«Die haben da allerhand Schwierigkeiten mit dem Anfang», sagt Schelsky, von dem Sekt trinkend, «man muß wahrhaftig ein Koblenz sein, um sich auf solch eine Geschichte einzulassen.»
«Ich habe mich darauf eingelassen. Sobald ich hier weg kann, gehe ich nach Theerberg.»
Nun schaltet sich der alte Herr wieder ein. Er habe sich, sagt er, damals mit Industriebau einen Namen gemacht. Straßburger, der hatte alle Verbindungen, und er, Pilgramer, stieg da ein. Ob sie sich der alten Bahnhöfe erinnern? In Stahlbau habe damals niemand solide Kenntnisse besessen. Beiläufig, er, Pilgramer, auch nicht, aber Hubalek sei ein exzellenter Statiker gewesen. Den hätte er damals gebraucht. Leider wäre er erst nach dem Krieg zu ihm gestoßen. Sie hätten ein ausgezeichnetes Gespann abgegeben, selbst in den schlimmen Zeiten hätten sie noch Auslandsaufträge bekommen.
Was er redet, wird noch angehört, aber es erreicht die Jungen nicht mehr, sie sind mit der Gegenwart beschäftigt.
«Aber doch nicht für immer», sagt Lisa, «du gehst doch nicht für immer weg?»
Dann fällt das Stichwort Semperoper, das ist auch ein Hin und Her, zwar soll die Oper wiederaufgebaut werden, aber niemand weiß, wann und wie, ein Jahr, zwei Jahre. Lab kann nicht in den Wartestand versetzt werden, Lab will etwas.
Immer das alte Lied, sagt sich der alte Herr grimmig, immer will man was, nie weiß man, wohin mit der Kraft, und stets sind die anderen die Trottel, die Stümper, das wird wohl auf der Welt so bleiben. Die Welt, er lächelt verächtlich.
«Du hast doch nicht die mindeste Ahnung von Industriebau», sagt Schelsky, «ich gehe bestimmt im nächsten Jahr in das Institut, überleg doch mal, was du dir auflädst. Mit Koblenz zu arbeiten ist kein Spaß.»
Sie reden eine ganze Weile, bis sie merken, daß der alte Herr, um dessentwillen sie eigentlich hier sind, dem Gespräch nicht folgt.
«Entschuldige», sagt Lab, «heute bist du die Hauptperson.»
Mit einem Blick zur Decke bemerkt Schelsky, das Haus vertrage eine Reparatur. Es sei hohe Zeit.
«Finden Sie, daß es so wichtig ist, diese Villa der Nachwelt zu erhalten?» Pilgramer legt die Zigarre aus der Hand, er muß vorsichtig sein mit dem Rauchen, sein Herz, sein Kreislauf vertragen das Rauchen nicht mehr. Freilich, er war nie ein Kettenraucher, aber das Alter verlangt eben noch mehr Einschränkung. «Ich werde ja nicht ewig leben», sagt er, zu Schelsky gewandt, «nach meinem Tode kann Lab machen, was er will. Jetzt bleibt alles beim Alten.» Er wirft einen raschen Blick auf Lab, der kennt diese Tirade vom Sterben, und ernsthaft hat der Greis auch nie daran gedacht zu sterben. Er fühlt sich noch ganz wohl, kein Wunder, seit vierzig Jahren arbeitet er nicht mehr, hat sich nur um sich gekümmert. Das konserviert.
Aber der Enkel ist gut erzogen, er sagt gar nichts, zeigt auch im Mienenspiel nicht, was er denkt. Nur Lisa wehrt erschrocken oder scheinbar erschrocken ab. Pilgramer lacht, er hat erreicht, was er wollte, er ist wieder der Mittelpunkt der Runde geworden. Kindisch ist das, natürlich, aber ein wärmendes Gefühl ist es auch.
Sie sitzen eine Weile, das Schweigen ist aber nicht peinlich, im Gegenteil, es ist angenehm. Dann sagt Schelsky, er als der älteste noch tätige Architekt unter ihnen wünsche jetzt einen Toast auf den alten Herrn Pilgramer auszubringen. Man habe es hier vielleicht mit einem der seltenen Schicksale zu tun, wo ein Baumeister unerhört erfolgreich gewesen ist. Würden seine Bauwerke noch stehen, müßten sie einen Stadtteil ausmachen, und es sei wohl auch nicht übertrieben, wenn man konstatiere, daß Herr Pilgramer dem Baugeschehen mächtige Impulse gegeben habe, in technologischer Hinsicht, in organisatorischer Hinsicht.
Der alte Herr schließt die Augen. Schelsky soll sich ruhig ausquatschen, es war so, wie es heute ist, und ebenso wie heute entstanden auch damals Legenden. Alles wird vom Zufall dirigiert.
«Und», fährt Schelsky fort, «seltener Fall deswegen, weil der Baumeister sein Werk nicht nur überlebte, sondern umgekehrt, das Werk sank in Trümmer, der Schöpfer lebt, einsam steht er da.»
«Ein Denkmal», sagt der Greis sarkastisch, «bin Ihnen sehr verbunden.» Aber er sagt sich, das Merkwürdige ist, daß man längst vergessen wäre, hätten sich nicht der Enkel und ein paar Bekannte aufgemacht, ihn als einen Helden zu feiern, den berühmten Mann aus alten Tagen. Gelobt wird viel, gelobt werden alle Versuche, idiotische Lösungen zu finden, Hausmaschinen, die Albträume sind, modern aufzuputzen, was noch an Stuck vorhanden, wie alte Weiber, die noch auf den Strich müssen. Er hat sich wohl gehütet, in der Nazizeit zu bauen, es wäre schon möglich gewesen; er, der erklärte Bauhausgegner, der Gegner jeden Bruchs mit Traditionen, hätte sich leicht zu neuen Ehren aufschwingen können, aber wozu?
Lab sagt einfach: «Ich habe dich immer bewundert und nie ganz verstanden, aber du warst für mich doch der große alte Mann. Ich habe auch in deinen Akten geblättert, in den Bildern und Erinnerungen, klüger bin ich nicht geworden. Ein Architekt? Was ist ein Architekt?»
Der Greis trinkt gelassen das Glas leer, ehe er antwortet.
«Jedenfalls etwas anderes als einer, der Häuser baut. Und mir scheint der Irrtum, man müsse Spektakel machen, um etwas zu sein, unausrottbar. Es geht uns wie allen anderen auch, was wir wollen, erreichen wir nie.»
Lisa steht auf, will etwas sagen, der alte Herr legt mit einer komischen Gebärde die Hände an beide Ohren, er will nichts mehr hören, heißt das. Sie zuckt die Schultern, beugt sich hinunter und küßt ihn auf die Stirn.
Mit diesem Flittchen hat sich der Junge ganz gut versorgt, denkt der alte Herr. Dann bittet er, nach Hause gebracht zu werden, er sei müde. Und Schelsky erbietet sich, ihn wieder mitzunehmen. Keine Spur ist der Greis müde, aber er hat den Höhepunkt hinter sich. Jetzt käme nur noch Geschwätz.
2
Während der Rückfahrt sagt Pilgramer: «Ach, Schelsky, rasen Sie doch nicht so.»
«Ich muß leider mitrollen», antwortet Schelsky, «tut mir leid.»
Sie fahren stadteinwärts, dicht ist der Verkehr nicht zu dieser Tagesstunde. Hier stand einmal das Haus Pilgramers, hier wohnte er mit seiner Familie, mit Frau, Sohn und Schwester, im ersten Stock, acht Zimmer, Kammer, zwei Küchen, Abstellräume, Dielen und Korridore. Hinter dem Vorderhaus zogen sich sechs Höfe hin, im letzten Hof befand sich eine Galvanisierungsanstalt, deren mächtiger Exhaustor einen ziemlichen Lärm machte, der freilich vorn nicht mehr gehört wurde. Die Wohnungen in den Gartenhäusern und Seitenflügeln waren klein, Ein- und Zweizimmerwohnungen mit Küchen und Gemeinschaftsabort.
Pilgramer rechnet nach, vierhundert oder etwas mehr Menschen lebten in seinen Häusern zur Miete, zusammengepfercht auf engem Raum, ein ganzes Dorf, sozusagen übereinandergestellt. Der Architekt bestimmte die neuen Lebensweisen dieser Leute, bestimmte deren Ökonomie ähnlich dem ehemaligen Grundherrn. Eine auf den ersten Blick verwickelte Sache, in Wirklichkeit höchst einfach, aus Landarbeitern waren städtische Proletarier geworden. Die neuen Verhältnisse schufen den bürgerlichen Architekten.
Zurück in diese alte Zeit: Pilgramer betritt das Treppenhaus, gelbe Messingstangen halten rote Kokosläufer, in der Mitte ein Aufzugsschacht. Pilgramer holt sich den Fahrstuhl heran, steigt ein, fährt nach oben, wieder herunter, steigt aus und betritt seine Wohnung, noch leer, geht durch die Stuben. Hier sind die Tapezierer eben raus, das Parkett muß noch abgezogen und versiegelt werden. Die Decken stuckverziert, helle Papiertapeten an den Wänden. In wenigen Tagen sollen die Möbel angeliefert werden. Er geht hinüber in seine Arbeitswohnung, die schon fertig eingerichtet ist. Ein großes Zimmer, zwei Zeichentische, in den nächsten Tagen wird er hier seine Papiere, Pläne, Bauunterlagen einordnen. Ein anderes Zimmer soll ihm als Büro dienen, ein mächtiger Schreibtisch mit geschnitzten Seitenteilen, ein dazugehöriger Schrank, ein kleiner, in die Wand eingelassener Safe, bis zur Decke