Alte Seelen I: Die Macht der Erinnerung. Eva Eichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Eichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847658207
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sind Sie?“

      „Mein Name ist Ernest Bernstein.“

      „Und der andere Typ?“

      „Nathaniel von Falkenberg“, antwortete die Stimme.

      Steve schnaubte verächtlich.

      „Bist du verletzt worden?“, wollte die Stimme im Lautsprecher wissen.

      „Mein Schädel tut weh. Wieso haben Sie meine Eltern umgebracht?“

      „Das waren wir nicht, Steve.“

      „Ja, sicher. Und der Arsch hier ist auch nicht der Schwarze Mann.“

      Nathaniel drückte kurz auf die Stummtaste und starrte Steve mit blitzenden Augen an.

      „Ich war bisher noch sehr geduldig, aber wenn du es noch einmal an Respekt mangeln lässt, wird sich mein Fahrer mit deinen Fingerknöcheln die Zähne reinigen.“

      „Ich weiß, dass Herr von … seid ihr noch dran?“

      Steve verzog das Gesicht zu einem gezwungenen Grinsen und Nathaniel gab das Mikrophon der Freisprechanlage wieder frei.

      „Ja“, meldete sich Nathaniel.

      „Nun, ich weiß, dass er nicht gerade einfühlsam ist, aber wenn ich die Situation richtig einschätze, hat er dir wahrscheinlich das Leben gerettet.“

      „Klar doch.“ Steve schnaubte verächtlich.

      „Steve, es ist kompliziert. Wir werden uns in Ruhe unterhalten, sobald ihr hier seid.“

      „Wie Sie meinen.“

      „Nathaniel?“

      „Ja.“

      „Bring Steve bitte auf den Gutshof. Wir treffen uns dort.“

      „Wir sind morgen früh da.“

      „Passt auf euch auf.“

      Nathaniel legte auf und warf Steve einen beiläufigen Blick zu. „Wir sind noch einige Stunden unterwegs. An deiner Stelle würde ich etwas schlafen.“

      „Sie sind aber nicht an meiner Stelle.“

      Nathaniel lehnte sich lächelnd zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

      „Da hast du Recht“, murmelte er lächelnd und schloss die Augen.

      Die Limousine rauschte durch eine sternenklare Nacht, bis sie schließlich im Morgengrauen in einen Schotterweg einbog, der sich noch gute zwei Meilen zwischen einigen Hügeln hindurch wand, bevor sie schließlich vor einem alten Gutshaus zum Stehen kam. Wild wachsende Sträucher, Kräuter und hohes Gras umgaben das verfallen wirkende Gebäude, dessen Mauerwerk schon einige Risse aufwies. Auch die Scheune gegenüber schien schon mal in einem besseren Zustand gewesen zu sein. Das teilweise eingestürzte Dach riet jedem, der auch nur etwas an seiner Gesundheit hing, das morsche Tor nicht zu durchschreiten.

      „Steig aus“, befahl ihm Nathaniel unwirsch.

      „Hier?“ Steve zog die Stirn in Falten und musterte das heruntergekommene Gebäude. „Sie machen Witze.“

      Nathaniel öffnete die Tür und verließ die Limousine.

      „Ich dachte immer, einer wie Sie wartet darauf, dass der Chauffeur von außen öffnet“, grinste Steve spöttisch.

      „Steig aus!“

      Steve verließ den Wagen, und sobald die Tür von außen geschlossen war, wurde der Wagen gewendet und hinterließ eine Wolke aus Staub und Kies, bevor er wieder zwischen den Hügeln verschwand.

      Von Falkenberg ging auf das Haupthaus zu und schob die halb in den Angeln hängende Tür beiseite. Als er merkte, dass Steve ihm nicht folgte, sondern im Gegenteil einige vorsichtige Schritte rückwärts machte, hielt er einen kurzen Moment in der Bewegung inne.

      „Versuch es gar nicht erst.“ Mit diesen Worten verschwand er im Inneren des Hauses und ließ ihn allein auf dem Hof zurück.

      Steve sah sich um. Nichts an diesem Ort erweckte in ihm auch nur einen Hauch mehr Vertrauen als sein Entführer. Und dennoch. Da war ein merkwürdiges Gefühl der Geborgenheit, das er sich nicht erklären konnte. Irgendetwas an diesem Ort griff sanft nach seiner Seele und nahm ihm die Angst. Tatsächlich war es ihm, als würde der Wind ihm ein freundliches Willkommen ins Ohr flüstern, so dass er jegliches Misstrauen für zumindest kurze Zeit verlor und Herrn von Falkenberg ins Haus folgte.

      Als er die Schwelle überschritt, bot sich ihm ein Anblick, den er nicht erwartet hätte. Er stand in einem einladend wirkenden Hausflur. Am Boden war ein langer Läufer bis zur gegenüberliegenden Tür ausgelegt, und an der Garderobe zu seiner Linken hingen mehrere Jacken. Schuhe standen unter einer langen, mit Schnitzereien verzierten Holzbank, und an der Wand darüber hing ein kunstvolles Landschaftsgemälde, welches einen Sonnenaufgang über schneebedeckten Wäldern zeigte. Zwischen Bank und Garderobe befand sich ein Durchgang, der durch einen zur Seite gebundenen tannengrünen Vorhang den Blick in einen gemütlich eingerichteten Wohnraum gestattete.

      Zu seiner Rechten führte eine hölzerne Treppe ins obere Stockwerk. Er drehte sich um und schüttelte den Kopf, als versuchte er, den morgendlichen Nachhall eines Traumes abzuwerfen, denn von dieser Seite betrachtet blickte er auf eine vollkommen intakte, schön verzierte Eingangstür, die passgenau im Rahmen ruhte.

      „Du kannst ruhig hereinkommen, Steve“, hörte er die Stimme vom Autotelefon. „Ich habe Tee und Kuchen vorbereitet.“

      Tee und Kuchen?! Die Situation erschien ihm so obskur, so unwirklich. Drogen! Das war die einzige Erklärung für alles. Der Schwächeanfall während der Fahrt und dieses komische Haus … Wahrscheinlich schlief er noch immer in der Limousine. Steve lachte leise in sich hinein und folgte der Einladung.

      Das Wohnzimmer war größer als es vom Flur aus den Anschein gehabt hatte, und die Polstermöbel boten Sitzgelegenheiten für mehr als fünfzehn Personen. Über dem Kamin hing ein weiteres Gemälde. Eine Steilklippe, an deren Felsen die Gischt empor spritzte, und darüber thronte die Burg Tintagel.

      Steve sah sich verwirrt um. Nichts hier drinnen wies auch nur im Geringsten auf die einsturzgefährdete Ruine hin, die er von draußen gesehen hatte.

      „Tee?“

      Jetzt erst bemerkte er die hagere Gestalt von Ernest, der sich gerade zu dem antiken Couchtisch vorgelehnt hatte und die Kanne bereits über eine saubere Tasse hielt.

      „Jasmin“, erklärte der alte Mann freundlich.

      „Was?“ Steve sah sich verwirrt um.

      „Der Tee“, lächelte Ernest.

      „Ach so. Nein. Ja. Vielleicht doch. Kommt ganz darauf an, was da sonst noch drin ist.“

      Ernest sah ihn beruhigend an. „Nur Wasser, mein Junge. Du darfst dich ruhig setzen.“

      Steve ließ sich auf einem der Sessel nieder und betrachtete die Schleiereule, die auf einem kunstvoll wirkenden Ast an der Wand saß.

      „Stehen Sie auf dieses Jagdzeug?“, fragte er abfällig.

      „Nein, eigentlich nicht.“

      Die Eule blinzelte und reckte sich etwas, bevor sie ihren Kopf hinter den rechten Flügel schob.

      Steve starrte sie ungläubig an.

      „Sahne?“

      „Ich dachte …“

      „Nein, sie ist lebendig. Etwas Sahne?“

      „Nein, danke.“ Steve konnte sich nicht mehr beherrschen. Sein gesamtes Gesicht verzerrte sich zu einer psychotischen Fratze, und schließlich brach er in schallendes Gelächter aus.

      Ernest lehnte sich geduldig zurück und nippte vorsichtig an seiner Tasse.

      „Das