Bodenfrost. Erhart Eller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erhart Eller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741849800
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ihm. Neugierig war er. „Sie in diesem Kaff, Plattner, warum, wie lange?“ Plattner, dem die Aufdringlichkeit missfiel, war gleichwohl froh, mit jemandem reden zu können und erklärte: „Anhänglichkeit an den Ort der Kindheit, Neugier, was ist beim alten, was ist anders.“ Worauf der andere, ein wenig von oben herab, erklärte, Rührseligkeit kenne er nicht, er habe die Fahrt von A nach B für einen Abstecher in dieses gottverlassene Nest unterbrochen, weil ihm seine Geschäftsnase sagte, hier könnte etwas zu holen sein.

      Plattner dachte: „Es scheint, dass der Pleitegeier über ihm kreist. Dieses gezwungene Sieger-Grinsen…“ Er kam auf den Namen: Schwertfeger. Und ihm fiel ein, er hatte raunen gehört, dieser Mensch sei in Ungesetzliches verstrickt. Also Vorsicht, kein Wort über Geschäfte! Stattdessen stellte er, nun auch etwas von oben herab, seine Geburtsstadt in günstiges Licht: bemerkenswerte Gebäude, eine Umgebung, die, wenn auch nicht mit weißen Stränden, klaren Bergseen, rauschenden Wäldern gesegnet, immerhin anmutige Hügel-Landschaft und ein liebliches Flusstal aufwies. Schlösser und Burgen, teils zwar verfallen, gab es so einige im Umkreis. Über Pläne und Vorhaben mochte Plattner nicht reden; die sollten Geschäftsgeheimnis bleiben. Doch, von den genossenen Getränken angeregt, drängte es ihn, über Unverfängliches zu schwatzen. Lehrerhaft wiederholte er einiges, das er bei der Stadtführung gehört hatte. Für besonders bemerkenswert hielt er die stattliche Anzahl von Schlachten, die hier herum geschlagen worden waren. Hohenmölsen… und so weiter. Damit traf er einen Nerv. Schwertfeger horchte auf. Er kippte sein Getränk, Weinbrand und Kaffee, eilig hinter, bestellte Nachschub, verlangte außerdem eine Gebietskarte und einen Zirkel. Die Kellnerin, von seinem barschen Ton verunsichert, teilte weinerlich mit, diese Dinge seien leider nicht im Angebot. Worauf Schwertfeger sie anfuhr: „Ich will das Zeug nicht verschlingen, sondern mal kurz leihen. Sie können mir ja eine Gebühr berechnen, wenn es Ihnen Spaß macht.“

      Eingeschüchtert zog sich die Bedienerin zur Theke zurück, wo nun eine kurze Beratung stattfand. Im Ergebnis kam der Thekenmann an den Tisch, erklärte, man wolle dem Wunsch des verehrten Gasts gern entsprechen, doch müsse man um etwas Geduld bitten.

      Schwertfeger knurrte, dass seine Geduld nicht endlos sei, bestellte aber neue Getränke, für sich und Plattner. „Als Dank für den hilfreichen Hinweis“, ließ er wissen. Plattner fragte sich, was es bedeuten sollte. Die verlangten Dinge kamen, Schwertfeger faltete die Karte auf und maß mit dem Zirkel. Seine Miene hellte sich auf. Er sagte leise: Rossbach, knapp zehn Kilometer Luftlinie, Hohenmölsen reichlich zehn, Großgörschen fünfzehn, Jena 30, Auerstedt knapp 40, und, Knall-Effekt: 25 Kilometer bis zum Leipziger Rand. Wo ist der Macher, der diese Schlachten ausschlachten wird? Er sitzt vor Ihnen, Plattner. Und Sie dürfen mitmachen.“ Er legte eine bedeutungsvolle Pause ein, nur das Glucksen seiner Kehle war hörbar. Dann verkündete er: „Ich habe eine Geschäftsnase, Plattner. Immer. Der kleine Umweg nach hier wird sich lohnen. Infrastrukturmäßig gibts nichts zu maulen. Vierspurige Umgehungsstraße, zwei Autobahnen, drei Bundesstraßen...“ Na Plattner, wie schaut‘s aus. Mit, ich sag mal, hunderttausend, bist du dabei.“

      „Ja, wie denn, wo denn, was denn?“

      „Ich werde den Tourismus aufmischen. Erlebnisreisen in die Kriegsgeschichte.“ Plattner dachte, „bin vor dir drauf gekommen, du Wichtigtuer. Wenn ich‘s wollte, würde ich‘s selber machen, allerdings ohne dich.“

      Es stellte sich jedoch heraus, der Wichtigtuer wollte es ziemlich anders angehen, als er selbst sich‘s vorgestellt hatte… „Das Aufregende wird im Vordergrund stehen. Mit Bildungsreisen habe ich nichts am Hut. Die Leute wollen ihre echten Bedürfnisse befriedigt haben." Er nahm einen großen Schluck, ließ ihn genüsslich hinabrollen, offenbarte dann: „Die Kriege schreien nach Vermarktung. Da es in echt hier herum keine gibt, werde ich die von früher nachmachen. Naturgetreu. Etwa so: Arbeitslose werden in originale Uniformen gesteckt, werden gedrillt, zwei Kampftruppen werden gebildet und dann auf ins Gefecht! Knallen muss es und es muss Blut spritzen.“ Plattner bemühte sich nicht, sein Befremden zu verbergen. Schwertfeger kam noch mehr in Schwung. „Ganz zu Anfang reichen Böller und Platzpatronen. Nachher aber werden echte Schlachten geschlagen. Es wird nicht mehr Tomatenmark oder Filmblut eingesetzt, echtes wird fließen. Erst werden kleine Rotten kämpfen, dann richtig große Truppenteile.“ Er leuchtete auf. „Das Geschäft wird brummen.“

      Plattner, entsetzt, sagte sich: „Nur nicht widersprechen. Bei Verrückten ist Vorsicht geboten.“ Er sprach: „Kommendes Wochenende wird es ein Schlachtspiel bei dem Dorf Großgörschen geben. Das veranstaltet man jedes Jahr zum Gedenken an die Schlacht von Achtzehnhundertdreizehn. Schauen Sie es sich an, Sie werden bestimmt Anregungen bekommen.“ Schwertfeger meinte verächtlich: „Ist bestimmt nur ein altbackenener Abklatsch. –Wenn ich überhaupt etwas dabei lernen kann, dann, wie ich es nicht machen soll.“

      Plattner dachte sich sein Teil, während Schwertfeger auf die Kapitalfrage kam. „Ich werde es ganz groß aufziehen. Das kann ich natürlich nicht voll und ganz alleine stemmen. Mitmacher sind gefragt. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, will heißen, hat bessere Karten, als solche, die hinterher traben. Guter Rat in alter Freundschaft: Plattner, steig ein. Trommle für die Sache. Mach den Geldleuten, die du kennst, das Maul wässrig. Das Wichtigste ist allerdings: an Fördertöpfe kommen. Na, damit kenne ich mich aus.“ Er lächelte ziemlich schmutzig. Plattner schwieg. Aus Vorsicht wollte er diesem Schwertfeger nicht gleich aufs Brot schmieren, dass er sich an so etwas Verrücktem keinesfalls beteiligen werde. Ganz und gar entgleist war doch dieser Mensch. Von wegen alte Freundschaft. Da war nur Bekanntschaft, ziemlich flüchtig. Gleichwohl war ihm Schwertfegers übergroßes Selbstbewusstsein schon damals aufgefallen. Solchen Wahnwitz allerdings hatte er an dem Mann seinerzeit nicht wahrgenommen. Wahrscheinlich waren ihm zweifelhafte Geschäfte schief gelaufen und er musste nach jedem Strohhalm greifen, um sich vielleicht über Wasser zu halten. Der Strohhalm-Greifer tönte prahlerisch: „Ich werde dieses elende Nest aufblühen lassen. Man wird mir die Hände küssen, denn durch meine Innovation wird das Hotel- und Gaststättengewerbe brummen. Ich sorge für höheres Steueraufkommen. Dank meiner Tatkraft wird man die bröckelnden Ruinen aufmotzen können. Wenn die Stadt durch meine Aktivität dann etwas hermacht, werden sich namhafte Firmen niederlassen und nicht bloß Billligheimer.“ Plötzlich wurde er nachdenklich und seufzte: „Die Bürokratie ist der Hemmschuh für alle Innovation. Anfang der Neunziger war hierherum das Eldorado für unsereinen. Alles war jetzt und sofort machbar, ohne Genehmigungen, Planfeststellungsverfahren und solchen Kram. Ein paar markige Sprüche, mit dem Scheckbuch gewedelt und das Ding war gegessen. Inzwischen ist es hier schlimmer wie im richtigen Deutschland. Krankhaft ist doch dieses Misstrauen gegen Macher. Man muss immer mehr tricksen, um voran zu kommen.“

      Plattner dachte: „Du wirst wohl einen erklecklichen Anteil daran haben, dass das Misstrauen großgewachsen ist. Ich schätze, im Tricksen bist du seit jeher ein As gewesen.“

      Schwertfeger schwafelte weiter, ohne Punkt und Komma: „Mitmachen darf wer will und genügend besattelt ist aber das Sagen kann nur einer haben sonst geht’s unweigerlich schief ich kenne paar Leute hier herum, die Einfluss haben aber geistig träge sind. Die müssen wir ködern, Plattner Freundschaftsgeschenke und so, na du kennst es ja von daheim.“ Endlich gab es eine Pause, da Schwertfeger Getränk in seine glucksende Kehle goss. Dann: „Einen Vorteil hat der wilde Osten noch: Die Entscheidungsträger sind noch nicht ganz so versaut, man kommt mit etwas weniger Schmiermittel aus. Aber die Nachteile! Tief verwurzelt ist die Feindschaft gegen das freie Unternehmertum. Da wirkt der Kommunismus nach. Dabei ist doch logisch, dass nur ein schrankenlos freies Unternehmertum aus einer wüsten Landschaft eine blühende erschaffen kann. Wie sieht‘s denn aus hier - in der Wirtschaftsleistung ganz unten, in der Arbeitslosen-Statistik oben dran. Wenn die matten Beamtenseelen nicht so begriffsstutzig wären, würden sie mir einen roten Teppich ausrollen. Eine nennenswerte Industrie wird es hier nie wieder geben. Und dass sich Behörden mit kaufkräftigen Beamten ausgerechnet in diesem Kaff ansiedeln, kann man vergessen. Also heißt das Zauberwort: Dienstleistungs-Gesellschaft. Das müsste einleuchten, ohne dass man Scheine rüberschieben muss.“ Nach einer kleinen Denkpause stellte er fest: „Es ist ja so, dass sich in einem Krisengebiet billiger was aufbauen lässt, als, beispielsweise, im überfütterten Baden-Baden. Die Schleuderlöhne sind ein großer Standort-Vorteil oder etwa nicht, Plattner? – Wie hoch steigen Sie ein?“

      Plattner,