Innocent war baff ob solcher Unkenntnis. »Hat dir dein Vater das nicht erklärt?«, wunderte er sich. Auch Lena fand, dass sich das von ihrem Vater schlankwegs gehört hätte.
»Ich gehöre zum Volk der Zulus, dem Volk des Himmels«, sagte er mit stolzgeschwellter Brust. »Na logisch haben wir eine eigene Sprache! Sie heißt isiZulu. Das Besondere daran ist, dass es neben den Vokalen und Konsonanten viele Klicklaute gibt!« Er ließ ein paar Hörproben hören, die sprachbegabte Lena war schwer beeindruckt.
»Bist du verheiratet? Hast du Kinder?«
»Na hör mal! Wie jeder weiß, bin ich ein Häuptling, ein Inkosi«, lachte Innocent. »Ein Inkosi muss verheiratet sein! Zurzeit habe ich nur vier Frauen.« Er sagte das mit einem gewissen Bedauern. »Meine Erstgeheiratete heißt uSibusiswe, das bedeutet in isiZulu ›Gesegnet‹, du wirst dir denken können, warum«, fügte er gelassen hinzu.
Lena war fürs Erste bedient und brachte kein Wort über die Lippen. Sie warf dem sogenannten Häuptling einen wütenden Blick zu.
Der schien amüsiert. »Jetzt schau nicht so entgeistert! Ein Inkosi muss sich von gewöhnlichen Männern abheben«, sagte er ungerührt. »Zudem, ich habe für alle meine Frauen einen anständigen Preis gezahlt.«
»Du hast deine Frauen gekauft?«, fragte sie hellauf empört. ›Das wird ja immer besser‹, dachte sie, ›Wir sind bei Hinterwäldlern gelandet.‹ »Das ist in Südafrika erlaubt?« Ihre Stimme bebte vor Entrüstung. »Wie viel kostet eine Frau?«
»Elf Kühe im Durchschnitt«, antwortete er lässig. »Hör mal, ich glaube, du verstehst dieses und jenes verkehrt!« Er warf ihr einen belustigten Blick zu, doch sie presste die Lippen aufeinander und schaute stur nach vorne auf die Straße. »Der Brautpreis ist auf keinen Fall als Kaufpreis für die Frau zu betrachten. Er ist eine Gegenleistung in einem Tauschgeschäft. Der Vater der Braut bekommt von mir wertvolle Kühe im Austausch für die verlorene Arbeitskraft der Tochter. Das ist bloß fair, oder?«
»Was sagte deine uSibusiswe, als du Konkurrentinnen ins Haus geholt hast?«, fragte Lena grantig. »Die war garantiert nicht begeistert!«
»Im Gegenteil«, lachte Innocent. »Je mehr Frauen ein Mann hat, desto höher ist der Respekt, den man der Erstfrau zollt! Meine drängt mich immer, mir noch eine Frau zuzulegen, damit sich die Arbeit besser verteilt.«
›Im Grunde geht es mir nicht anders wie uSibusiswe‹, überlegte Lena bitter. ›Unter Umständen teile ich mir Yannis mit meiner Tante. Der einzige Unterschied ist, sie treiben es nicht vor meinen Augen.‹ »Wohnt ihr alle zusammen? In einem Haus?«, fragte sie. »Das klappt, ohne jeden Streit?«
»Meine Frauen kommen miteinander aus«, grunzte er zufrieden. »Jede hat ihre eigene Hütte, führt ihren eigenen Haushalt, bestellt ihr eigenes Feld, hat ihre eigenen Milchkühe, kocht nur für sich, ihre Kinder und mich. Wenn ich bei ihr bin ...« Er warf Lena einen anzüglichen Blick zu. »Logischerweise muss ich versuchen, sie alle gleich zu behandeln.« Er tätschelte das Cockpit. »Ist in meinem Alter nicht immer problemlos. Von daher bin ich froh, wenn ich mit dem Auto unterwegs sein darf.«
»Wo lebst du mit deiner Familie?«
»In PheZulu«, erklärte er mit vor Stolz geschwellter Brust. »PheZulu bedeutet in unserer Sprache ’hochoben’, mein Dorf liegt oben am Rande des Tals der Tausend Hügel!« Er geriet ins Schwärmen. »Warte nur, bis wir in der Provinz KwaZulu-Natal sind, durch den Hluhluwe-Umfolozi Park in Richtung Durban fahren und in meinem Dorf ankommen! Du wirst von den Socken sein, wenn du die wundervolle Aussicht sehen wirst.«
»Schluschluwi-Umflozzi?«, radebrechte Lena, was ungewohnt für sie war, galt sie doch als Sprachwunder, das Griechisch, Englisch und Deutsch fließend beherrschte. »isiZulu scheint eine enorm vertrackte Sprache zu sein. Warum lebst du nicht ständig bei deiner Familie? Abgesehen von der Schonung deiner Männlichkeit.«
Innocent war nicht beleidigt. »Unsere jetzige Regierung garantiert zwar freie Bildung für alle, doch Papier ist geduldig. In den Townships und auf dem Lande liegt vieles im Argen, von daher engagiere ich mich für bessere Bedingungen in Waisenhäusern und Kinderkrippen.« Unvermittelt wirkte er bedrückt.
Lenas Achtung für ihn stieg deutlich an.
»Es fehlt an beinahe allem«, sagte er. »Viele Waisen leben in elenden Verhältnissen. Am Rande des Kruger National Parks liegt zum Beispiel ein Waisenhaus, das mir speziell am Herzen liegt. Wenn ich da bin, versuche ich, den Kindern ein bisschen Stolz und Würde zu vermitteln.« Er seufzte. »Ach, man bräuchte viel mehr Geld.«
»Erzähl mir von deiner Heimat, Innocent«, bat Lena gerührt. »Von der Landschaft, den Menschen, ihrer Geschichte und was es für dich heute bedeutet, ein Zulu zu sein.«
»Darüber spreche ich besser, wenn du meine Heimat persönlich siehst. Unter der klaren Luft der uKhahlamba fallen mir bessere Worte ein als hier.«
»Ukaschlammba?«, fragte sie und kam sich bei ihrem Gestammel blöd vor.
»uKhahlamba ist das, was die Weißen die Drakensberge nennen.«
»Drakensberge? Seltsames Wort, unzweideutig leitet es sich von dem deutschen Wort Drachenberge ab«, sagte Lena mehr zu sich selbst.
»Wir Zulu mögen die Bezeichnung nicht«, warf Innocent sofort ein. »Wir nennen die Berge uKhahlamba, ’Die Wand der aufgestellten Speere’. Wegen der vielen Schluchten, Kämme, Höhlen, Überhänge und Zinnen, verstehst du?«
»Das ist ein schönes Wort für ein Gebirge«, meinte Lena diplomatisch, beide Bezeichnungen gefielen ihr nicht. »Es klingt verflixt kriegerisch!«
»Wenn du die Berge siehst, wirst du es verstehen!«, tröstete er sie. »Weißt du, mit euch Weißen ist es ein Jammer«, fuhr er fort, »Als Schwarzer durfte ich in meinem Land nichts Gescheites lernen. Ebendeshalb bin ich für zwei Jahre nach Griechenland gegangen. Bei euch habe ich gemerkt, dass unsere Kultur euch Europäern scheißegal ist. Von den Indianern wissen die Schulkinder bei euch in Europa eine Menge, von uns Schwarzen so gut wie nichts.«
Er sagte das mit leichtem Vorwurf. »Was zum Beispiel weißt du von König Shaka und dem Volk der Zulus?« Er blickte sie fragend an und sie zuckte betreten mit der Schulter. »Na bitte«, sagte er. »Von den Häuptlingen Sitting Bull, Crazy Horse und den Stämmen der Apachen und Sioux hast du schon gehört!«
»Selbstredend. Das kommt vor allem daher, dass meine Mutter indianische Wurzeln hat«, erklärte sie, wie um Entschuldigung bittend. »Mein Großvater ist vom Stamme der Navahos.«
Der Häuptling warf ihr einen erstaunten Blick zu. »Stimmt, deine Mutter ist Amerikanerin. Dass sie Halbindianerin, wusste ich nicht.« Er blickte sich kurz zu der pennenden Ava um. »Kaum zu glauben«, murmelte er.
»Erwähne ihr gegenüber nichts davon. Sie ist, glaube ich, nicht Stolz darauf.«
»Und du, wie siehst du das?«, fragte er sichtlich gespannt.
»Ich weiß nicht so recht«, sagte Lena zögerlich, »Meine Mum hat mir erzählt, dass ihr Vater kein netter Mensch war ...«
Innocent spürte, dass er einen wunden Punkt berührt hatte und summte eine Melodie vor sich hin. Minutenlange Gesprächspausen waren seine Sache nicht. »Weißt du, warum du mir gleich sympathisch warst?«, platzte er unvermittelt heraus. »Du ähnelst meiner Tochter uThembani.«
uThembani. Hatte sie das korrekt verstanden? Lena ließ sich das Wort gemächlich auf der Zunge zergehen, es gefiel ihr. »uThembani ist ein fabelhafter Name! Hat er in isiZulu eine konkrete Bedeutung?«
»Zwangsläufig. Aus dem Grund wählen wir Namen ja aus! uThembani bedeutet in isiZulu so viel wie ’Hoffnung’. Die Geistheilerin unseres Dorfes empfahl mir den Namen.«
›Oh je‹, dachte Lena bei sich, ›ich