«Komm schon», sagte sie, «mach mich nicht verrückt.»
Aber es kam auch der Augenblick der Ruhe, des Beieinanderliegens, und er fragte: «Hast du die Pille tatsächlich abgesetzt?»
«Wäre es dir lieber, ich würde sie absetzen?»
«Das ist deine Sache, aber nett wäre es, du würdest vorher mit mir darüber reden.»
Dieses Gerede war noch freundlich, aber es blieb ein Stachel zurück.
«Mußt du unbedingt nach Theerberg?»
«Ich glaube schon», sagte er, «ich werde alt. Wenn ich nicht endlich anfange, dann gehe ich in Rente, ohne was getan zu haben. Ich bin doch schließlich Architekt. Für einen Künstler ist ohne Resultat zu leben sehr schlimm. Verstehst du das?»
«Und was wird aus mir?»
«Wird sich alles finden.»
Diese beiden Menschen hatten das Pech, einander zu begegnen.
5
Ihrem Kind hatte Lisa den Namen Olivier gegeben, einen Namen, den nur einer von zehn Menschen in Berlin richtig, aussprach. Selbst Lisa ging bei Gelegenheit zu Oliver über, ließ also das i weg, ihre Mutter hatte von Anfang an das Kürzel Oli vorgezogen. Obwohl der kleine Junge von zwei Frauen erzogen wurde, die meinten, es sei eine Niederlage an dem Kind gutzumachen, was besonderer Umsicht und Sorgfalt bedurfte, war Olivier schüchtern.
Lisa versuchte ihn in einen Kindergarten zu bekommen, bisher waren alle Versuche mißlungen, und so wie Lisa mit Behörden umging, falls es ihre eigenen Angelegenheiten betraf, hätte sie hundert Jahre auf einen Platz warten müssen.
Allerdings hing ihre Mutter sehr an dem Enkel, von daher spürte Lisa auch keinen Druck. Manchmal gestand sie sich die Hoffnung ein, zu heiraten und damit ihr Lebensproblem zu lösen. Gleichzeitig empörte sie sich gegen diese Hoffnung, die ja bedeutete, sie wäre auf einen Mann angewiesen, hätte sich zu unterwerfen. Zu ihrer Mutter sagte sie: «Alles Unsinn mit der Gleichberechtigung. Eigentlich müßte doch mal einer dieser wütenden weiblichen Gleichheitsapostel auf die Idee kommen, daß auch eine Frau einem Mann einen Antrag machen kann, stimmt' s?»
Die Mutter, die vor solchen Einfällen zurückschreckte, riet lebensklug: «Mach das bloß nicht. Jeder würde dich für ein Flittchen halten.»
«Na, siehste, isses nich so?»
Zu ihrem Kind hatte Lisa kein reines Verhältnis. Der Junge erinnerte sie zu oft und zu intensiv an eine böse Zeit in ihrem Leben. Heute sagte sie sich, sie sei damals noch ungeheuer dumm gewesen, in jedem Punkt, und mit dieser faulen Ausrede deckte sie den tatsächlichen Grund ab. Das verwöhnte Einzelkind, das nie gelernt hatte, in größeren Gemeinschaften zu leben, für das immer der Vater entschieden hatte, so viel und so oft, daß 'er zu einem Idol geworden war, stellte einen Liebesanspruch, der von keinem Mann zu erfüllen gewesen wäre.
Der Mutter gegenüber drückte es Lisa einfach aus: «Du hattest mit Vater ein mächtiges Glück, oder kannst du dich erinnern, daß mal was nicht gelaufen wäre?»
Ihr Überschuß an Vertrauen damals stellte nur die Kehrseite der Medaille dar.
«Harry war einfach ein Schweinehund, Mutter. Ich glaube, der konnte gar nicht anders. Wenn er den Mund aufmachte, schwindelte er, wenn er ihn zumachte, hatte er geschwindelt.»
«Und warum hast du das nicht beizeiten gemerkt? Wir haben dich zur Schule gehen lassen, studieren lassen.»
Nicht zu Unrecht entgegnete Lisa: «Als ob man so was auf Schulen lernt. Als Scheuerfrau, ach nee, Raumpflegerin hätte ich wahrscheinlich eher leben gelernt.» Sie besaß ein gutes Gefühl für die Heuchelei, die in der Begriffsklitterung Raumpflegerin lag.
Der Vater Oliviers kümmerte sich nicht um das Kind, zahlte manchmal, unterließ es häufig. Lisa hatte nicht die Kraft, vor Gericht ihren Anspruch durchzusetzen.
«Na und? Ich komm auch so durch.»
Sie kam auch so durch, ohne Zweifel, aber sie wußte auch, daß sie sich nur vor einer harten Entscheidung drückte. Einmal war sie der Unterhaltszahlungen wegen zum Justiziar des Hauses gegangen, einer älteren und würdigen Juristin, die den Verlag vertrat. Vertraulich hatte diese geraten: «Weißt du, Lisa, Harry ist doch freischaffend. Wir können es natürlich versuchen, aber viel Hoffnung mach ich dir nicht. Gehalt können wir nicht pfänden lassen. Sachen hatte er auch früher nicht, jetzt wird er sich hüten, pfändbare anzuschaffen. Erfahrungsgemäß ist es sehr schwer, von solchen Männern auch nur einen Pfennig zu kriegen. Und dann denk mal, wie das auf sein Verhältnis zu dem Kind zurückwirkt. Er ist ja schließlich der Vater.»
«Und so was nennt ihr Recht?»
«Natürlich hast du ein Recht auf Unterhalt, es fragt sich nur, inwieweit das Gesetz anwendbar ist. Soll ich die Klage einleiten? Hast du daran gedacht, daß es blitzschnell im Hause rum ist, wenn du vor Gericht gehst. Dafür wird Harry sorgen,»
Lisa, nach kurzem Nachdenken: «Laß es, bettel ich also weiter. Es geht mir nicht um die achtzig Mark, es geht mir um die damit verbundene Demütigung, zu erbetteln, was mir eigentlich zusteht.»
Und zur Mutter: «Ich werde ihm Olivier vor die Tür stellen, Mutter. Wieso denn eigentlich immer die Frau, wieso denn? Weil sie die Mutter ist? Unsere Oberdurchgucker halten Muttergefühle doch für Biologismus.»
«Wofür halten sie es?»
«Ach, schon gut.»
Widersprechenderweise war es ihr doch nicht recht, daß Georg Pilgramer zu dem Jungen ein Verhältnis hatte, freilich ohne den Zwang der Verpflichtung. Der Abstand an Jahren war für beide günstig, der Knirps in jenem Alter, wo alles schon funktioniert, wo Sprache und Mimik erlauben, sich verständlich zu machen. Georg begann das Kind zu entdecken, der schönsten Entdeckung nächst der der Liebe. Lisa beobachtete diese Entwicklung mit Eifersucht.
«Ich habe doch nichts dagegen, Mutter, bloß, er verzieht ihn. Wir müssen dann sehen, wie wir mit Olivier fertig werden.»
«Aber Lisa, wenn ihr wirklich mal heiratet, dann ist es doch richtig, daß er sich mit Oli befreundet. Was weiß denn ein Kind vom Vater? Jede beliebige Person kann doch zum Vater werden.»
Herabgestimmt murrte Lisa: «Selber keine Kinder haben wollen.»
Kurz bevor Pilgramer nach Theerberg ging, kam er mit dem Vorschlag, vierzehn Tage Urlaub zu machen. Für diesen Einfall war Lisa ihm dankbar, redete ihm aber aus, den Jungen mitzunehmen. Ehrlich bekannte sie: «Ich habe seit ein paar Jahren keinen richtigen Urlaub mehr machen können, immer mit Mutter und dem Kleinen am Halse. Wennschon, dennschon.»
In den Tagen der Reisevorbereitung verwandelte sie sich von einer nörgelnden, unter nervösen Störungen leidenden Berufstätigen in eine freundliche und großzügige Frau. Sogar unlustig begonnene Arbeit ging ihr plötzlich leicht von der Hand. Dank der Vorfreude holte sie spielend aus dem Tag heraus, was drinsteckte, hielt ich ordentlich in der Redaktion auf, tat sorgfältig, was ihr übertragen und lehnte Mehrarbeit ab. Zu Hause wusch und bügelte sie, packte aus, packte ein, konnte auf ihre gewohnten Tabletten verzichten, schlief tief, mit dem Resultat, erholt aufzustehen.
Das fiel natürlich auf. Pilgramer fragte: «Sag mal, Schatz, hast du irgendwas geerbt? Wirst du Chefredakteur?»
«Ich freu mich ganz einfach. Das ist es! Wir sind mit unserer idiotischen Sucht, alles zu perfektionieren, so weit, daß wir ohne Freude leben.»
«Was heißt wir? Doch nicht alle Leute. Such dir eine andere Arbeit, eine, die dir besser liegt.»
Er nahm sie in die Arme; sie sagte, sich auf Zehenspitzen stellend: «Laß dir die Beine kürzen.»
Ihrer