First Class Flüge und Bruchlandungen …. Christa Schmeide. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christa Schmeide
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737503648
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Tochter heute etwas verschönern?» Ihre Mutter willigte ein, und schon wurde Claire zum Stuhl geführt. Lorenzo liess seine Schere fliegen. Im Nu verwandelte sich ihre langhaarige Mädchenfrisur in einen luftigen, schicken Bob. «Aber es kommt noch besser», kündigte Lorenzo an.

      Eine junge Kosmetikerin führte Claire in den oberen Stock des Salons, wo sie ihr ein dramatisches Abend-Make-up auflegte. Claire fühlte sich wie ein Mannequin, als sie eine halbe Stunde später die geschwungene Freitreppe hinunterstolzierte.

      Lorenzo klatschte begeistert in die Hände. «Hinreissend!»

      «Ach, wie bezaubernd», hauchte auch der Geschäftsführer des Salons.

      Eine Woche später durfte Claire die Herbsttrends aus dem Hause Petermann vor der nationalen Presse präsentieren. Die mehrseitigen Fotostrecken waren ihre Eintrittskarte für den Modezirkus. Es folgten Einsätze an der Münchner Modewoche, später sogar an internationalen Modeschauen in Paris und London. Dass Claire erst dreizehn war und eigentlich noch nicht als Model arbeiten durfte, wusste ihre Mutter Margarete geschickt zu verbergen. Als Alleinerziehende war sie froh um das zusätzliche Einkommen ihrer Tochter. Auch Claire war es recht, regelmässig auf dem Laufsteg oder vor der Kamera zu stehen. Die Arbeit im Scheinwerferlicht machte ihr deutlich mehr Spass als die Schule, wo sie sich mit Mathematik oder Physik herumplagen musste. Zudem hatte sie in der Schule keine Freundinnen mehr gefunden, seit sie mit zehn von Düsseldorf nach Köln gezogen waren. Auf dem Laufsteg hingegen brachte man ihr Anerkennung und Bewunderung entgegen. Und nicht zuletzt hatte sie in Lorenzo­ einen hervorragenden Modeberater, Friseur und treuen Freund gefunden – auch wenn sie bald schmerzlich zur Kenntnis nehmen musste, dass er auf Männer stand. Claire trauerte dem Gymnasium folglich keinen Moment nach, als sie ihre Schulzeit mit fünfzehn beendete, um sich ganz ihrer Modelkarriere zu widmen.

      Genauso reuelos hängte sie ihre Karriere knapp zwei Jahre später wieder an den Nagel. Sie hatte ein paar Monate zuvor bei einem Dinner im «Le Chef» ihren Traummann Robert kennengelernt. Sie heirateten, und kurz darauf trug sie bereits sein Kind unter dem Herzen. Claire war im Hafen der Ehe angekommen.

      Das Eis in der Kristallschale hatte sich in eine hellbraune Pfütze verwandelt. Claire unterbrach die Rührbewegung, leckte den Löffel ab und platzierte ihn auf dem silbernen Untertellerchen. «Ich hab eine Idee», sagte sie unvermittelt.

      «Na, wer sagt’s denn! Meine alte Claire ist wieder da.» Lorenzo­ klatschte in die Hände und beugte sich über den Tisch. «Und wie sieht unser Plan aus?», flüsterte er verschwörerisch.

      Der Plan war gut. Aber die Umsetzung kam Claire so schwer vor wie die Zubereitung eines Sauerbratens. Die wesentliche Zutat fehlte. Wie sollte sie die Frau mit dem Lockenkopf ausfindig machen? Sie hatte dieses Engelsgesicht mit den üppigen Lippen und den langen schwarzen Wimpern noch nie zuvor gesehen.

      Während des gesamten Heimwegs nach Lindenthal zermarterte sie sich das Gehirn. Arbeitete die Frau in einem der Restaurants?

      Unwahrscheinlich.

      Sie hätte sie bestimmt bei einem ihrer häufigen Besuche in den drei Lokalen kennengelernt.

      War sie eine Bekannte aus Roberts grossem Freundeskreis?

      Möglich.

      Aber es würde nur für unnötiges Aufsehen sorgen, wenn sie sich bei Roberts Freunden nach der Frau erkundigen würde.­

      Claire stolperte schwer beladen in ihre Wohnung. Sie hatte unterwegs noch Lebensmittel eingekauft und Roberts Anzug aus der Reinigung geholt. «Mist», entfuhr es ihr. Der Anzug hatte die Fahrt in der U-Bahn nicht knitterfrei überstanden. Sie würde ihn noch einmal aufbügeln müssen, bevor sie Anna bei Oma Falcone abholte. Sie stellte die Einkaufstüte auf dem Flurboden ab, schlüpfte in die Haussandaletten und trippelte ins Bügelzimmer. Dort legte sie den Anzug aufs Bügelbrett.

      Zuerst nahm sich Claire die Hose vor. Die liess sich einfacher bügeln als die Jacke. Zärtlich strich sie über den feinen Stoff.

      Plötzlich erstarrte sie.

      Ihre Hände schnellten zum Hosenbund.

      Ihr Puls raste.

      Das Etikett!

      Ein elegant geschwungener Schriftzug zierte das Label: «Modehaus Wagner». Natürlich!

      Das war möglicherweise die fehlende Zutat.

      Robert hatte kürzlich beim Abendessen davon geschwärmt, dass ihm der neue Anzug von der Modehaus-Chefin persönlich auf den Leib geschneidert worden sei. So nett und serviceorientiert sei sie gewesen. Sie habe ihn sogar mit Kaffee und Keksen verwöhnt. Claire war es eigentlich gewohnt, dass Robert unverkrampft über die Vorzüge anderer Frauen sprach. Aber das Leuchten in seinen Augen hatte sie an jenem Abend irritiert.

      Claire schlug sich mit der Hand an die Stirn.

      Kein Wunder, dass der Anzug so perfekt sass.

      Die Dame hatte es mit dem Massnehmen zweifellos sehr genau genommen.

      Claire schleuderte die Hose zu Boden, als wäre sie von Gift durchtränkt.

      Der Abend mit Robert und Anna verlief trotz Claires Entdeckung äusserst harmonisch. Claire hatte in einer Metzgerei ein knuspriges Brathähnchen gekauft, nachdem sie Anna in der Falcone-Villa abgeholt hatte. Sie musste es zu Hause nur noch zum Aufwärmen in den Ofen schieben. Zum Fleisch servierte sie leicht angekohlte Bratkartoffeln. Robert und sie tranken ein paar Gläser Rotwein, Anna stopfte zufrieden Hähnchenstücke in sich hinein. «Mein kleiner Fleischtiger», sagte Robert schmunzelnd und wuschelte durch Annas blonden Haarschopf. Auch nachdem Anna in ihrem Bettchen eingeschlafen war, verloren weder Claire noch Robert ein Wort über die Geschehnisse vom Vortag. Robert musste ohnehin noch einmal ins «Le Chef».

      Am nächsten Morgen griff Claire zum Telefon und bat ihre Schwiegermutter, sich am Nachmittag erneut ein paar Stunden um Anna zu kümmern. Ihre Mittelohrentzündung sei wieder aufgeflammt, sie müsse dringend zum Arzt.

      «Du siehst aber schick aus, Claire!», rief Marina Falcone, als sie Anna ein paar Stunden später in Empfang nahm. «Der Arzt wird sich freuen». Sie liess ihr R rollen wie eine schnurrende Katze.

      Claire strich verlegen ihr neues rotes Strickkleid glatt und fragte sich, ob das Kompliment sarkastisch gemeint war. Marina verstand es, Kritik mit einem zuckersüssen Lächeln vorzutragen. Sie hatte wie viele andere daran gezweifelt, dass Claire in ihrem zarten Alter der Mutterrolle gewachsen sein würde. Vom Laufsteg direkt an den Herd – das konnte nicht gut gehen. Entgegen aller Befürchtungen hatte sich Claire inzwischen zwar als Jungmutter bewährt. Dennoch waren die Zweifel ihrer Schwiegermutter nicht restlos beseitigt, was sie häufig zum Ausdruck brachte.

      Trotz der leicht angespannten Stimmung drückte Marina Claire beim Abschied zwei dicke Schmatzer auf die Wangen. Anna wurde zwischen ihnen beinahe zerdrückt und protestierte lautstark.

      Vierzig Minuten später stiess Claire die Glastür des Modehauses Wagner in der Schildergasse – der bekannten Kölner Einkaufsmeile – auf. Die Türglocke klingelte lieblich. Sofort stürzten zwei junge Verkäuferinnen auf sie zu. Sie erinnerten Claire an das doppelte Lottchen. Beide hatten eine glatt geföhnte blonde Mähne und trugen das gleiche rote Kostüm. «Madame, Sie wünschen?», fragte Lottchen Nummer eins mit auffällig hoher Mädchenstimme.

      Claire hatte keine Zeit, das elegante Interieur des Geschäfts mit den dunkelgrauen Teppichen und den burgunderroten Samtvorhängen genauer zu mustern. Und sie kam glücklicherweise auch nicht dazu, nervös zu werden.

      «Ich möchte mir ein Abendkleid kaufen», sagte sie. «Es soll eine Überraschung für meinen Mann zu unserem heutigen Hochzeitstag werden.»

      Die beiden Mädchen flankierten sie und führten sie zielstrebig in die Abendmode-Abteilung. Das schwarze Kleid, das eine der Schaufensterpuppen trug, stach Claire sofort ins Auge.

      «Unser neuestes Modell», hauchte das zweite Lottchen andächtig. «Ein Traum aus Seide», quietschte Nummer eins.

      «Diese Eleganz!», seufzten die beiden im Chor,