»In der Gegend wachsen keine Affenbrotbäume«, erklärte ihr Ossy. »Heute Nachmittag fahren wir nordwärts. Den ersten werden wir in der Nähe des Kumana Damms sehen. Offene Buschsavannen gibt es erst in der Gegend von Letaba.«
Er stoppte den Wagen an einer Waldlichtung. »Schau, da drüben, eine Herde Impalas!«
Es schien ein friedliches Bild, die überwiegende Anzahl der Tiere hatten die Köpfe am Boden und fraßen das üppige Grün, aber einige Tiere schienen Wache zu stehen. Ihre fast durchsichtigen Ohren drehten sie gegen den Wind, aufmerksam beäugten sie die Umgebung. Unvermittelt, wie auf Zuruf, sprangen die Tiere mit weitläufigen Sprüngen davon, ein gelber Schatten fegte über die Lichtung den Antilopen hinterher.
»Na bitte, ein Leopard auf Jagd! Nummer eins der Big Five«, sagte Ossy befriedigt.
Das blaue Wasser des Sabie floss durch eine üppige grüne Vegetation. Mit aufgesperrten Mäulern dösten auf den Sandbänken Krokodile. Auf blaugrauen Steinen ruhten Schildkröten mit gefleckten Panzern. Im Fluss und am gegenüberliegenden Ufer lagen ruhende Hippos und präsentierten rosa Bäuche. Züngelnd lief ein zwei Meter langes Reptil in aller Seelenruhe über die Piste.
›Na bitte, geht doch‹, dachte Lena versöhnt. ›Genau so habe ich mir Afrika vorgestellt.‹
Die Sonne war aus den Wolken hervorgebrochen, die regennasse Erde begann zu dampfen, sofort wurde es schwül. Lena musste sich zusammenreißen, damit sie nicht eindöste.
»Wenn du schlafen willst, tu dir keinen Zwang an«, ermunterte sie Ossy. »Ich muss mich jetzt eh beeilen, die 250 Kilometer zu unserem Tagesziel werden sich kolossal strecken.«
»Okay. Weck mich, wenn du was Besonderes siehst«, murmelte sie und ihr Kopf sank nach vorne. Nur Sekunden später, so kam es ihr jedenfalls vor, schreckte sie auf. Ossy hatte mitten auf der Straße eine Vollbremsung hingelegt. »Wo sind wir? Was ist?«, stammelte sie.
»Wir haben Camp Tshokwane passiert«, sagte Ossy. »Da, schau nach links!«
Lena wurde fast schlecht, als sie erfasste, was sie da sah.
Fünf Löwinnen hatten ein Gnu getötet. Direkt am Straßenrand. Die Herde, zu der es gehörte, stand auf der anderen Straßenseite, unbeteiligt und im scheinbar unumstrittenen Bewusstsein, dass durch das Opfer ihre Sicherheit gewährleistet war. Die Löwinnen rissen rote Fleischklumpen aus dem Tier, man hörte das Krachen der zersplitternden Knochen.
Hinter dem Gnu erhob sich ein blutverschmiertes Löwenhaupt, der Chef des Clans. Interessiert blickte er zu den Gnus hinüber. Ein Baby auf wackligen Beinen hatte sich aus der Herde gelöst und machte zaghafte Schritte auf die Löwen zu, die soeben seine Mutter zerrissen hatten. Es klagte jämmerlich. Lena hielt sich die Ohren zu. »Gib Gas, Ossy, bitte!«
Durch eine dichte Busch- und Waldsavanne ging es nordwärts. Ein verbeultes Schild, es zeigte einen Affenbrotbaum. Ossy bog ab, rumpelte durch Schlaglöcher und hielt er an. »Du kannst aussteigen. Da steht einer.«
Entsetzt blickte Lena ihn an, die schrecklichen Bilder der blutverschmierten Löwen vor Augen. »Aussteigen, hier? Wo hast du dein Gewehr?«
Ossy zuckte mit den Schultern. »Hab keines! Sei unbesorgt, gefährliche Tiere sind nicht in der Nähe!« Er stieg aus, öffnete ihr die Tür. Zögerlich kletterte sie aus dem Auto heraus und vergewisserte sich mit einem Rundblick, dass nichts Gefährliches ihr auflauerte.
Genauso hatte sich einen Affenbrotbaum vorgestellt! Kurzer, extrem dicker Stamm mit einem Durchmesser von sicher zehn und einer Höhe von zumindest zwanzig Meter. Die ausladende Krone trug nur vereinzelte Blätter.
»In unbelaubtem Zustand erinnert die Astkrone an verzweigte Wurzeln«, schulmeisterte Ossy. »Bei uns sagt man, ein Affenbrotbaum sei ein vom Teufel verkehrt herum gepflanzter Baum.«
›Ihr verrückten Zulus‹, dachte Lena, ›überall wittert ihr Dämonen, Hexen und Teufel. Mit einem Mal tappte ein grünes Wesen schwerfällig an ihnen vorbei. ›Huch, was ist das? Ein Chamäleon?‹ Sie fragte nicht nach, wollte von dem Bücherwurm Ossy keine langwierigen Erklärungen heraufbeschwört haben.
Immer intensiver brannte die Sonne vom Himmel, die Luft über dem heißen Asphalt begann zu flimmern und zu wogen. ›Wir fahren auf einen See zu‹, empfand Lena. ›wunderbar, eine Fata Morgana, sogar Büsche und Bäume glaubt man an dem Ufer des blauen Wassers erkennen zu können.‹
Wenn eine Großfamilie von Pavianen auf der Straße ein Picknick veranstaltete oder wenn Gnus, stur wie die Panzer, das Auto blockierten, mussten sie anzuhalten. Einzigartig war, als zwei Geparden die Piste passierten. Elegant und scheinbar schwerelos, als kämen sie ohne Erdberührung aus, schritten sie dahin.
Lena wollten die Augen zufallen, aber sie zwang sich, munter zu bleiben. ›Wer weiß, wie oft du solch wunderbare Geschöpfe in deinem Leben sehen wirst‹, ermahnte sie sich.
Es war schon Nachmittag, als sie in Camp Letaba einfuhren. Vor einem langgestreckten Gebäude stand eine lebensgroße Bronzestatue eines Elefanten, davor hatte sich eine Gruppe von Leuten posiert. Alle trugen die gleiche Khaki-Uniform wie Ossy, offensichtlich seine Lehrgangskollegen. Ein Mann hinter einem Stativ gab Anweisungen, wie man sich für das Erinnerungsfoto aufzustellen habe.
»Sawubona Sanibona, Ossy!«, riefen sie ihm auf isiZulu zu. »Warum verspätet?«
Die widerstrebende Lena mit sich ziehend, lief Ossy auf die Gruppe zu. »Komm, das sind meine Kollegen!«
»Los, ihr zwei!«, herrschte ein blonder Hüne die Neuankömmlinge an. »Stellt euch in die Gruppe, wir wollen das endlich hinter uns bringen!«
»Ich gehöre nicht dazu«, versuchte Lena einzuwenden.
»Mach schon, das ist unser Ausbilder«, raunte Ossy. »Dem widerspricht man besser nicht!«
Lena grinste verlegen in die Runde und war erleichtert, als alle zurücklächelten. Sie stellte sich in die zweite Reihe, da sie die meisten an Körpergröße überragte. Es waren ausschließlich Schwarze, vierzehn Jungen und vier Mädchen. »Für den Lehrgang waren nur Teilnehmer der Stämme Zulu, Tsonga und Makuleke zugelassen«, flüsterte Ossy ihr zu.
Der Chef baute sich an der rechten Seite der Gruppe auf. »Cheetah!«, brüllte er und Lena sah verblüfft, wie sich ein Gepard aus dem Schatten eines Kigelia-Baums löste und sich malerisch zu Füßen des Mannes drapierte.
Als die Fotos geschossen waren, kam der Ranger auf Lena zu. Er sah blendend aus, in jedem Tarzan-Musical hätte er eine prima Figur gemacht. ›Mit dem würde ich mich in den Busch wagen‹, dachte sie, ›Den wirft so leicht nichts um.
Der Händedruck des Ausbilders war kräftig. Als er ihren Gegendruck spürte, musterte er sie überrascht von Kopf bis Fuß. Ihr sportgestählter Körper beeindruckte ihn. »Ich bin Jan, Game Ranger«, stellte er sich vor. »Afrikaaner und Chef der Chaostruppe. Das hier ist Cheetah, mein Findel- und mein Sorgenkind.«
Lena fühlte, dass sie rot wurde. ›Was soll das?‹, ärgerte sie sich. Rotzfrech stieß sie »Ich bin Lena, Griechin« heraus, schob die Sonnenbrille auf die Haare und blickte dem Modellathleten prüfend ins Gesicht. ›Erst mal schauen, was mit dem los ist‹, dachte sie. ›Aussehen kann täuschen. So wie der Kerl meinen Körper taxiert hat, werde ich einmal mehr die üblichen Ferkeleien sehen.‹ Aber nein, seine hellgrüne Aura war klar, stand für das Leben, die Natur und für Harmonie. Die Bilder, die in sie einströmten, zeigten Angst um den Geparden und sehnsüchtiges Verlangen nach Partnerschaft und erfüllter Liebe. Hastig schob sie die Brille auf die Nase herunter. »Game Ranger«, sagte sie mit einer samtigen Stimme, »Das klingt nach viel Arbeit, Jan.« ›Warum zum Kuckuck muss der Mann Jan heiße?‹ In zärtlichen