstehe dich akustisch nicht.»
«Gott, bist du ein Kamel», sagte sie versöhnt. Dann war sie restlos alle.
Ich bin krank, sagte sie sich; sicher, das ist ja nicht normal, aber wer ist heutzutage schon normal? Sie rauchte und trank den Rest Kaffee, dann suchte sie sich bei den sicheren Bildern der vergangenen Tage zu beruhigen. Der alte Herr neulich in Mahlsdorf, eigentlich könnte Lab dieses Haus ausbauen, sie beide könnten dort einziehen. Großer Mist, Lab kam, schlief mit ihr, ging wieder seiner Wege. Es hätte ja auch ein anderer sein können. Wer nimmt schon eine mit Kind? Der Herr Stadtarchitekt doch wohl nicht.
In Selbstmitleid kamen ihr die Tränen, ein Glück, daß sie allein war, dieses Flennen tat ihr wohl. Völlig zerschlagen war sie jetzt. Im Bad stellte sie sich unter die heiße Dusche, beschäftigte sich mit ihrem Körper; aus der Arbeit, die sie vorgehabt hatte, wurde nichts mehr. Das Vernünftigste wäre gewesen, jetzt zu Bett zu gehen, aber körperlich war sie eben nicht müde, nur erschöpft, schwer auszudrücken.
Auf dem Balkon ließ sie sich von der milden Nachtluft erfrischen. Fast hinter allen Fenstern waren die Lichter schon aus, Ruhe in der Stadt, und da kam auch ein Auto gefahren. Sie brauchte sich gar nicht anzustrengen, auch so wußte sie, daß Lab jetzt kam. Sie beobachtete, wie er das Auto abstellte, die Tür verschloß, einen Moment lang vor der Haustür stand; sie sagte sich, daß alle Aufregung wieder mal für die Katz gewesen ist.
Später sagte Lab, er sei den Tag über im Kraftwerk gewesen, also auf der Baustelle bei Koblenz. Zurück habe ihn eine Umleitung aufgehalten. Mit Architektur habe das da draußen allerdings nicht das Mindeste zu tun. Ein Bauingenieur, Betonfachmann wäre da am rechten Platz. Eher würde sich noch jemand zurechtfinden, der was von Ökonomie verstünde und von Statik.
«Willst du alles wieder rückgängig machen?» Lisa ärgerte sich, daß er sie nicht fragte, daß er sie in seine Entscheidungen nicht einbezog.
«Ich mach es doch.» Lab lächelte. «Was kann mir schon passieren?»
Er kramte in ihrem Plattenstapel, legte etwas auf, und sie sah ihm zu. Er benahm sich, als wäre er hier zu Hause, plötzlich war er ihr fremd.
«Du machst mich fertig», sagte sie.
«Ach, hör schon auf», er setzte sich zu ihr, legte den Arm um ihre Schultern, und sie lehnte sich an ihn. Wie sollte das nun werden, wenn er wirklich auf diesen Bau ging? Würde er dann alle paar Wochen mal herkommen?
«Das ist dort ein verrückter Laden», fuhr Lab fort, «ein Heerlager. Was soll ich dir sagen?»
Es interessierte sie wenig, was da draußen geschah, oder, zu anderer Zeit hätte es sie schon interessiert, aber nicht nach diesem Tag des Nichtstuns, der Fehlspannungen. Ihr Instinkt suchte herauszufühlen, was Lab empfand, was er dachte. Ein Architekt arbeitete doch sonst in einem ruhigen Zimmer, schuf Zeichnungen und Entwürfe, bastelte Modelle zusammen, so was sah man dann auf den Ausstellungen, aber Lab wartete wohl immer noch auf das Wunder. Vielleicht dachte er, man würde ihm eine große Aufgabe übertragen, seinem Ehrgeiz angemessen, aber warum Ehrgeiz?' Wozu? Ging es um Geld, Ansehen, Aufträge, ein Egoist also?
«Hast du dich nun endgültig entschieden?» Sie wartete mit Spannung auf die Antwort, sie würde heute entschlossen weiterfragen. Warum hatte sie nicht den Mut zu fragen, wie soll das mit uns weitergehen? Keine Antwort, sie hatte den Mut eben nicht.
«Nein», Lab zündete zwei Zigaretten an und gab ihr eine, «Schelsky hat ganz recht, erstens habe ich keine Erfahrung im Kraftwerkbau, zweitens bin ich kein Bauingenieur, drittens ist Koblenz wie ein Zeitzünder. Er hat einen jungen Mann draußen, den soll ich ersetzen. Ohne Probezeit läßt sich gar nichts sagen.» Eine Weile schwieg er, dann sagte er: «Im Grunde bin ich ein unbeschriebenes Blatt, Lisa. Deshalb bin ich auch für alle annehmbar, verstehst du? Pilgramer? Was hat der denn schon gebaut? Ich warte auf die große Sache, und sie kommt, sie muß kommen.»
Plötzlich entdeckte Lisa an Lab eine starke, abstoßende Ähnlichkeit mit dem Greis.
«Gerade habe ich entdeckt», sagte Lab, «daß ich bisher aber auch rein gar nichts gemacht habe.» Er lachte. «Ich bin sozusagen noch ungeformt.»
«Du bist», sagte sie trocken, «nichts weiter als verwöhnt. Immer ist dir alles leicht gemacht worden, die kleinlichen Sorgen der übrigen Leute hast du nie kennengelernt.»
«Kann schon sein», räumte er ein, «ich habe erst jetzt festgestellt, wie viel Vergangenheit man mit sich herumschleppt. Ich muß das wirklich mal loswerden, aber wie? Ganz recht, ich könnte weiter so leben, es fehlt mir an nichts. Ich könnte mal hier, mal da was bauen. Ich fühle mich wohl. Wie der Esel, der aufs Eis geht. Andererseits, ich stehe doch ewig im Schatten anderer. So muß ich allmählich vertrotteln, ein Greis von vierzig Jahren, also lieber aufs Eis»
Lisa dachte, diese neue Ungewißheit hätte er uns ersparen können. Sie wollte Lab hinauswerfen, sich ein für alle Mal von ihm trennen, aber sofort überflutete sie Panik. Bloß keinen Bruch. Lab würde wahrscheinlich mit ein paar freundlich bedauernden Worten gehen, ein Selbstverwirklicher.
«Reden wir lieber von was anderem», sagte sie.
4
Für Lisa verband sich mit Theerberg die Vorstellung des Zusammenbruchs ihrer Beziehung zu Georg Pilgramer, einer Beziehung, die im Grunde genommen auf schwachen Füßen stand. In der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft hatte es zwar nicht an Beteuerungen gefehlt, einander zu lieben und zu helfen, aber vorerst war es bei der Liebe geblieben, die einem Strohfeuer