„Gibt ein Foto von … 12.25?“ fragte Alvares, „ich habe da eine Idee.“
„Ja, ich glaube … einen Augenblick … da ist es.“
„Bitte vergrößern … sehen Sie die Verfärbung des Wassers vor der Jacht? – Das ist die Spur eines Torpedos!“
„Welche Segeljacht verfügt über Torpedos?“ warf eine Frau ein.
„Offensichtlich die Amiramis.“
„Hat jemand die Explosion des Polizeischiffs überlebt? Hat er eine Aussage gemacht?“ setzte der Japaner nach.
„Kein Besatzungsmitglied wurde aus dem Wasser gefischt. Das Meer wimmelt von Haien.“
„Was geschah mit dem Mann, der das Steuer der Jacht bediente?“
„Wissen wir auch nicht.“
„Hat man nach dem Wrack getaucht, um die Art der Zerstörung festzustellen?“
„Dafür fehlt der Marine der ISF die Ausrüstung.“
„Wir scheinen ja wirklich verdammt wenig über den Vorgang zu wissen“, bemerkte Killoren und fuhr dann fort, „welche Schlussfolgerungen ziehen wir aus dem Bild, auf dem das Torpedo zu sehen ist?“
„Es gibt für mich nur eine: Das Schiff wurde nicht gründlich durchsucht. Im Vorschiff muss es eine Kammer geben, in der sich eine weitere Person versteckt hatte und die den Abschuss durchführte.“
„Die Frauen könnten sich aber auch selbst befreit haben.“
„Benutzt die Polizei der ISF keine elektronischen Handschellen mit Sprengkapseln?“ fragte Higuchi.
„Die Ausrüstung der Zoll- und Küstenschutzschiffe ist nicht auf dem neuesten Stand. Der Zoll verfügt unseres Wissens nur über altertümliche Handschellen mit mechanischen Schlössern.“
„Wo ist das Schiff jetzt?“ wiederholte eine Frau ihre schon einmal gestellte Frage.
„Das wissen wir nicht. Seit dem Überfall hat es keine GPS-Anfrage der Jacht mehr gegeben.“
„Ich glaube, es wird Zeit“, mischte sich Kelly wieder ein und wandte sich an Radjabow, „dass du uns etwas über die Schiffseignerin und die Mannschaft erzählst.“
Radjabow nickte: „Seit dem Vorfall am Kap Lopatka sammle ich Material über das Schiff, die Eignerin und die Mannschaft. Dabei bin ich auf zahlreiche Merkwürdigkeiten gestoßen. In den Unterlagen aus Hakodate war eine Frau als Schiffseignerin angegeben, die sich bei den Hafen- und Zollbehörden als Bodishia Prasutag ausgewiesen hatte. Leider wissen wir fast nichts von ihr – was auch meine Schuld ist. Da ihr Familienname indischen Ursprungs zu sein schien, konzentrierten wir uns auf den asiatischen Raum. Nachdem die erste Recherche aber nichts ans Tageslicht förderte, habe ich die Angelegenheit nicht weiterverfolgt. Andere Projekte hatten Priorität, bis sich ein aufmerksamer Datenauswerter bei mir meldete und berichtete, bei einer Routinesichtung von Schiffsdaten in einem asiatischen Hafen sei ihm ein Schiff aufgefallen, nach dem ich einmal gesucht hätte. So fanden wir die Amiramis acht oder neun Monate nach dem Vorfall am Kap Lopatka wieder, und ich beauftragte sogleich einen freien Mitarbeiter, Fotos von der Besatzung zu schießen. Dabei stellten wir fest, dass die Besatzung ausschließlich aus Frauen bestand. Mit Hilfe der Fotos bekamen wir heraus, dass der Pass von Prasutag auf Malta ausgestellt worden ist. Außerdem deuten die Fotos, die von ihr vorliegen, darauf hin, dass sie ethnisch aus Irland oder Wales zu stammen scheint, auf keinen Fall aus Indien. Sie ist leicht rothaarig und hat eine helle Haut mit Sommersprossen. Allerdings haben wir keine irischen oder englischen Familien Prasutag gefunden. Vielleicht ist Prasutag der Name ihres Mannes, über dessen Existenz wir allerdings nichts wissen.“
„Wie alt ist sie? Seit wann besitzt sie das Schiff?“ unterbrach ein Mann Radjabows Vortrag.
„Wovon lebt sie? Wovon bezahlt sie die Kosten für das Schiff, die Hafengebühren und Bestechungsgelder?“ fragte ein anderer.
„Nach dem Pass ist sie heute zweiunddreißig. Das Schiff besitzt sie seit zwei Jahren. Wovon sie lebt? Man kann ihr Schiff chartern. Sie führt Aufträge durch. Aufträge in der Grauzone der Gesetze. Sie besorgt Objekte und transportiert Waren.“
„Transportiert sie auch Menschen?“
„Falls sie Shahade an Bord genommen hat, ist die Frage zu bejahen. Soviel wir herausbekommen haben, hauptsächlich Waren. Vermutlich vor allem Datenträger, die nicht durchs Internet verschickt werden sollen. Vielleicht auch Diamanten. Kunstgegenstände unklarer Herkunft. Mikroenergieträger neuester Technologie. Vielleicht verkaufen sich die Frauen, die die Mannschaft bilden, auch selbst.“
„Als Prostituierte?“
„Nein, das glaube ich nicht, obwohl man nie etwas aus dem Gefühl heraus ausschließen sollte. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass die Frauen ihre Eizellen verkaufen. Sie sind sportlich und körperlich fit, wahrscheinlich sind sie sehr intelligent, mindestens zwei von ihnen sind noch sehr jung und sehen gut aus. Eine ist außerdem blond, hellblond. Hochgewachsen, langbeinig, blauäugig, blond und intelligent – mit diesen Eigenschaften erfüllt sie die Traumvoraussetzungen als Spenderin. Viele kinderlose Paare mit Fortpflanzungsproblemen suchen geeignete junge Frauen als Eizellen-Spenderinnen. Eine Befruchtung im Reagenzglas ist für diese Paare oft die einzige Chance, sich einen Kinderwunsch zu erfüllen.“
„Ja, das stimmt“, bestätigte eine der Frauen, „die Weltgesundheitsbehörde schätzt, dass in Europa und Nordamerika mindestens zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung im fortpflanzungsfähigen Alter diese Probleme haben. Dieses Geschäft wird schon seit hundert Jahren betrieben und nahm seinen Anfang in den amerikanischen Universitäten. Die Zahl der Menschen mit Fruchtbarkeitsproblemen nimmt ständig zu.“
„Da in einer Reihe von Staaten das Spenden von Eizellen illegal ist, weil man dort befürchtet, es könne im Sinn der Faschisten des zwanzigsten Jahrhunderts eine Art Spitzenrasse geschaffen werden, und da andere Länder zumindest die Bezahlung strikt verbieten, betreiben diese Frauen vielleicht ihr Geschäft mit dem Schiff – nach dem System: einen Hafen anlaufen, das Geschäft durchführen und sofort weiterfahren. Vielleicht handeln sie auch zusätzlich mit Substanzen.“
„Pharmazeutische Substanzen?“
„Natürlich. Mit Traumdrogen zum Beispiel und nicht zugelassenen Lebensverlängerungsdrogen.“
Nach einer kurzen Pause stellte ein Mann weitere Fragen zur Schiffseignerin Bodishia Prasutag: „Womit hat sie den Kauf des Schiffes finanziert? Wer sind ihre Eltern? Hat sie Geschwister?“
„Fehlanzeige. Wie ich schon sagte, haben wir keine Informationen. Da es keinerlei Spuren von ihr in Datenbanken gibt, muss ihr Pass gefälscht sein – obwohl er auf Malta nicht in Frage stellt wird.“
Radjabow machte eine Pause, um etwas zu trinken. Danach fuhr er fort: „Wie ich vorhin erwähnte, wurden nach der Meldung des Mannes auf dem „Stolz des Islam“ sechs Frauen angetroffen, nach einer anderen Information soll die Mannschaft aus sieben Frauen bestehen. Fotos haben wir von fünf Frauen. Aber bevor ich auf die anderen Besatzungsmitglieder zu sprechen komme, muss ich eine andere Merkwürdigkeit berichten, die mich sehr beunruhigt. Nachdem wir die Jacht in Manila wiedergefunden hatten, hatte ich unserer Datenauswertungsabteilung den Auftrag erteilt, sie nicht mehr aus den Augen zu lassen und ihren Kurs beständig zu verfolgen.“
„Warum“, unterbrach der Mexikaner den Redner, „haben wir die Amiramis nicht aufgebracht und die Schiffseignerin unter dem Verdacht festgehalten, Menschenhandel zu betreiben?“
„Einen