„Kylie?“ frage ich fast erfreut im Nebel meiner hunderttausend verschiedenen Gefühle, welche im Moment gleichzeitig mit mir Achterbahn fahren.
„Ja! Ihre Schwester war die erste, die heute Morgen hier auftauchte und sich für eine Stammzellenspende gemeldet hat. Sobald wir mit der Probe fertig sind, schicke ich sie zu Ihnen, wenn Ihnen das Recht ist?“ lächelt er aufrichtig.
„Ja gerne! Ich habe meine Schwester seit Weihnachten nicht mehr gesehen und würde mich über ihren Besuch sehr freuen!“ antworte ich mit verhaltenem Lächeln, wobei mein Blick wieder auf die verzweifelte Saundra fällt, welche immer noch weinend und schluchzend auf dem Boden hockt.
Es wird Zeit, dass ich mich jetzt selbst etwas sammle und mich um sie kümmere.
Dr. Spector verabschiedet sich, indem er sich mit beiden Händen auf meine Achseln stützt und mir tief in die Augen blickt.
„Ich rechne ganz fest mit Ihnen und vor allem darauf, dass Sie kämpfen werden.
Bis heute Nachmittag! Ich denke es wird so vier Uhr p.m. werden.“ sagt noch einmal nachdrücklich.
Ohne weitere Worte verlässt er das Zimmer und ich stütze zunächst die Ellbogen auf den Tisch und lasse mein Gesicht in beide Hände fallen.
Langsam lasse ich mir noch einmal alles was Dr. Spector gesagt hat durch den Kopf gehen, bis mich Saundras verzweifeltes Schluchzen aus den Gedanken reißt.
Somit lasse ich mich neben ihr ebenfalls auf den Boden nieder und schlinge meine Arme um sie herum.
Tröstend lege ich ihren Kopf an meine Schulter und raune ihr zu.
„Nicht doch Saundra! Wir dürfen jetzt nicht verzweifeln.“
Über mich selbst erstaunt, dass meine Stimme so fest und überzeugend klingt spreche deshalb leise weiter.
„Du hast doch gehört, was Dr. Spector gesagt hat. Wir dürfen jetzt die Hoffnung nicht aufgeben und das werde ich auch nicht.
Ich will weiterleben, vor allem für dich, darum werde ich kämpfen und alles Erforderliche über mich ergehen lassen bis ich wieder gesund bin und dich endlich heiraten kann.“
„Ja, ich weiß!“ flüstert sie schluchzend.
„Aber ich habe solche panische Angst, dass ich dich verlieren könnte. Ich liebe dich doch so sehr. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du sterben würdest, ich glaube ich würde dann ganz einfach mit dir gehen. Was will ich denn allein auf dieser Welt ohne dich.“
„Saundra!“ sage ich leise aber eindringlich.
„Ich werde nicht sterben. Dr. Spector wird alles dafür tun, dass das nicht passiert. So und jetzt komm‘ endlich wieder vom Boden hoch.“
Mühsam rolle ich mich zunächst auf die Knie und stehe auf, wobei ich sie an den Händen mit mir nach oben ziehe.
Vorsichtig steuere ich sie Richtung Bett, woraufhin sie sich auch bereitwillig hinsetzt und ich sehe in ihr verweintes, verquollenes Gesicht.
Angespannt versuche ich ein Lächeln hinzubekommen, setze mich neben sie und küsse sie zart auf die Lippen.
„Wie wollen wir das anstellen mit dem Sperma?“ fragt sie nach dem Kuss plötzlich leise und sucht meinen Blick mit den Augen.
„Das ist doch nicht wichtig Darling! Nachdem wir ohnehin keine Kinder haben wollen, hat sich das Ganze doch ohnehin erledigt.“ antworte ich leise.
„Nein, ist es nicht! Du hast doch auch gehört, was der Doktor gesagt hat. Die besten Beziehungen können in die Brüche gehen und wenn du dann eine andere Frau kennenlernst die Kinder haben will, was ist dann? Oder wer weiß, vielleicht denken ja auch wir beide in ein paar Jahren ganz anders über das Thema. Du solltest das machen und diese Möglichkeit annehmen.“ sagt sie fest, während ihre Tränen langsam versiegen.
„Okay! Vielleicht hast du Recht, aber dann musst du mir helfen, allein schaffe ich das nicht.“ lächle ich kurz zurück, als es an der Tür klopft und Schwester Megan ausgerechnet jetzt mit dem Behälter erscheint und gleichzeitig wortlos einen Zimmertürschlüssel daneben legt.
„Aber jetzt geht es sowieso nicht.“ sage ich nachdem Schwester Megan wieder gegangen ist.
„Kylie wollte doch vorbeikommen nachdem sie ihre Probe abgegeben hat.“
„Ach ja, deine Schwester!“ lächelt Saundra nun wieder etwas.
„Ich bin sehr gespannt auf sie, immerhin habe ich sie noch gar nicht kennengelernt. Wie sieht sie aus? Sieht sie dir ähnlich?“
Überlegend drehe ich meine Augen nach oben und versuche mir Kylies Gestalt in Erinnerung zu rufen.
„Hmm, ich weiß nicht recht, viele behaupten zwar, dass wir uns ähnlich sehen, aber ich persönlich finde das gar nicht.
Sie ist etwas kleiner als ich, sehr schlank und sie hat ihre kurzen fransigen Haare immer mal wieder in einer anderen Farbe gefärbt, beim letzten Mal als ich sie sah waren sie kupferrot.
Aber sie hatte sie auch schon strohblond, blauschwarz, haselnussbraun, pink, blau…“
„Jetzt hör‘ aber auf!“ sagt Saundra.
„Ist das ehrlich wahr oder willst du mich nur veräppeln?“
„Nein, ehrlich wahr! Grün hatte sie die Haare auch schon. Sie wirkt manchmal etwas ausgeflippt, wahrscheinlich hat Mum deswegen manchmal so ihre Probleme mit ihr.
Sie wirkt oft wie ein Überbleibsel aus der Punkerszene, denn sie liebt Lederkleidung mit vielen Nieten und hat meistens zwei verschieden farbige Strümpfe und einen Minirock an.
Mich wundert es immer wieder, wie sie so an den Top-Job bei Boston-Software gekommen ist, aber offenbar sind die weniger am Aussehen als am Können interessiert. Und mit Computern und IT kennt sie sich wirklich super aus, sie schreibt ja sogar eigene Programme.“ führe ich weiter aus.
„Da bin ich jetzt aber wirklich gespannt! Denn Mut und Selbstbewusstsein scheint sie ja zu haben, wenn sie so herumläuft und sich sogar so bewirbt.“ stellt Saundra staunend fest.
„Ja das hat sie! Eigentlich ist sie ganz anders als ich. Sie ist laut, sie ist quirlig, ständig auf Achse und sie liebt Rock-Musik.
Ich dagegen bin eher der ruhige Typ, aber das weißt du ja und ich stehe viel mehr auf moderne Country-Musik. Aber ich liebe sie, weil sie meine Schwester ist und weil sie eben anders ist als ich.“
Der Gedanke an meine Schwester zaubert mir nun doch ein Grinsen auf das Gesicht, wenn ich sie mir so vorstelle.
„Manchmal wirkt sie auf mich wie ein Paradiesvogel, aber sie ist trotzdem eine ganz Liebe und du wirst sie mögen.
Vor allem trifft sie mit Ihren direkten Äußerungen immer den Nagel auf den Kopf, das darf man dann manchmal nicht krumm nehmen, aber so ist sie nun einmal. Ich mag sie, weil sie ganz einzigartig ist.“ erzähle ich weiter von Kylie.
„Ich bin wirklich neugierig auf deine Schwester. Irgendwie kann ich mir sie gar nicht so vorstellen, wenn man dich und deine Eltern kennt.“ sagt Saundra erwartungsvoll.
„Tja, vielleicht wollte sie früher damit Mum’s Aufmerksamkeit erregen, weil sie ja immer etwas eifersüchtig auf mich und Mum’s übertriebene Liebe zu mir war, aber irgendwie ist sie einfach so geblieben.“ antworte ich und meine Gedanken schweifen in unsere gemeinsame Kindheit ab.
Saundra legt ihren Kopf an meine Schulter und seufzt tief.
„Ach wie gerne hätte ich auch Geschwister gehabt…“ raunt sie ohne den Satz zu beenden.
Nach einer Weile die wir schweigend nebeneinander sitzen kommt mir eine ganz andere Idee, weil meine Gedanken am Ende natürlich wieder bei der Leukämie angekommen sind.
„Saundra?“ frage ich vorsichtig.
„Ja,