Alte Seelen I: Die Macht der Erinnerung. Eva Eichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eva Eichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847658207
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Runde!“, herrschte Charles ihn an. Die Tür begann sich zu schließen, und Bobby, der den schlaff zwischen William und Steven hängenden Einbrecher nicht aus den Augen gelassen hatte, sah, wie dieser die Augen öffnete und ihm mit einem breiten Grinsen zuzwinkerte.

      Der Fahrstuhl fuhr hinab in das zweite Untergeschoss. Charles trat als erster auf den Gang hinaus. Der unterirdische Komplex zog sich in einem Irrgarten aus rechtwinklig angelegten Gängen durch das gesamte Gelände. Zwischen ihnen befanden sich die unterschiedlichsten Laboratorien, Büros, Lager und Überwachungsräume. Die meisten davon waren rundum verglast, und die unzähligen Überwachungskameras machten es hier unten nahezu unmöglich, sich unbemerkt zu bewegen. Über jeder Kreuzung hing ein Schild mit einem Code aus Zahlen und Buchstaben, die den Eingeweihten den richtigen Weg wiesen. Alles hier unten erstrahlte im kalten, sterilen Weiß, und der Geruch nach Phenol hing überall in der Luft.

      Doch die sterile Kälte und die Ausdünstungen der Chemikalien waren nicht der eigentliche Grund, weshalb sich die Wachmänner hier unten so unwohl fühlten, oder die Menschen, die hier arbeiten mussten mit der Zeit so abstumpften, dass man sie beinahe als seelisch tot bezeichnen konnte. Es waren die merkwürdigen Geräusche, die keinen Ursprung zu haben schienen. Unmenschlich klingende, qualvolle Laute, die weniger in den Gängen widerhallten, sondern sich in die Tiefen des Unterbewusstseins hineinfraßen und tagelang festsetzten. Manchmal konnte man aus dem Augenwinkel heraus, oder im spiegelnden Glas eine menschliche Gestalt erkennen, die genauso plötzlich wieder verschwand, wie sie aufgetaucht war. Kurze Schreckmomente, die bei den einen schnell vorbeigingen und bei anderen dazu führten, dass sie heimlich Dr. Clark ihre Kündigung auf den Tisch legten und bei Nacht und Nebel verschwanden.

      Sie schleiften den Einbrecher die Gänge entlang, wobei sie mehrmals nach rechts oder links abbogen und schließlich vor einem von Panzerglas umgebenen Untersuchungszimmer stehenblieben, an dessen Rückseite ein Überwachungsraum mit verspiegelter Scheibe angrenzte. In seiner Mitte war eine Art Behandlungsstuhl im Boden verankert. Er bestand vollständig aus kaltem Industriestahl, hatte keinerlei Polsterung, und an Armlehnen und Fußstützen waren dicke Bänder aus Polyester mit doppelseitigem Klettverschluss befestigt. Eine Art Küchenzeile umrundete den ganzen Raum, wobei an der linken Seite einer der Unterschränke fehlte und so Platz für einen provisorischen Schreibtisch bot. Eigentlich könnte man sagen, dass hier alles vorhanden war, was man in jedem gut ausgestatteten Arztzimmer finden konnte, wenn man mal von der unbequemen Sitzgelegenheit für den Patienten absah. Charles öffnete die Tür mit einer Chipkarte und trat beiseite. Dem Phenol mischte sich der starke Geruch von Formaldehyd hinzu.

      William und Steven schleiften ihren Gefangenen zum Stuhl, wuchteten ihn hoch und schnallten ihn fest, während Charles an der Tür stehen blieb und, mit der Hand am Pistolenholster, wartete.

      „Vergesst nicht, ihn zu durchsuchen“, wies Charles seine Männer an, die sich umgehend um den Inhalt von dessen Taschen kümmerten. Neben einem zerknitterten Einkaufszettel, ein paar Pfundnoten und einer Tüte Gummibärchen, entdeckten die geübten Blicke der Sicherheitsmänner noch einige Verdickungen an seinem Gürtel. Erst bei näherer Untersuchung förderten sie einige kleine Wurfmesser ans Tageslicht, die in das Leder eingenäht waren, und durch eine winzige Drahtschlinge nach oben heraussprangen. Steven warf dem Gefangenen einen beeindruckten Blick zu.

      „Blöd ist der Kerl nicht“, murmelte er. „Ich kenn solche Vorrichtungen ja für die Unterarme, und am Gürtel hab ich sie auch schon gesehen, aber so …“

      William warf alles auf die Ablage und nickte Charles zu.

      „Was hat Dr. Clark gesagt?“, fragte Steven. „Kommt er her?“

      Charles nickte. „Er war nicht gerade erbaut darüber, dass der Kerl es bis in sein Büro geschafft hat. Ich fürchte, Bobby wird sich wohl noch einiges anhören dürfen.“

      „Aber immerhin hat er ihn ja noch geschnappt“, beschwichtigte William. Auch wenn er sich gerne über den Jungen lustig machte, der aufgrund seiner mangelnden Erfahrung von einem verbalen Fettnäpfchen ins andere stolperte, hatte Bobby doch einiges an Courage bewiesen.

      „Er hatte enormes Glück, dass es keiner von ihnen war. Sonst wär er jetzt tot“, brummte Charles, als sie den Raum verließen und sich die Tür hinter ihnen verriegelte. „William, bleib hier und behalte unseren Gast im Auge“, ordnete Charles an und gab Steven einen Wink, mit ihm wieder nach oben zu fahren.

      William umrundete den Raum und stieg die wenigen Stufen zum Überwachungsraum hinauf. Das gestanzte Metall der Treppe schepperte leise unter seinen schweren Armeestiefeln. Drinnen war der Geruch schon um einiges angenehmer. Erleichtert holte er sich einen Kaffee aus dem Automaten hinter der Tür und ließ sich in den Bürosessel am Kontrolltisch fallen. Es tat ihm nicht im Geringsten leid, dass Steven wieder auf der Plattform frieren durfte. Routiniert schaltete er Kameras und Aufnahmegeräte ein, stellte die Lautstärke etwas höher und widmete sich dem Pornoheftchen, das einer seiner Kollegen freundlicherweise hier unten liegengelassen hatte.

      Die Zeit verging. William spürte, wie seine Glieder langsam steif wurden. Gelangweilt warf er das Magazin auf den Tisch zurück. Als er sich streckte, bemerkte er, dass ihr ungebetener Gast offensichtlich hellwach war. Doch im Gegensatz zu all den anderen, die sich vor ihm in dieser Situation befunden hatten, zeigte er keinerlei Anzeichen von Angst oder Verwirrung, sondern saß einfach nur vollkommen entspannt da und starrte schmunzelnd zu ihm hinauf. William ließ die Arme wieder sinken, stand langsam auf und trat einige Schritte seitwärts. Die Augen des Einbrechers folgten jeder seiner Bewegungen. William runzelte die Stirn und überlegte, ob er Charles nicht lieber darüber informieren sollte. Der Kerl wurde ihm irgendwie unheimlich, und als hätte er Williams Gedanken gehört, begann dieser die Lippen zu spitzen. Über die Lautsprecher ertönte ein fröhlich gepfiffenes Whiskey in the Jar. Immer und immer wieder von vorne. Williams Nerven waren bald bis zum Zerreißen gespannt, auch weil ihm diese grünen, durchdringenden Augen permanent folgten.

      Eine weitere halbe Stunde verging, bis William endlich Charles und Dr. Clark den Gang hinunter kommen sah. Das Pfeifen verstummte. William warf einen Blick ins Labor und zuckte leicht zusammen, als der Kerl dort unten ihm mit einem frechen Grinsen zuzwinkerte.

      Dr. Clark war ein hagerer Mann, Mitte Fünfzig und im Gegensatz zu den Männern des firmeninternen Sicherheitsdienstes eher klein. Er arbeitete schon seit Jahrzehnten in dieser Forschungseinrichtung, in der selbst die Angestellten nur spärlich darüber informiert waren, an, oder besser gesagt, mit was sie eigentlich arbeiteten. Dr. Clark hatte ein vielköpfiges Team aus Wissenschaftlern unter sich, die alle aus den verschiedensten Bereichen kamen, und obwohl es immer wieder Ansätze zu hitzigen Debatten zwischen den einzelnen Vertretern der unterschiedlichen Zweige gab, wagte keiner von ihnen, den reibungslosen Ablauf ihrer Zusammenarbeit durch persönliche Differenzen zu stören. Dr. Clarks kalte Ausstrahlung und sein detailliertes Wissen über das Privatleben seiner Mitarbeiter sorgten in den Laboren nicht nur für Disziplin, sondern auch für Loyalität.

      Mit einem Ausdruck der Freude empfangen zu werden, war für ihn ein mehr als seltenes Ereignis, doch als er dicht gefolgt von Charles den Überwachungsraum betrat, hatte er kurzzeitig das Gefühl, William wäre über sein Erscheinen richtiggehend erleichtert. Dr. Clark musterte das blasse, schweißnasse Gesicht seines Sicherheitsfachmanns.

      „Sind Sie krank?“

      William riss sich zusammen und versuchte zu seiner alten Professionalität zurück zu finden. „Mir geht es gut“, erwiderte er, „doch mit dem Kerl dort unten stimmt etwas nicht.“

      Dr. Clark warf einen prüfenden Blick durch die Scheibe. Der Einbrecher saß unbeteiligt da und starrte Löcher in die Luft.

      „Hat er schon irgendwas gesagt?“, erkundigte er sich bei William, ohne ihn anzusehen.

      „Nein“, erwiderte dieser und versuchte dabei so ruhig und professionell zu klingen, wie möglich. „Er hat zirka zwanzig Minuten lang Whiskey in the Jar vor sich hingepfiffen. Ansonsten war er ruhig.“

      Dr. Clark betätigte einen der Knöpfe, der die Kameras auf Infrarot umschaltete