Der Bund der Katzenfrauen. D. Bess Unger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: D. Bess Unger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844272857
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      Sie fasste nach Innocents Hand. »Dein Kind war geheilt, wieso war dein Herz gespalten?«, fragte sie vorsichtig.

      »Nomvolo, der Herr des Regenbogens, ist bekannt dafür, dass er sich für Dienste königlich bezahlen ließ. An Gold und weißen Rindern war er nicht interessiert, mehr an Menschen. Als ich sah, wie kräftig er uThembanis dünnes Handgelenk umfasst hielt, wusste ich Bescheid.«

      »Er hat doch nicht etwa dein Kind von dir gefordert!«, entsetzte sich Lena.

      »Genau das, Lena. Als Lohn für seine Dienste nahm er meine Tochter mit sich ins Tal der Schamanen. Erst nach zehn Jahren durfte sie zu uns zurückkommen. Vor einem Jahr habe ich meine Tochter zum ersten Mal wiedergesehen. Sie war Sangoma und Inyanga geworden.« Seine Hände umklammerten das Lenkrad, schweigend mit zusammengebissenen Lippen raste er über die verkehrsarme Straße.

      Lenas vager Verdacht verstärkte sich zur Gewissheit: Nomvolo wird zu einem todkranken Kind gerufen, er schickt alle vor die Hütte, nach einiger Zeit kommt er mit einem geheilten Kind heraus. Dieser Nomvolo musste ohne Zweifel ein herausragender Magier sein. Warum nur war er so interessiert an dem Mädchen gewesen? Natürlich, das lag auf der Hand, das Mädchen war eine Sternenstaubträgerin! Er hatte die magischen Möglichkeiten, die in dem Mädchen steckten, erkannt, sie mitgenommen und in den zehn Jahren zu einer ihm ergebenen Magierin ausgebildet. Doch zu welcher? Einer Schwarzen oder einer Weißen? Sie musste es herausbekommen, und zwar bevor ihr uThembani über den Weg lief.

      Innocents Gesicht hatte sich entspannt, seine Hände umfassten das Lenkrad unverkrampft. »Meine Tochter kümmert sich um Arme, Schwache und Kranke«, fuhr er fort, »Dabei hätte sie lukrativere Chancen. Hohe Politiker aus der Hauptstadt Tshwane, sogar der König der Zulus will sie als Beraterin.«

      »Was, ihr habt einen König?«, entfuhr es Lena überrascht. »Das Erste, was ich höre!«

      »Wir Zulus haben Häuptlinge«, er klopfte sich selbstbewusst auf die Brust, »und wir haben einen König. Er heißt Goodwill Zwelethini und herrscht über acht Millionen Menschen.«

      Lena war nicht an dem König interessiert, uThembanis Person war von grundsätzlicherer Bedeutung. »Du sagtest, etwas an mir würde dich an deine Tochter erinnern«, unterbrach sie Innocent, der zu einem Monolog über den Zulu-König ansetzen wollte. »Was genau ist es?«

      Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Na ja, die Hautfarbe nicht«, scherzte er. »Davon abgesehen? Figur, Körpergröße, Alter, alles wie bei meiner uThembani.« Er zog die Stirn in Falten. »Doch das ist es nicht. Ihr beide habt eine Winzigkeit gemeinsam ...« In dem schwarzen Gesicht rollten die weißen Augäpfel, Schweißtropfen perlten auf der Stirn, trotz aller Anstrengung, ihm fiel nichts ein. Stumm fuhren sie Kilometer auf Kilometer dahin. Straßenschilder wiesen auf Numbi, Phabeni und Paul Kruger Gate hin, den südwestlichen Eintrittspforten in den Nationalpark.

      »Na, was ist es?«, drängte Lena. Sie mühte sich, ihm auf die Sprünge zu helfen. »Augenfarbe, Frisur, Nase?« Sie griff an ihre Nase, die ihr als Teenager durch ihre Länge viel Kummer gemacht hatte und rieb ihre Finger die Nasenflügel entlang.

      »Nein, nein«, wehrte er ab, »Mit dem Aussehen hat das nichts zu tun. Es ist vertrackter, liegt in eurem Inneren verborgen. Ich fühle, dass du eine Spur in dir trägst, die dich mit meiner Tochter verbindet.« Er wischte sich über die Stirn. »Lassen wir das«, beendete er das Thema. »Wenn mir die passenden Worte einfallen, wirst du es erfahren.«

      ›Oha‹, dachte Lena, ›ahnt Innocent, dass ich Sternenstaubträger bin? Nein, das ist unmöglich, er muss anderes im Sinn haben. Aber was? Hat es mit meiner entfernten Abstammung als Navaho zu tun? Trage ich aus genau dem Grund die magische Energie in mir? Sind Naturvölker hierfür empfänglicher?‹

      3. Eine rätselhafte Botschaft

      Durch die Gassen des griechischen Bergdorfs Zagora, das sich oben im Pilion an die Gebirgshänge anschmiegt, krochen dumpfige Nebelschwaden.

      Kalja erwachte und fühlte, dass ihr Bettlaken von kaltem Schweiß nass war. ›Schon wieder, was ist das nur‹, dachte sie erschrocken und erhob sich. ›Irgendetwas brüte ich aus, möglicherweise eine Grippe, Vater muss mir Tabletten geben.‹ Sie zog das Laken ab, streifte das ebenfalls feuchte Nachthemd über ihren Kopf, packte das Bündel zusammen, lief nach unten ins Bad und stopfte alles in die Waschmaschine.

      Sie stellte sich unter die Dusche und drehte das warme Wasser auf. Beim Einseifen strich sie sich mit den Händen über ihren schlanken Körper und dachte an Titos, ihren Freund. Sie blickte an sich herunter. ›Glücklicherweise mag er schlanke Frauen‹, überlegte sie, ›Aber bin ich nicht ein bisschen zu mager?‹ Es kam ihr vor, als hätte sie abgenommen. Sie erfühlte die Rippen unter ihrer Brust, betrachtete ihren flachen Bauch, die schlanken Beine. ›Am besten, ich frag ihn bei Gelegenheit‹, nahm sie sich vor, ›Notfalls muss ich mehr essen‹. Seit Tagen hatte sie keinen Appetit mehr. ›Hängt mit der Grippe zusammen. Hat man da nicht Fieber?‹ Sie fühlte ihre Stirn, heiß kam sie ihr nicht vor. ›Vielleicht bemerkt man das selbst nicht.‹ Als sie ihre Zähne putzte, schmerzte ihr Zahnfleisch.

      In der Küche sah Kalja gerührt, dass ihr Bruder für sie Frühstück gemacht hatte. Sie setzte sich an den Tisch, trank gehorsam den Orangensaft und kaute lustlos auf einem Brötchen mit Aprikosenmarmelade herum. ›Wie schön wäre es, wenn Lena bei mir am Tisch säße‹, dachte sie und betrachtete missmutig die Regentropfen, die an die Fensterscheibe trommelten. Sie stützte den Kopf in die Hände und weinte ein bisschen. »Hab dich nicht so«, schalt sie sich. »Lena ist erst seit zwei Tagen weg und du heulst jetzt schon herum. Gönne ihr die Sonne Afrikas, in vier Wochen ist sie wieder da.« Sie wischte die Tränen ab. ›Dass ich solo hier sitze, ist nebenbei bemerkt, ausschließlich meine Schuld! Lena wollte mit aller Gewalt, dass ich mitkomme, aber wie hätte ich Titos jetzt, da seine Mutter im Krankenhaus liegt, verlassen können?‹

      Das war freilich nicht der einzige Grund gewesen, sie wusste es. Seit Wochen fühlte sie sich schon derart matt und antriebslos, dass sie Mühe hatte, es zu verbergen. Aber daran hatte sie Übung. Siebzehn Jahre hatte sie die gutaufgelegte Kalja gemimt, die ihre Behinderung perfekt wegzustecken wusste. Wer ahnte schon, wie sich das anfühlt, abgeschottet von allen Geräuschen der Welt zu leben? Zuzusehen, mit welcher Selbstverständlichkeit Menschen miteinander sprechen, singen und lachen? Sie war ohne Gehör geboren, also taubstumm, wie manche Leute gedankenlos sagten. Als sie im Bauch ihrer Mutter lag, hatte eine Virusinfektion die Sinneszellen in ihrem Innenohr zerstört. In den ersten Lebensjahren hatte sie in ihren Träumen noch Stimmen und Musik gehört, doch mit der Zeit geschah das immer sporadischer. Eines Tages war es in ihrem Inneren totenstill geworden.

      Der Vibrationsalarm meldete sich, jemand hatte an der Haustür geklingelt.

      Als sie die Tür öffnete, stand Yannis davor, eine Kiste mit Obst und Gemüse in den Händen. Ups, das hatte sie vergessen, er brachte jeden Samstag den Vitaminvorrat für die Woche vorbei.

      Yannis, der attraktive Yannis mit seinen schwarzen Locken und dem betörenden Lächeln! Auf den waren alle Frauen scharf, egal was für ein Alter sie haben mochten. Auch sie hatte sich einst um seine Gunst bemüht. Zu ihrem Kummer hatte er sie als jugendliches Nichts behandelt, zu der man nett war, wie zu einer Schwester.

      Stets hatte sich Kalja gewundert, dass er sich für keine Frau zu interessieren schien. Sie hatte ihn schon für schwul gehalten, aber vor zwei Jahren hatte Lena entdeckt, dass er es mit ihrer Tante Atridi trieb. Schlecht war ihr geworden, als ihre Freundin ihr im Vertrauen berichtete, was für ein Schweinkram zwischen den beiden ablief.

      Überraschend hatte er sich in Lena verliebt. Als die ihn beim Hapkido-Training auf den Rücken gelegt und ihm ihr Knie brutal in den Bauch gedrückt hatte, war ihr erhitztes Gesicht dem seinen übermäßig nahegekommen. Intensiv hatte Lena ihm in die Augen geblickt und augenblicklich war sie mit geöffneten Lippen zu einem nicht enden wollenden Kuss auf ihn herabgesunken. Seitdem waren er und Lena zusammen.

      »Bist du dir unumstößlich sicher, dass Yannis nebenbei nicht noch deine Tante bumst?«, hatte Kalja ihre Freundin gefragt.