Sie warf einen Blick auf das Namensschild. »Frau Maseko, ich bin Lena«, sagte sie lächelnd und gab ihr die Hand. »Ich kam, um Sie um eine Tablette zu bitten. Meine Magenbeschwerden sind unverhofft wie weggeblasen. Entschuldigen Sie die Störung.«
»Sag Pamela zu mir«, bot die Stewardess an. »Das ist unkomplizierter.« Ein Nicken wertete sie als Zustimmung. »Darf ich dich was fragen?« Sie zog Lena von der Tür weg und schaute sie so forschend an, als suche sie längst Verlorenes in den Gesichtszügen des Mädchens.
»Klar, Pamela. Nur zu.«
»Lena, wir haben uns noch nie gesehen, da bin ich mir sicher. Trotz alledem ...« Sie rang nach Worten, man sah ihr an, dass es Überwindung kostete, fortzufahren. »Du kamst mir seltsam vertraut vor. Mir war, als hätten wir beide eine Winzigkeit gemeinsam. Seltsam, nicht wahr?« Sie schüttelte den Kopf und lachte. »Blödsinn, ich weiß. Vergessen wir es. Willst du nicht doch eine Tablette? Zur Sicherheit?«
Ablehnend schüttelte Lena den Kopf, machte aber keine Anstalten zu gehen. Sie schien über etwas nachzugrübeln.
Pamela hielt das Gespräch für beendet und wandte sich erneut dem Ruheraum zu. »Versuch zu schlafen, Lena. Die Nacht ist lang.«
Sanft packte Lena die Frau am Handgelenk. Das Bedürfnis, mit einem ihr fremden Menschen über das seltsame Sternengeflimmer zu reden, war nicht mehr zurückzuhalten. »Du hast dich nicht geirrt, Pamela«, begann sie flüsternd, »Wir beide haben hundertprozentig was gemeinsam.« Sie zog die Frau von der Tür weg. »Du und ich, wir beide tragen eine Spur in uns, die bei Menschen nur hin und wieder zu finden ist. Wir beide sind Träger von magischer Energie. In Legenden vieler Völker wird die Energie Sternenstaub genannt.«
Pamela starrte sie misstrauisch an. »Du willst mich auf den Arm nehmen, oder?«
»Gott behüte!«, sagte Lena in einem eindringlichen Flüsterton. »Sternenstaubträger erkennen sich bei ihrer ersten Begegnung sofort. Du hast es gesehen, das war keine Spiegelung!«
»Der strahlendweiße fünfzackige Stern mit den schwarzen Rändern in deinem Gesicht, das war ...?«, fragte sie entsetzt, schlug die Hand vor den Mund und ließ den Satz unvollendet.
»Nein, das war keine Einbildung. Du hast über meiner Augenbraue einen Stern aufblitzen sehen und ich einen über deiner Nasenwurzel.« Lena legte einen Zeigefinger zwischen die Augen der Stewardess. »Genau hier!«
»Was bedeutet das für uns?«, flüsterte Pamela, ihre Stimme klang vor Furcht heißer.
Lena schwieg, es schien, als suchte sie die korrekten Worte, wie ein Arzt, wenn er seinem Patienten Unangenehmes mitzuteilen hat.
Pamela missdeutete Lenas Schweigen und schien Hoffnung zu schöpfen. »Du musst dich irren«, begann sie zuversichtlich. »Ich bin keine Hexe, kann keinem Menschen grausige Dinge auferlegen oder Gegenstände verzaubern. Du etwa?« Sie blickte Lena forschend an, als erwarte sie, dass Lena einen Zauberstab ziehen und eine Teetasse in eine Maus verwandeln könne.
»Nein, ich bin ebensowenig eine Hexe wie du.«
Erleichterung machte sich in Pamelas Gesicht breit.
Lena hatte die korrekten Worte gefunden. »Es verhält sich ein bisschen anders«, begann sie lahm. »Und es ist viel verwickelter, als du glaubst.«
Sie wollte zu einer Erklärung ausholen, als sich die Tür öffnete und der farbige Steward heraustrat. Er warf einen missbilligenden Blick auf die beiden Frauen. »Pamela, ich mache jetzt meinen Rundgang und verteile Getränke. Du solltest dich besser ausruhen, dich nicht mit Passagieren verquatschen«, sagte er auf Afrikaans. »In einer Stunde bist du dran«, beschied er sie barsch.
»Ja, ja, ich weiß, Ajitabh. Geh nur!« Sie zog ihm eine Grimasse hinterher und zerrte Lena in den Ruheraum hinein. Es war überlaut hier, kaum Platz für zwei Liegen. Eine enggewundene Wendeltreppe führt nach oben. »Droben sind drei Betten«, erklärte Pamela, die Lenas erstaunten Blick bemerkt hatte. »Hier, setz dich neben mich und erzähle«, drängte sie ungeduldig.
Lena deutete fragend nach oben.
Pamela winkte ab. »Bei dem Lärm, den die Triebwerke machen, können die da oben uns nicht hören, hier musst du Ohrstöpsel tragen, Schlaf findest du sonst keinen. Also, was hat es mit dem – wie nanntest du es? – Sternenstaub auf sich?«
»Ich weiß dummerweise nicht viel davon«, dämpfte Lena die Erwartung ihres Gegenübers. »Nur so viel kann ich dir sagen: Unser Sternenstaub ist quasi noch unberührt und rein. Damit können wir nichts bewirken. Es sei denn ...« Sanft strich sie über Pamelas Hand, die fuhr zusammen und zog sie erschrocken zurück. »Entschuldige, ich bin kein Monster«, lächelte Lena, es kam ihr fantastisch vor, was sie im Begriff war zu sagen. »Ich habe gehört, dass unser Sternenstaub erst gezündet, also aktiviert werden muss, damit wir magische Fähigkeiten erwerben können. Das kann nur durch einen erfahrenen Magier geschehen. Über das Wie und das Was, darüber ist mir nichts bekannt, nicht das Geringste.«
»Aufblitzende Sterne, magische Energie, unberührter Sternenstaub ... Wie um alles in der Welt hast du das alles herausbekommen?«
»Eine griechische Romni, eine Zigeunerin, die ich zufällig traf, hat mich einwenig aufgeklärt», erklärte Lena unbestimmt. »Mancherlei weiß ich von meiner Tante, die interessiert sich brennend für alles, was mit Magie zusammenhängt.«
Schweigend saßen die beiden Frauen auf der Liege, starrten auf den Boden und ließen ihre Gedanken schweifen.
Pamelas Stimme übertönte das Rauschen der Triebwerke. »In meinem Dorf wurde eine angebliche Hexe erschlagen.« Mit fahriger Hand fuhr sie sich über die Stirn. »Ich möchte nicht, dass mein Sternenstaub aktiviert wird, wie du das nennst. Ich möchte keine Hexe werden ...«
»Nein, ich ebenfalls nicht.« Lena schüttelte sich. »Das wäre das Letzte, was ich anstrebe.« Scheußlich genug, wenn durchsickerte, mit was für einem Stigma sie schon geschlagen war! Wenn herauskäme, dass sie seit ihrem ’Unfall’ vor zwei Jahren in die Gedankenwelt ihrer Mitmenschen eindringen und ihre Aura scannen konnte! War diese unheimliche Fähigkeit nicht auch eine Art Hexerei? »Mein Sternenstaub wird hoffentlich, so wie er jetzt ist, mit mir begraben werden«, sagte Lena düster und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
Bei diesen Worten musste Pamela, trotz der bizarren Dinge, die sie gehört hatte, losprusten. Sie wirkte gefasster. Sie stupste Lena in die Seite. »He, ist in Ordnung! Die Sache mit dem Sternenstaub vergessen wir und alles ist wie zuvor.«
Sie machte Anstalten aufzustehen, aber Lena zog sie auf ihren Sitz herunter. »Warte Pamela, das ist nur die eine Seite der Medaille, die harmlosere. Das Schlimmste kommt noch.« Lenas Mund fühlte sich trocken an. Mit brutaler Gewalt fielen die verdrängten Ängste wieder über sie herein: »Hexer verbrauchen ihren Sternenstaub für ihre Flüche und müssen ihn somit mit unberührtem Sternenstaub, erneuern. Auf ständiger Suche nach Menschen wie wir, ziehen Magier ruhelos umher. Wenn wir einem solchen über den Weg laufen, was wird geschehen? Muss er uns umbringen, wenn er an unseren Sternenstaub herankommen will? Hat er eine für uns günstigere Alternative parat? Ich weiß es nicht«, schloss sie verzweifelt.
Bei diesen Worten verlor Pamela endgültig die Fassung. Entsetzt, mit aufgerissenen Augen, starrte sie Lena an. »Du meinst, es ist wie mit den Vampiren in den haarsträubenden Filmen?«, fragte sie mit tonloser Stimme.
»So könnte es sein«, stimmte Lena widerstrebend zu. »Ich rate dir zweierlei: Sei erstens megavorsichtig, wenn du auf der Stirn eines Menschen einen solchen Stern sehen solltest!« Beschwörend sprach sie auf Pamela ein. »Auf der Welt gibt es Weiße und Schwarze Magier. Eine Hexe wollte mir vor drei Jahren meinen Sternenstaub entreißen, nur um Haaresbreite habe ich überlebt. Schreckliches habe ich zurückbehalten. Bitte sei vorsichtig in deinem künftigen Leben!«
Lena fühlte den bestürzten Blick Pamelas auf sich ruhen.
»Zweitens,