„Los, im oberen Bad ist eine Waage, rauf mit dir!“ Lustlos trollte ich mich nach oben, nachdem ich Karen ihren Sprössling zurückgegeben hatte.
Schicke Waage, beim Putzen war mir die noch gar nicht so aufgefallen. Ich tippte sie an und stieg dann – ohne Schuhe, das sparte bestimmt ein Pfund – zaghaft darauf. Siebenundsechzig? Was für eine sympathische Waage! Und das mit Kleidern und einem wenn auch kärglichen Frühstück im Bauch, dann hatte ich praktisch netto vielleicht nur sechsundsechzig? Strahlender Laune kam ich nach unten. „Deine Waage ist klasse, vier Kilo weniger! Ich stelle meine nachher sofort um!“
„Na, siehst du. Und deine Figur ist total in Ordnung. Kannst du heute mal die unteren Fenster machen?“
Ja, eigentlich war ich hier, um zu putzen, und nicht, um mich seelisch wegen meiner Fettmassen aufrichten zu lassen! Also schnappte ich mir den Eimer und das sonstige Gerät und ging energisch an die Arbeit. Bei meiner Schrubberei stellte ich mir dauernd vor, wie die Gramme verschwanden. Ein Pfund pro Woche... am Ende eine Figur wie Karen... oder wie Jani, die war auch toll dünn, aber eben auch erst siebzehn – mit dreißig sah sie sicher auch nicht mehr so aus. Um vier blinkte die Wohnung und ich hatte mindestens hundert Gramm verloren, bildete ich mir ein. Karen feixte, als sie meine Liste abzeichnete. „Das reinste Workout, was? Hoffentlich hat´s was geholfen!“
Voller guter Vorsätze ging ich nach Hause. Sozusagen vier Kilo in einem Moment verloren, zweihundertfünfzig Euro auf mein Konto eingezahlt, eine Menge viel versprechenden Kram aus der Bibliothek angefordert – ich war gar nicht schlecht! Und ich hatte genug Geld in der Tasche, um am Kiosk an der Ecke stehen zu bleiben und die Schlagzeilen zu studieren. Ein Fitnessheft warb mit Das perfekte Workout: Bauch – Beine – Po. Na, das war´s doch! Drei Euro waren zwar happig, aber dann gab es heute Abend eben bloß Äpfel, war eh gesünder!
Mit dem Heft eilte ich nach Hause und linste im Treppenhaus ängstlich um die Ecke. Nein, kein Heiner, entweder musste er doch auch mal was arbeiten, oder er hatte schon eine neue Magd aufgetan. Umso besser – obwohl man die arme Frau eigentlich warnen sollte. Aber mich hatte auch keiner gewarnt; als ich Gisi kennen gelernt hatte, war es schon zu spät gewesen. Ich schlüpfte sofort in Jogginghosen und breitete mich mit dem Heft auf dem Teppich aus. So, wie sollte das jetzt gehen? Beine hoch und zwanzigmal grätschen, bis es innen zog. Kein Problem...
Zwanzig Mal? Ich hatte nicht geahnt, wie schwer meine Beine dabei wurden. Zwölf – dreizehn – ächz – vierzehn – puh! – fünfzehn. Fünfzehn reichte ja wohl für den Anfang. Erleichtert ließ ich die schweren Beine wieder sinken. Jetzt sollte man die Muskeln eigentlich ausschütteln und entspannen – aber dazu hätte ich aufstehen müssen.
Verdammt, war ich ein Weichei: eine Übung, und ich war fertig! Es war noch nicht einmal fünf Uhr, und ich hätte auf dem Fußboden einschlafen mögen.
Nix gibt´s – nächste Übung. Hinknien, die Arme verschränken und den Hintern dann ganz langsam sinken lassen und wieder heben – nicht auf die Fersen setzen. Hörte sich einfach an.
Der Teppich war dünn und hart und fühlte sich unter meinen Knien nicht gerade kuschelig an. Ich sank langsam nach hinten und hatte sofort das Gefühl, als rissen meine Oberschenkelmuskeln entzwei – hatte ich denn überhaupt Oberschenkelmuskeln? Langsam wieder hoch – mit verschränkten Armen? Das war ja anatomisch kaum möglich! Bei mir wenigstens nicht, ich musste mich leider abstützen und kam mehr schon sehr unsportlich vor. Noch mal!
Nein, beim zweiten Mal ging es auch kaum besser, offenbar war mein Hintern zu schwer.
Gab es keine leichteren Übungen? Auf einen Stuhl setzen und die Beine langsam heben und senken – das hörte sich doch akzeptabel an, wenigstens konnte ich dabei sitzen! Ganz so einfach war es auch wieder nicht, die Beine wurden mir gleich wieder schwer, und nach dem zehnten Mal konnte ich nicht mehr. Für heute reichte es mir. Wenigstens waren die Übungen simpel genug, dass ich sie mir merken konnte. Morgen wieder! Vielleicht, vielleicht hatte ich ja morgen den totalen Muskelkater. Dann konnte ich diesem seltsamen Kampmann ja was vorhumpeln!
Sechs
Tatsächlich war ich nahezu bewegungsunfähig, als ich, eine große Flasche Etikettenlöser in der Tasche, am Dienstagnachmittag im Helenenweg klingelte. Kampmann stand in der Tür und betrachtete interessiert mein Humpeln.
„Was haben Sie denn gemacht?“
„Gymnastik“, stöhnte ich und kletterte vorsichtig die drei Stufen zur Haustüre hinauf. „Ich hab´s ja mehr mit dem guten alten Sir Winston“, kommentierte Kampmann und ließ mich eintreten. Ich warf ihm einen missvergnügten Blick zu. „First at all – no sports? Ja, schon, aber so hat er dann eben auch ausgesehen.“
„Na und? Er hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen, nicht die Wahl zum Mr. Universum. Was ist wichtiger?“ O Gott, wieder so einer, der nur auf das Wesentliche schaute!
„Mag sein, aber ich will mich ja auch noch im Spiegel anschauen können.“
„Da sehe ich eigentlich keine Probleme. Haben Sie an den Etikettenlöser gedacht?“
Ich hielt triumphierend die Riesenflasche hoch. „Was kriegen Sie dafür?“
„Sechsneunundneunzig. Tut mir Leid, das Zeug ist nicht billig, aber es wirkt.“
Er gab mir acht Euro und bockte, als ich ihm einen Euro und einen Cent in die Hand drücken wollte. Resigniert legte ich das Geld auf die Flurkommode. „Dann fange ich am besten gleich an.“
„Gut. Schauen Sie am besten selbst, was nötig ist. Plus Bügeln und Prilblumen, okay?“
„Alles klar. Frohes Schaffen!“ Er warf mir einen giftigen Blick zu. „Den Hohn können Sie sich sparen.“
Ich glotzte. „Was? Sie arbeiten doch sonst auch immer!“
„Ich versuche es höchstens, ich hab eine Schreibblockade. Von frohem Schaffen kann also keine Rede sein.“
„Tut mir Leid, das zu hören“, murmelte ich mechanisch und verzog mich in die Küche, wo ich die Prilblumen dick einpinselte, bevor ich das herumstehende Geschirr ins Spülbecken stapelte und den Müll einsammelte und wegtrug.
Schriftsteller... Papa hatte also Recht gehabt, aber er steckte in einer Schaffenskrise. Armer Hund, ich kannte Schreibblockaden, wenn ich eine Arbeit zusammenschustern musste und mir plötzlich rein gar nichts mehr einfiel.
Erst einmal bügeln! Die Ausrüstung im Keller war erste Sahne, hier hatte es entweder mal eine Hausfrau gegeben oder meine Vorgängerin hatte auf anständigem Werkzeug bestanden. Oder er hatte sich früher selbst um seinen Kram gekümmert. Unsinn, so kam er mir nun wirklich nicht vor. Vielleicht war er geschieden – aber warum hatte die Alte dann solchen Kram nicht einfach mitgenommen? War er Sinnbild häuslicher Sklaverei?
Was ging´s mich an! Aber wenn ich ehrlich war, fand ich den Mann nett, so mürrisch er war. Und hässlich war er auch nicht, egal, wie erfolgreich er sich als Penner präsentierte. Die verbeulten Hosen versteckten nicht, dass er eine ganz anständige Figur hatte, die ausgeleierten Sweatshirts zeigten breite Schultern, und trotz der angegrauten Mähne und der Bartstoppeln hatte er eigentlich ein gutes Gesicht, zerfurcht zwar, aber das durfte es in seinem Alter ja wohl sein! Welche Farbe hatten seine Augen? War das Blau echt oder nicht?
Und wenn er grinsen musste, waren seine Zähne groß und weiß und gut in Schuss. Nein, er trat zwar ungepflegt auf, aber das war er gar nicht, so viel hatte ich schon herausgefunden. Irgendwie strahlte er Kraft aus, ein Mann, der wusste, was er wollte, auch wenn er nicht gerade strahlend gelaunt war.
Ich bügelte alles weg und schleifte dann den Korb ins Schlafzimmer, wo ich das Bett abzog und lüftete, die frische Wäsche verstaute und das Zimmer rasch durchputzte – wenn man das zweimal die Woche machte, ging es fix, und er fühlte sich in einem sauberen Schlafzimmer doch bestimmt wohler.
Gegen seine Schreibblockade fiel mir allerdings kein Heilmittel ein. Ich sammelte die herumliegende Wäsche ein,