Lesestoff. Klaus-Gunther Häuseler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus-Gunther Häuseler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741881404
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etwa so. Normalerweise bin ich einfach da, unsichtbar aber wahrnehmbar. Ich funktioniere ähnlich wie eine Waage. Immer dann, wenn jemand Gleichgültigkeit lebt, senkt sich meine rechte Schulter. Umgekehrt, wenn also jemand erfreulicherweise Respekt zeugt von der Gültigkeit des Anderen, hebt sich die linke Achsel.«

      Ich war sprachlos. So lebensnah hatte ich das bisher nicht gesehen. Viele Gedanken gingen mir plötzlich gleichzeitig durch den Kopf. Wie unterscheide ich die zahlreichen Facetten und Wesensmerkmale des Menschen? Woran erkenne ich den Unterschied zwischen Gedankenlosigkeit, Oberflächlichkeit, Unwissenheit oder Gleichgültigkeit, um nur einige zu nennen?

      Uns blieb keine weitere Zeit für eine Unterhaltung. An einem Vorortbahnhof stieg ein Mann ein und setzte sich zu uns. Er war mir sofort unsympathisch, wirkte etwas prollig. Laptop, Sakko und Hose, Hemd mit Krawatte und Freizeitschuhe, passender für die Kegelbahn.

      Vor dem Bärenkäfig standen gut erkennbar zwei Bedienstete der Bahn, die Fahrkarten kontrollierten.

      Eine Station später betrat ein Farbiger den Waggon. Offensichtlich war er unkundig mit den Gepflogenheiten des Öffentlichen Nahverkehrs. Ich schätzte ihn ein als einen Neuankömmling in unserem Land.

      Der neue Fahrgast kam in unser Abteil und wollte sich setzen. Hatte der eine Fahrkarte für die 1. Klasse? Eher nein. Ein Bärenticket hatte er sicher nicht. Ich erfasste die Situation sogleich. Vor der Tür die Kontrolleure. Ärger stand ins Haus. Wie würde das enden?

      Mit meinem holprigen Schulenglisch gab ich dem Fremden zu verstehen, dass hier wohl das falsche Abteil für ihn sei. Ob er mich wirklich verstanden hatte, weiß ich nicht. Jedoch, er kehrte um.

      Deutlich sah ich, wie sich bei der Gleichgültigkeit die linke Schulter anhob. Unsere Augenpaare kreuzten sich. Erleichterung war zu spüren.

      Was dann geschah, war niederschmetternd. Unser prolliger Mitfahrer warf mir böse Blicke zu. Ihm hatte es nicht gefallen, dass ich helfend zur Seite stand. Er murmelte einiges vor sich hin. Ich verstand nur Wortfetzen wie „Ist doch egal …“, „Die werden schon sehen …“, „Warum sollen wir …?“, „Wohin soll das führen …?“

      Mich überraschte nicht, was sich dann ereignete. Die rechte Schulter der Gleichgültigkeit zog es weit nach unten. Längst war die Erleichterung verflogen.

      Unsere neuerlichen Blicke zeugten von Nachdenklichkeit.

      An der nächsten Haltestelle stieg ich aus. Mir ging es nicht gut. Noch lange hatte ich die letzten Worte in meinen Ohren: „Wohin soll das führen?“

      Meist wird im Leben mir zur Qual,

      schon von Geburt an und noch immer,

      hab ich zu treffen eine Wahl.

      Dann steh ich da, oft ohne Schimmer.

      Bereits als Säugling, purer Frust,

      da Mutter mich noch stillend nährte.

      Ob linke oder rechte Brust?

      Die Frage mich nachdrücklich scherte.

      Als Kleinkind später, welche Not,

      gab’s doch der Spielzeuge sehr viel,

      mit einem Riesenangebot

      von Lego, Märklin, Playmobil.

      In welche Schule sollt ich gehn?

      Wollt schließlich schlau sein und nicht dumm.

      Von außen waren alle schön.

      Entschied mich fürs Gymnasium.

      Nach langer Schulzeit: Der Beruf.

      Die Wut, sie kochte in mir hoch.

      Ich zürnte heiß wie der Vesuv.

      Das Angebot war viel zu groß.

      ’ne Bäckerlehre tat mich reizen.

      Doch täglich ich entscheiden musste,

      das Mischverhältnis Roggen/Weizen

      und welches Brot mit wieviel Kruste.

      Das erste Auto! Ente? Käfer?

      Doch besser Opel? BMW?

      Ich ging zum Autohändler Schäfer.

      So wurd’s ein preiswerter VW.

      Und später in der Diskothek,

      Simone, Sandra und Katrin,

      liefen mir alle übern Weg.

      Ich war gerissen her und hin.

      Hab sie gewissenhaft studiert,

      nach Plus und Minus eingruppiert

      und letzten Endes ungeniert

      mit Freuden alle durchprobiert.

      Zur Frau genommen? Davon keine.

      Das wurde letztlich Margarete.

      Denn gegen Busen, Taille, Beine

      siegte die Lust auf reichlich Knete!

      Von Zeit zu Zeit, alle paar Jahre,

      zur Urne bat die Politik.

      Dann sträubten sich bei mir die Haare.

      Nur Pest und Cholera. Oh Schitt!

      Die Frage heute im Lokal:

      Nehm ich Kartoffeln oder Nudeln?

      Selbst der Entschluss wird mir zur Qual.

      Bloß aufgepasst, hier schadet Hudeln.

      Voreilig sollt ich nicht entscheiden,

      besser mit Sorgfalt doch aussuchen.

      Könnt mir den ganzen Tag verleiden.

      Müsst ihn als Misserfolg verbuchen.

      Der Ober kommt, mir wird ganz heiß,

      schau angespannt noch auf den Preis

      und denke mir: Was für ein Scheiß!

      Wähl aus Verzweiflung schließlich Reis.

      Und was gilt’s künftig zu entscheiden?

      Die Farbe des Rollators gar?

      Das ew’ge Wählen, kann’s nicht leiden,

      werd schneller alt und grau sogar.

      So plagt mich stets ohn Unterlass,

      die Qual der Wahl und wird zur Not,

      bis irgendwann ich beiß ins Gras,

      und mich erlöst der gnäd’ge Tod.

      Aufs Essen wartend fällt mir ein:

      Die Chance zur Wahl ist keine Qual.

      Sie ist mein Glück und niemals Pein.

      ’s wär dann nur Qual, gäb’s keine Wahl.

      Ich schaue gern den Ähren zu

      bei ihrem wilden Tanz im Wind.

      Dann fühl ich mich kurz und im Nu

      grad wie ein sorgenfreies Kind.

      Ich schaue gern den Vögeln nach

      bei ihrem weiten Flug gen Süden.

      Die Augen bleiben glänzend wach

      und schweifen ohne zu ermüden.

      Ich schaue gern zu Wolken hoch,

      die stimmungsvoll am Himmel ziehen.

      Wohin