Bodenfrost. Erhart Eller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erhart Eller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741849800
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Schaffer fauchte ihn an: „Ich bin niemands Untertan, merk dir das, Knechtsseele.“ Der Landsknecht ging den Lumpigen an: „Zwar stimmt, was du sagst, aber du hast nichts zu sagen.“ Er schlug den Dürren mit der flachen Klinge. Dem luftigen Kerl schien die luftige Waffe echte Pein zu bereiten. Er heulte auf, fiel um, stand sogleich wieder auf den Beinen, erklärte frohgemut: „Man zwickt, zwackt, prügelt mich, doch ich bin unverwüstlich. Man haut mich um, doch stehe ich immer wieder auf. Ich bin nicht totzukriegen, ein richtiges Stehaufmännchen. Drauf bin ich stolz.“ Schaffer erboste sich. „Solltest dich was schämen. Anstatt wirklich aufzustehen, nämlich gegen diese beiden Menschheitsfeinde da, machst du den krummen Hund.“ Schief grinsend sprach der Zerlumpte: „Du hast’s grad nötig, eine dicke Lippe zu wagen. Bist doch ganz wie ich, du Feigling.“ Die behauptete Verwandtschaft bestritt Schaffer entschieden. Trotzig schmetterte er den aus Frankreich stammenden Kampfgesang: „Es rettet uns kein höh‘res Wesen, nicht Gott, noch Kaiser…“

      Am Morgen war Wilfried Schaffer aufgebrochen mit der Hoffnung, den Ausweg aus seiner Lage zu finden. Die Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Er war enttäuscht, allerdings nicht sehr. Die Hoffnung ist ja nur vag gewesen. Ein Gaukelspiel erlebte er, das so gar nicht zielführend war. Ja hatte er denn besseres erwarten dürfen als zum Beispiel dieses unsägliche Geschwätz der Figur mit der verbeulten Krone? Der Kerl schwafelte, er, der Kaiser, Herr der Welt nach göttlichem Gesetz, sei aus seiner Welt schnöde verjagt worden, nur eine lächerliche Verkörperung seiner gebe es noch, den Tenno, diese machtlose Gliederpuppe auf dem japanischen Tron. Ansonsten maßten sich allüberall unwürdige Leute die Macht an, befleckt mit dem Makel niederer Herkunft. Ach und Weh und Weh und Ach!

      Der in der Landsknechtskluft höhnte, der Kronenkerl sei immer nur eine Kostümpuppe und also auf ihn, den Mann des Schwerts, angewiesen gewesen. „Herrscher von Gottes Gnaden? Von meinen Gnaden, du Sack. Ich bin der eigentliche Welten-Herrscher, das war so, das ist so, das wird immer so sein.“ Er grinste den Zuschauer selbstgefällig an. „Zuweilen, in Sternstunden, hab ich den da in den Dreck geschmissen und mich selber auf den Tron gesetzt.“ Sein grobes Gesicht leuchtete auf. „Ich bin der, der zeigt wo’s langgeht. Ich bin unverzichtbar, denn Kriege wird es immer geben.“ Erbärmlich zeterte der mit der verbeulten Krone. Wie anmaßend sein Waffenknecht doch allzu oft sei. Des Waffenknechts Bestimmung sei, die Feinde seines Herrn in Schach zu halten und nicht, nach dem Tron zu gieren; nur ein Übermensch von edelstem Blut dürfe darauf sitzen, sonst sei der Tron entweiht. „Den da sollst du niederhalten, dass er nicht aufmuckt gegen mich, das ist deine Haupt-Aufgabe.“ Der da, das war der Zerlumpte. Der Geharnischte kitzelte den Kronenkerl mit dem Schwert an der Nase und stellte fest: „Edles Blut? Sieh an, es ist nicht blau, sondern auch bloß rot.“ Der Zerlumpte freute sich. „Das hast du gut gemacht, ja, zeig ihm seine Grenzen. „Da prügelte ihn der Söldner derb und brüllte dazu: „Was mischst du dich ein! Halts Maul!“ Der Zerlumpte stürzte heulend nieder, erhob sich hurtig, aus Wunden blutend. Zuschauer Schaffer wetterte: „Schämst du dich nicht, als Schwerbewaffneter einen Waffenlosen niederzuhauen!“ Der Geharnischte winkte ab: „Der braucht das immer mal, sonst wird er zu üppig. Dem macht das auch nichts aus. Der rappelt sich immer wieder hoch. Ein Stehaufmännchen, sagt er ja selber.“ Er musterte Schaffern verächtlich. „Was hast du überhaupt reinzureden, du Sack. Fünfundvierzig Jahre, Kerl und niemals im Kampfgetümmel gestanden und kein bisschen Kriegs-Erfahrung. Das ist ja abartig.“ Schaffer sprach. „Eins will ich klarstellen: Wären alle Menschen wie ich, gäbs keinen Krieg und wenig Zank und Streit.“ Im Stillen gab er zu: „Es gäbe keinen Krieg, aber auch keinen Widerstand.“ Weiter sprach er: „Was seid ihr doch alle drei für abscheuliche Zerrbilder. Du da mit der Schrottkrone nennst dich gottbegnadet und stinkst nach Verwesung, weil du schon lange auf dem Müllhaufen der Geschichte liegst. Und du da, lumpiges Stehaufmännchen, in milliardenfacher Ausführung vorhanden, könntest deine Unterdrücker erdrücken allein durch deine ungeheure Zahl, wenn du nur etwas Kampfgeist hättest. – Nun zu dir, du Säbelrassler. Du bist von euch Widerlingen der widerlichste. Man muss dich unschädlich machen, sonst hat die Menschheit keine Zukunft.“ Der Geharnischte grinste unverdrossen. Schaffer drehte sich weg und nahm Abstand. Der Grinser höhnte ihm hinterher: „Abtun? Mich? Ein unerfüllbarer Wunsch. Ich bin der ewige Soldat, mich wird es geben, solange die Welt besteht.“ Schaffer antwortete darauf nicht. Er hatte gesagt, was zu sagen war. Rasch entfernte er sich von dem Feuer, das nicht wärmte. Doch war die Walpurgis-Gaukelei natürlich nicht zuende. Plötzlich stand eine vierte Gestalt vor ihm. Er erschrak nicht sehr, da er sie längst erwartet hatte. Die Gestalt krächzte: „Das sind mir schöne Witzgebilde da drüben, besonders der eine. Von wegen ewiger Soldat und solange die Welt besteht. Es gibt nur eine unumstößliche Tatsache, die bin ich.“ Die tiefschwarze Gestalt hob sich gegen den nicht völlig dunklen Himmel ab wie ein Scherenschnitt. Sie öffnete ihre Hülle und zum Vorschein kam das übliche grell weiße Gerippe. Auch sie grinste, natürlich. Das breite Grinsen, welches seit je ihr Markenzeichen war. Das alles fand der unwillige Betrachter ganz unerotisch. Er stellte unwirsch fest: „Die drei da sind begrifflich, wurzeln in der Wirklichkeit. Du aber wurzelst in gar nichts. Du bist nicht vorhanden.“

      „Oha, für ein Nichts habe ich aber eine gewaltige Macht. Gib doch zu, auch du zitterst vor mir. Gewaltig schlottern wirst du spätestens dann, wenn ich dich ergreife.“

      Schaffer gab sich, wie er nicht war: ganz kühl. „Du schreckst mich nicht, du lächerliche Vogelscheuche. Immer im selben Kostüm, kriegst du das nicht satt?“

      „Aber nicht doch. Gestaltwechsel ist eine meiner leichtesten Übungen.“ Flugs verwandelte sich das Gerippe in ein dralles Kind mit rosigem Gesichtchen, dann in eine blonde Frau mit lockenden Augen, Kussmund, Lockenpracht. Schaffer winkte ab. „Zugegeben, du verstehst es, tam-tam zu machen um deine Nichtigkeit. Gleichwohl bist und bleibst du nichts als eine Gedankenkrücke, womit ein schwer fasslicher Zustand anschaulich gemacht werden soll.“

      Flugs wieder als Knochenmann gestaltet, plusterte sich die Gedankenkrücke auf. „Ich bin die einzige ewige Tatsache.“ Schaffer motzte: „Du bist eine größenwahnsinnige Null.“ Mit starkem Verwesungsgeruch tat die Gestalt kund, dass sie schwer beleidigt war. Schaffer sammelte seinen Willen, auf dass die Gestalt sich auflöse. Das tat sie nicht. Vielmehr gab sie eine Erklärung ab. „Du meinst, die Sonne geht jeden Morgen auf, jeden Abend unter? Falsch! Irgendwann wird es keine Sonne, keinen Morgen, keinen Abend noch geben. Hingegen ist unwandelbare Tatsache: Alles Lebendige muss sterben.“ Schaffer, mit tiefgehendem Unwillen, legte fest: „ Ich erkläre ich deinen Auftritt für beendet. Abflug!“

      Der mit geballtem Willen unterfütterten Abneigung konnte die Gestalt nicht länger widerstehen. Sie zappelte, verschwand dann mit einem unanständigen Geräusch, eine Wolke von übelstem Arom hinterlassend. „Erledigt!“ stellte Wilfried Schaffer fest, war gleichwohl nicht zufrieden, sondern fühlte sich unbehaglich, denn er ahnte: der letzte Auftritt der Gedankenkrücke war das nicht. Überhaupt argwöhnte er, dass die Akte „Walpurgis-Gestalten“ noch nicht geschlossen war.

      Tages-Abrechnung

      Der Tag war gelaufen, nicht wie gewünscht, gleichwohl nicht ganz erfolglos. Schaffers Magen knurrte vernehmlich. Da nun ein neues Datum galt, aß er Brot, Wurst, Käse. Zu trinken hatte er nichts mehr, brauchte auch nichts, denn er versicherte sich: „Ich bin kein Trinker.“ Es war schließlich nicht zu bestreiten, dass es Tage ohne Alkohol gab und nicht nur, wenn Geldmangel ihn zur Enthaltsamkeit zwang.

      Einen Wegweiser ins bessere Leben hatte er nicht gefunden, nur eine seltsame Vorspiegelung war ihm widerfahren, von der er nicht, noch nicht, wusste, was davon zu halten sei. Zugeben musste er, ganz verloren ist der vergangene Tag nicht gewesen; immerhin hatte er etwas Geld erarbeitet. Doch dieser unsinnige Abschluss! Der womöglich noch nicht erledigt war. Insbesondere traute er Nummer vier, der Gedankenkrücke, der Nichtgestalt, eine erhebliche Belästigungs-Fähigkeit zu. Er bat sich aus: „Dergleichen Ungesundes bitte nicht mehr. Wenn Vorspiegelung, dann nutzbringend, bitte sehr.“

      Seine Blase drückte. Er erleichterte sich an einen Pfahl des angrenzenden Weidezauns. Dann machte er sich auf den Heimweg. Er marschierte, von Hunden angekläfft, rund um die Siedlung. Das war leichtsinnig. Die Bewohner mochten den Schluss ziehen: „Wer zu solcher Zeit hier entlang streift, hat ein Verbrechen vor.“ Zum Glück schliefen sie alle fest genug. Nein,