Sonne am Westufer. Fabian Holting. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fabian Holting
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847631798
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vorgetragenen Gedicht folgen. Bessell überlegte angestrengt. Er wollte nichts Falsches sagen.

      »Als ich draußen auf der Straße stand, habe ich lediglich Frau Hengartner kurz am Fenster gesehen. Sie unterhielt sich offenbar mit ihrem Mann, zumindest habe ich eine männliche Stimme gehört.« An dieser Stelle schaltete sich Favalli wieder ein.

      »Stand das Fenster denn offen?«

      »Nein das nicht, aber ...« Bessell veränderte seine Sitzposition. Man konnte seiner Mimik ansehen, dass er mühsam nach den richtigen Worten suchte.

      »... ich hatte den Eindruck, dass ihre Unterhaltung sehr emotional geführt wurde.«

      Favalli lachte kurz auf und besann sich dann wieder auf einen Gesichtsausdruck, der besser zu der Situation passte. Etwas zu ernst fügte er hinzu:

      »Sie meinen, dass sie sich gestritten haben?« Bessell sah Favalli misstrauisch an.

      »Für diesen kurzen Augenblick machte es zumindest den Anschein, obwohl Frau Hengartners Stimme nicht zu hören war. Ich bin dann gleich weitergegangen.«

      Caroni, der sich noch immer mit beiden Händen am Knie festhielt, hakte nach.

      »Haben Sie nicht daran gedacht, die Hengartners kurz zu begrüßen, schließlich waren sie doch einige Wochen nicht in ihrer Wohnung hier in Gerra.«

      Bessell sah Caroni verständnislos an.

      »Daran habe ich überhaupt nicht gedacht, schließlich kenne ich die Hengartners nur flüchtig, auch wenn Sie sich das nicht vorstellen können.«

      Favalli bemerkte Bessells Unzufriedenheit mit Caronis Frage und wollte schlichten.

      »Bitte verstehen Sie uns nicht falsch, wir glauben Ihnen ja. Ich begrüße meine Nachbarn auch nicht, wenn sie aus dem Urlaub zurückkommen.«

      Caroni schlug das linke über das rechte Bein und lehnte sich zurück. Die Arme platzierte er neben seinen Oberschenkeln auf der Sitzfläche.

      »Dürfen wir fragen, wo Sie zu Abend gegessen haben?, erkundigte er sich schließlich und sah daraufhin kurz Favalli an, als ob er sich vergewissern wollte, dass dieser mit seiner Frage einverstanden war. Bessell sah Caroni missmutig an. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die beiden ihn mit der ganzen Angelegenheit in Verbindung brachten. Nur den Grund dafür, konnte er sich nicht zusammenreimen. Vielleicht war der Besuch der beiden Kommissare aber einfach nur dem Umstand geschuldet, dass er der Nachbar des Toten war. Und es bestand ja tatsächlich die Möglichkeit, dass ihm etwas aufgefallen war, was zur Aufklärung des Falls hätte beitragen können. Doch komisch kam ihm die ganze Sache schon vor. Auch wenn er schon einige Male im Restaurant in San Nazzaro war, wusste er nicht, wie das Lokal hieß.

      »Sie werden sich vielleicht wundern, aber ich merke mir nur selten die Namen der Restaurants, in denen ich esse. Aber es ist eine Art Pizzeria in San Nazzaro, in der ich gestern Abend war. Gleich vorne an, auf der rechten Seite, wenn Sie aus Gerra kommen und in den Ort hineingehen.«

      Caroni nahm ein kleines Notizheft aus der Innentasche seiner Jacke und notierte einen Namen.

      »Ich glaube, ich weiß, welches Restaurant Sie meinen. Sind Sie mit dem Auto dort hingefahren?«

      »Nein, ich habe meinen Wagen vor einigen Monaten verkauft. Ich brauche hier nicht unbedingt ein Auto. Ich gehe gern zu Fuß oder fahre mit dem Bus und demnächst werde ich mir ein vernünftiges Fahrrad zulegen.«

      »Wann sind Sie gestern Abend in Ihre Wohnung zurückgekehrt?« Caroni setzte den Kugelschreiber bereits an und wartete geduldig auf eine Antwort.

      »Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, aber es war bestimmt halb zwölf.«

      »Und haben Sie noch jemanden auf der Straße gesehen oder ist Ihnen sonst etwas aufgefallen?«, mischte sich jetzt wieder Favalli ein, der schon seit einigen Minuten ungeduldig auf dem Sofa hin- und herrutschte und eine unzufriedene Miene machte. Vermutlich hatte er sich mehr von dem Gespräch mit Bessell erhofft. Bessell hatte schon vor einigen Minuten an den BMW mit dem rumänischen Kennzeichen denken müssen. Vielleicht wäre das ein Hinweis, der die Polizisten zufrieden stimmen könnte.

      »Eine Sache ist mir tatsächlich noch aufgefallen. Unten an der Hauptstraße, eigentlich genau dort, wo jetzt die Straße durch die vielen Einsatzfahrzeuge versperrt ist, stand gestern Abend, als ich zurückkam, ein 7er BMW. Ich glaube sogar, das aktuelle Modell.«

      Die beiden Kommissare sahen Bessell ungläubig an. Dann senkte Caroni seinen Blick und starrte wieder angestrengt in sein Notizheft. Beinahe gelangweilt murmelte er:

      »Welche Farbe hatte das Auto und haben Sie sich Ziffern vom Nummernschild merken können?«

      »Schwer zu sagen. Sie wissen doch, nachts sind alle Katzen grau. Doch wenn der fahle Schein der Straßenlaternen mich nicht getäuscht hat, würde ich sagen, dass der Wagen wohl anthrazitfarben war, ein metallisches Anthrazit, um genau zu sein.«

      Bessells Gesicht konnte man ansehen, dass er sich darüber freute, endlich etwas Sachdienliches beigetragen zu haben. Zufrieden lehnte er sich im Sessel zurück und wollte gerade das Glas an die Lippen setzen, als ihm einfiel, dass er zum Nummernschild ja noch nichts gesagt hatte. Er unterbrach die Bewegung und fügte gelassen hinzu:

      »Einzelne Ziffern oder Buchstaben vom Nummernschild habe ich mir nicht gemerkt, aber ich habe mich darüber gewundert, dass der Wagen ein rumänisches Kennzeichen hatte. Die Länderkennung war eindeutig zu sehen. Es war sogar zusätzlich ein Aufkleber mit den Buchstaben RO angebracht.«

      Caroni schrieb, ohne aufzusehen. Favalli zog die Stirn kraus. Bessell bemerkte das scheinbare Desinteresse der beiden Kommissare an dieser Information und um der möglichen Bedeutung seiner Aussage mehr Gewicht zu verleihen, ergänzte er beinahe etwas beleidigt klingend:

      »Autos mit rumänischem Kennzeichen sind mir hier am Lago Maggiore noch nicht aufgefallen. Manchmal sieht man teure Limousinen mit russischem Länderzeichen, aber auch nicht oft. Übrigens konnte ich nicht erkennen, ob noch jemand in dem BMW saß. Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in der Heckscheibe und auch in den Seitenscheiben. Ich bin dann gleich weitergegangen. Alles war ruhig und friedlich. Es waren weder Schritte noch Stimmen zu hören.«

      Caroni sah Bessell mit geöffnetem Mund an, so als ob er sich darüber ärgerte, dass Bessell ihm seine Fragen beantwortete, bevor er sie gestellt hatte. Noch bevor er seine Lippenstellung zur Formung eines Lautes verändert hatte, fiel ihm Favalli in das noch nicht ausgesprochene Wort.

      »Und, als Sie wieder hier in der Straße waren, ist Ihnen dort etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

      »Nein, im Haus der Hengartners brannte zwar noch Licht, aber schließlich sind sie erwachsene Leute und so spät war es ja auch noch nicht.«

      »Konnten Sie im Fenster etwas erkennen oder haben Sie wieder Stimmen gehört?«

      »Nein, die Vorhänge waren zugezogen. Es war kein Laut zu hören.«

      Caroni hob die Hand, mit der er den Stift hielt. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, fehlte nicht mehr viel und er hätte mit den Fingern geschnipst, um sich Gehör zu verschaffen. Dann fragte er wichtig:

      »Die Autos der Hengartners standen die noch immer in der Straße?«

      »Ja, noch genauso wie einige Stunden zuvor, und wenn Sie mich direkt danach fragen, stehen sie auch jetzt noch auf den gleichen Plätzen, wie gestern Abend.«

      Favalli machte bereits Anstalten sich zu erheben, doch dann fiel ihm noch eine Frage ein.

      »Sind Sie gestern Abend dann gleich schlafen gegangen? Es heißt ja, dass einige Schriftsteller besser nachts als tagsüber schreiben können.« Jetzt musste Bessell lachen.

      »Das habe ich auch gehört und es bereits ein paar Mal versucht, aber es ist nie etwas Vernünftiges dabei herausgekommen. Aber Sie haben recht, ich habe dann noch etwa zwei Stunden versucht etwas zu Papier zu bringen, aber wieder nur mit mäßigem Erfolg, so dass ich dann etwas ärgerlich ins Bett gegangen bin. Doch wenn Sie jetzt wissen wollen, ob bei den Hengartners