Frau Rössel und Frau von Jessmer hielten mich wenigstens ordentlich auf Trab; ich eilte dienstfertig herum und dachte immerzu an purzelnde Pfunde – hoffentlich an den richtigen Stellen, noch weniger Busen brauchte ich eher nicht - , während ich Messing polierte, Schrankoberseiten sorgfältig entstaubte und polierte und danach mit frischen Zeitungen schützte, Fenster putzte, Parkett einließ und – Frau Rössel war wirklich noch von altem Schrot und Korn – drei zusammengerollte Perser in den Hof trug, sie über die Klopfstange wuchtete und sie kräftig ausklopfte, bis sich die Staubwolken verzogen hatten. Einige Spaziergänger beäugten mich dabei neugierig, offenbar war ich für solche Tätigkeiten noch nicht alt genug. Wenn man sich dabei auf das Spiel der – kaum vorhandenen – Muskeln konzentrierte, konnte man dieser albernen Beschäftigung zwar direkt etwas abgewinnen, aber ein Tausend-Watt-Staubsauger schaffte garantiert mehr. Hinterher war ich wohlig erschöpft und schaffte es kaum noch, die Berge von Büchern aus der Bibliothek nach Hause zu schleppen, die ich bestellt hatte. Ich registrierte beide Male nur noch beiläufig, dass ich im Treppenhaus freie Bahn hatte, stapelte die Bücher dann auf dem Tisch auf und fiel wie erschlagen aufs Bett.
Die Gymnastikübungen machte ich zwar immer noch, aber nie in der vorgeschriebenen Anzahl und meistens auch reichlich schlampig, die Beine wurden nur halb gehoben, der Hintern nur ein kleines Stück gesenkt, damit ich wenigstens freihändig wieder hochkam. Gab es nicht auch so etwas wie Isometrie, wo man nur die Muskeln anspannte, ohne sich zu bewegen? Ich versuchte, auf dem Bett sitzend und eine Familienserie mit furchtbar frommen Leuten verfolgend, die Muskeln in meinem Hintern so anzuspannen, dass es meinen ganzen Körper ein paar Millimeter anhob – aber ob mir das grazile Beine bescheren würde?
Vielleicht waren die Krautstampfer ja auch erblich? Jani und Annika hatten dünne Beine, vor allem in den hautengen Jeans, die sie trugen – Jani in satanischem Schwarz, Annika im neuen dirty-Look. Meine Jeans wurden immer noch von selbst speckig, ich musste sie nicht so kaufen! Geli hatte eher ein kleines Problem mit einem Speckbäuchlein, aber das lag an ihrer Leidenschaft für Sahnetrüffel. Mamas Beine - keine Ahnung, ich hatte sie seit Jahren nicht mehr anders als in bunten Röcken gesehen.
Wo war denn das Fotoalbum? Badeurlaube mussten doch Aufschluss geben? Statt meine Bibliotheksausbeute zu mustern, blätterte ich von Anne, einen Tag alt über mehrfaches Anne freut sich über ein neues Schwesterchen (ich schaute stets ausgesprochen mürrisch drein, egal ob mit acht, elf oder dreizehn) durch die Seiten. Da, Bodensee 1990! Ich war achtzehn – und hatte schon diese Beine – und Mama war auf dem Foto zwar von drei kleinen Mädchen umringt, zehn, sieben und fünf, aber man sah, dass sie perfekte Oberschenkel hatte. Dann musste ich das von Papas Mutter geerbt haben, aber von der hatte ich nun nicht gerade Bikinifotos zur Verfügung, ich erinnerte mich dunkel an ewiges Dunkelblau mit Spitzenkragen, eine strenge Frisur und Ansichten wie aus dem neunzehnten Jahrhundert. Sie hatte 1943 mit achtzehn Jahren geheiratet, war nach drei Wochen Witwe geworden und hatte exakt neun Monate nach der Hochzeit Papa zur Welt gebracht – und damit war ihre Uhr offenbar stehengeblieben, sie redete nur von Entbehrungen, sträflichem Verwöhntsein und mangelnder Moral. Ihr Lieblingssatz war „Hat euer Großvater etwa dafür sein Leben geopfert?“
Mama hatte einmal zurückgeschossen: „Etwa dafür, dass die Kinder zum BdM müssen? Für unverbesserliche Nazissen ist hier kein Platz!“ Danach kam sie nur noch sehr selten vorbei und wirkte noch verkniffener als sonst. Ich hatte mich damals (ich war wohl in der ersten oder zweiten Klasse) lange gefragt, was Mama denn gegen Nazissen hatte – ich fand die weißgelben Blumen eigentlich recht hübsch.
Die war bestimmt nie schwimmen gegangen, und wenn, dann wahrscheinlich in einem Badekostüm mit langen, weiten Hosen. Dass sie mir diese Schwabbelbeine vererbt hatte, traute ich der verbitterten alten Schachtel so richtig zu! Vielleicht sollte ich lange Spaziergänge machen? Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass es nur darauf ankam, sich mäßig, aber länger als eine halbe Stunde zu bewegen, damit die Fettverbrennung in Gang kam. Spazierengehen... am Wochenende, vielleicht, jetzt war ich wirklich müde, und vom Teppichklopfen taten mir die Arme so weh, dass ich sie kaum noch heben konnte. Ein heißes Bad wäre jetzt herrlich gewesen, aber ich hatte eben bloß eine Duschkabine.
Wenn ich erst einmal diese Planstelle angetreten hatte, würde ich umziehen, das stand fest. Zwei Zimmer, eine richtige kleine Küche und ein Bad mit Wanne – und einen Balkon, das brauchte ich schon. Und da würde Heiner auch nicht mehr auftauchen... oder erst recht? Jetzt hast du ja genügend Platz für mich, und dein Einkommen reicht auch, um mich durchzufüttern? No, Sir!
Ich gönnte mir eine heiße Dusche und meinen schicksten Schlafanzug, dunkelgrauer Satin mit hellsilbernen Sternchen darauf, dann setzte ich mich an meinen Tisch, schob die Kunstvereinsbücher energisch zur Seite und skizzierte Grundrisse meiner Traumwohnung. Wie würde ich sie einrichten? Im Wohnzimmer auf jeden Fall eine ganze Wand Bücherregale. Und ein Sofa zum Abhängen – zum Chillen, wie Jani und Annika sagten.
In der Küche eine Spülmaschine, auf jeden Fall. Und ein großes Gefrierfach, damit ich nicht dauernd einkaufen gehen musste. In einer Wohnzimmerecke einen Arbeitsplatz. Esstisch brauchte ich eigentlich keinen, ich aß ja doch auf
dem Sofa, so wie jetzt auf dem Bett, der Tisch war ohnehin dauernd zugemüllt. Im Schlafzimmer wollte ich einen Schrank, in dem wirklich alles Platz hatte, damit man die T-Shirts nicht noch einmal bügeln musste, bevor man sie anziehen konnte. Vielleicht könnte ich mir sogar eine eigene Waschmaschine leisten, wenn das Bad groß genug war?
Schöne Zukunftsbilder – viel schöner als die Unterlagen über den Kunstverein, denn die gehässigen Memoiren der Tochter waren noch nicht in meine Hände geraten. Aber am Freitagmorgen hatte ich einen Termin im Archiv des MorgenExpress, von Ingrid organisiert, und wenn ich gezielt suchen wollte, sollte ich doch noch einige Fakten sammeln.
Sobald ich eine recht dürftige Liste mit offenen Fragen zusammengebastelt hatte, gab ich auf und ging lieber ins Bett, um in meine warme Decke gekuschelt noch ein bisschen fernzusehen; der Freitag würde noch anstrengend genug werden, also brauchte ich vorher etwas Entspannung.
Am anstrengendsten fand ich Kampmann. Er war zwar ein durchaus angenehmer Arbeitgeber, aber er beschäftigte mich einfach viel zu sehr. Warum, wusste ich ja auch nicht: Er sah annehmbar aus, war aber wirklich kein Adonis, er war viel zu alt für mich, zeigte ohnehin kein Interesse und war ein ganz normaler Kunde. Außerdem neigte er zu brummiger Laune. Was wollte ich mit dem? Und ich kannte ihn gar nicht, ich wusste bloß, dass er Krimis schrieb, wenn er nicht gerade unter seinem writer´s block litt, und dass sein Geschmack nicht ganz so grausig war, wie es das Haus vermuten lassen konnte. Zwei sehr magere Pluspunkte, die durch ständiges Durchdenken auch nicht eindrucksvoller wurden. Ich sollte mir diesen Kerl aus dem Kopf schlagen, vor allem, wo ich doch gerade erst einen lästigen Kerl losgeworden war. Außerdem wollte er nichts von mir.
Das verhinderte aber nicht, dass ich seine spärlichen Äußerungen mit gesteigerter Aufmerksamkeit aufnahm und speicherte, ständig überlegte, was ich antworten konnte, um einen faszinierenden Eindruck zu machen (bis jetzt war das immer nur schief gegangen) und mir seiner Gegenwart extrem bewusst war. Und das zehrte beim Putzen an meinen Kräften.
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