23:00 Uhr (trotz fortgeschrittener Uhrzeit noch ohne Gähnattacken)
Der Abend mit Klaus-Dieter wurde noch ziemlich lustig. Ich legte, zumindest versuchte ich es, meine Voreingenommenheit dem männlichen Geschlecht gegenüber, ab und genoss den Abend in vollen Zügen. Just for fun. Nicht mehr und nicht weniger. Ja, eigentlich ließ es sich so ganz gut leben. Meine Mutter mit ihren hohen Moralvorstellungen wäre entsetzt gewesen und so ein kleines bisschen hörte ich auch Klein-Ego in seiner Ecke murren. Aber nur ein kleines bisschen.
Herr Fröhlich, den ich in Gedanken schon Klaus-Dieter nannte, erzählte äußerst witzige Geschichten, die er mit Kindergartenkindern erlebt hatte.
„Die Kleinen sind echt einfallsreich! Wo doch immer behauptet wird, den Kindern gehe die Fantasie verloren. Nicht mit unseren Spielgeräten!“
Dabei erhob er den Zeigefinger als verkünde er gerade das neue Evangelium.
Ich mutmaßte, dass er keine Kinder zu Hause hatte. Schließlich wüsste er dann, dass das alles völlig alltäglich war. Insgeheim fragte ich mich, ob er auch irgendwelche Histörchen mit den Kindergartenerzieherinnen erlebte. Davon jedenfalls erzählte er kein Wort!
Als wir zu dem Punkt gelangten, an dem ich von mir erzählen sollte, gähnte ich theatralisch, worauf wir den Abend als beendet erklärten. Ich fuhr mit meiner alten Rostlaube nach Hause und rollte mich in meinen Schlafsack. Das Bett vermisste ich jetzt schon.
Nach nur 6 Stunden Schlaf
Da ich meiner Mutter versprochen hatte, die Mädchen nicht allzu spät abzuholen, schälte ich mich um sechs Uhr dreißig aus meinem warmen, kuscheligen Schlafsack und riskierte einen Blick in den Spiegel.
Meine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Ich sah aus, als hätte ich die ganze Nacht durchgezecht. Keine Liposomecreme dieser Welt konnte mich heute noch retten. Also probierte ich den ältesten Trick der Welt: ich wusch mein Gesicht mit eiskaltem Wasser. Nach fünf Minuten Eislochtauchen sah ich wieder wie neu aus. Ich schüttete schnell eine Tasse Beuteltee in mich hinein, dann fuhr ich los, um die Mädchen abzuholen. Meine Mutter war, obwohl es noch ganz früh am Morgen war, schon sichtlich gestresst.
„Die Beiden sind ganz schön anstrengend!“, stöhnte sie.
Wieso klang das nach Vorwurf? Erzählte sie etwa mir, wie anstrengend Kinder waren? Das wusste ich nur allzu gut. Trotzdem überwogen die Glücksmomente mit ihnen. Zumindest bei mir.
15:00 Uhr (an Mittagsschlaf war sowieso nicht zu denken)
Am Nachmittag wollten die Kinder unbedingt wieder zu Inge fahren.
„Schön, schauen wir uns die Fortschritte in unserer neuen Wohnung an.“ Sagte ich etwa Fortschritte? Nach nur drei Tagen?
Inge lief ziemlich hektisch im Hof herum.
„Diese Idioten“, schimpfte sie. „Die haben doch glatt das Fenster im Wohnzimmer zugemauert! Wie kann man ein Fenster vergessen? Ich glaube, ich bin im Märchen! Das ist wie bei den Schildbürgern!“
Ich konnte es kaum glauben. Kein Fenster im Wohnzimmer? Nun, Kerzenlicht war ja schon romantisch. Aber eben nicht auf Dauer!
„Jetzt müssen sie das Fenster nachträglich raus stemmen. Das kostet mindestens einen halben Tag. Wir sind doch eh schon nicht mehr im Zeitrahmen.“ Inge tobte immer noch.
„Du meinst, mit unserem Einzugstermin könnte es knapp werden?“
Ich wagte gar nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken.
„Knapp ist gar kein Ausdruck! Diese Typen sind in den letzten beiden Tagen überhaupt nicht hier erschienen. Wahrscheinlich haben die noch eine andere Baustelle, bei der sie im Verzugsfall eine höhere Konventionalstrafe zu zahlen haben. Die glauben wohl, ein Haus baut sich von alleine!“
Inge schimpfte die ganze Zeit lautstark weiter.
„Wo, um Himmels Willen, sollen wir dann wohnen?“
Meine Stimme versagte fast, angesichts der unübersehbaren Tatsachen.
„Die Möbel kannst du schon irgendwo unterstellen. Notfalls im Stall. Und ihr ...“
Offensichtlich fiel Inge momentan auch nichts ein. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, wenn ich mir meine sündhaft teure Einbauküche zwischen den Minischweinchen und den Widder-Kaninchen vorstellte.
„Und schau dir das an“, setzte Inge ihre Schimpftirade fort und deutete auf die Wand. „Wie viele Leitungen siehst du?“
„Eine“, zählte ich, nicht die leiseste Ahnung, um welche Leitungen es sich überhaupt handelte.
„Genau. Und weißt du, was das bedeutet?“
Ich schüttelte den Kopf, dass die Locken nur so flogen.
„Das ist die Wasserleitung“, setzte Inge bedeutungsschwanger nach. „EINE bedeutet, dass es hier nur kaltes Wasser geben wird.Verdammt, das ist das Bad, nicht das Gästeklo.“
Aua, das klang nicht gut. Ein Badezimmer mit Kaltwasseranschluss. Wir waren doch nicht in Afrika!
„Das muss alles noch mal neu gemacht werden. Na warte, denen mache ich Feuer unter ihren lahmen Hintern!“
Inge fluchte wie ein australischer Buschbauer.
Sogar ich als Laie erkannte, dass unser Einzugstermin nur durch ein Wunder eingehalten werden konnte. In diesem Moment wünschte ich mir Bibi Blocksberg herbei. Hex-hex.
„Ich habe die Firma gebeten, ein Zimmer ganz fertig zu stellen, damit ihr wenigstens provisorisch hier einziehen könnt. Ich hoffe, das klappt.“
Ich wollte zwar nicht provisorisch hier einziehen, sondern richtig, aber besser als die Alternative mit zwei Kindern und einem Riesenhund unter der Brücke zu schlafen, war diese Aussicht allemal. Und Mutti oder Susi könnten uns schon aus Platzgründen nicht aufnehmen.
„Die Heizung schaffen sie in zwei Wochen, den Estrich auch. Vorausgesetzt, diese Vollidioten von Handwerkern bauen nicht noch mehr Mist.“
„Na prima, ich kauf uns schon mal ein Zelt für den Garten.“ Dort konnte es nur gemütlicher werden, als in diesem halbfertigen Loch.
Hätte ich zu diesen Zeitpunkt auch nur geahnt, welche Probleme noch auf mich warteten, hätte ich auf der Stelle den neuen „Müllberg“ gekauft und uns eine andere Wohnung gesucht. Aber wer konnte schon Katastrophen vorhersagen?
24 Stunden später
Am Nachmittag lieferte ich bei einem höchst erstaunten Tonio die Übersetzungsarbeit ab.
„Na, das ging ja schnell. Vielen Dank.“ Er nahm die Dokumente entgegen und schaute verwundert drauf.
„Was ist das für eine Schrift? Die kenne ich gar nicht. Sind Sie mit dem PC zurechtgekommen?“
„Ich ...äh … ich habe mich kurzerhand entschlossen, meine Arbeit noch nach richtig alter Manier zu machen“, redete ich mich aus dieser äußerst peinlichen Situation heraus. Sollte ich etwa zugeben, dass bei mir zu Hause noch nicht einmal der Stecker dieses Wunderteils eingesteckt war? Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wozu die mindestens tausend Kabel an den diversen Bauteilen dienten, welches Teil mit welchem verbunden werden musste und welcher Stecker am Ende an das Stromnetz anzuschließen war, ohne dass mir die Fetzen um die Ohren flogen.