Blutspur in Locronan. Jean-Pierre Kermanchec. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean-Pierre Kermanchec
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742785985
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      „Ein Zeuge ist immer gut, aber wir müssen Ihr Alibi überprüfen. Wir bedanken uns für Ihre Auskunft. Au revoir, Monsieur Hirgars.“

      Ewen und Paul verließen die Galerie und machten sich auf den Weg zur nahegelegenen Gasse, Venelle du Prieuré. Hier hatte der Skulpteur, Marc Legall, seinen kleinen Laden und seine Werkstatt. Von außen wirkte das Haus wie ein gewöhnliches Wohnhaus mit blauen Fensterläden. Erst bei näherem Hinsehen erkannte man die Skulpturen hinter den Fenstern. Die Eingangstür, noch aus der Zeit, in der die Menschen nicht größer als einen Meter siebzig waren, war so niedrig, dass Ewen sich bücken musste, um seinen Kopf nicht am Türrahmen anzustoßen.

      „Bonjour Monsieur! Sind Sie Marc Legall?“, fragte er den Mann, der im hinteren Teil des Raumes mit Aufräumarbeiten beschäftigt war. Der Angesprochene drehte sich um und sah die beiden Kommissare mit gewisser Verwunderung an.

      „Ja, ich bin Marc Legall. Was kann ich für Sie tun?“

      „Mein Name ist Ewen Kerber von der police judiciaire Quimper, und das ist mein Kollege, Paul Chevrier. Es geht um die Ermordung von Didier Kerduc.“

      „Schreckliche Sache, Didier war ein guter Freund. Wir sahen uns täglich.“

      „Wir haben schon davon gehört. Ich nehme an, dass Sie sich auf seine Tätigkeit als Briefträger beziehen?“

      „Ganz genau, er brachte mir meine Post und wir unterhielten kurz. Natürlich wurde auch über die Pardons gesprochen. Didier wollte für uns Künstler und auch für die Stadt wertvolle Neuerungen einführen, die unsere Einnahmen bestimmt positiv beeinflusst hätten.“

      „Wann haben Sie Kerduc zum letzten Mal gesehen?“

      „Das war vorgestern. Er kam in der Regel gegen Mittag bei mir vorbei. Als er gestern nicht kam, habe ich mir sofort gedacht, dass entweder etwas mit ihm geschehen war oder aber, dass er ernsthaft erkrankt sein musste. Didier hat in all den Jahren kein einziges Mal gefehlt.“

      „Ist Ihnen in den letzten Tagen irgendetwas aufgefallen? Hat er von Anfeindungen oder Streitereien erzählt?“

      „Nein, Didier ist bei allen im Ort beliebt gewesen. Er hätte bestimmt etwas davon erzählt, wenn er angefeindet worden wäre.“

      „Was haben Sie gestern Morgen zwischen 10 und 10 Uhr 30 gemacht, Monsieur Legall?“

      „Was ich gemacht habe? Ist Didier in der Zeit umgebracht worden? Meinen Sie, dass ich etwas damit zu tun habe?“

      „Bitte beantworten Sie nur unsere Frage. Wir müssen diese Frage stellen.“

      „Nun, lassen Sie mich nachdenken! Gestern?“

      Marc Legall schien sich nicht sogleich zu erinnern, wo er sich gestern Morgen aufgehalten hatte. Es dauerte eine Weile bis er sich ein wenig erinnerte.

      „Also, ich glaube, dass ich um diese Zeit hier in meinem Atelier gewesen bin, kann es aber nicht mit Sicherheit sagen. Es kann auch sein, dass ich genau in der Zeit bei meinem Kollegen Yannick Berdu gewesen bin. Yannick und ich möchten zusammen eine neue Serie von Skulpturen des Heiligen Ronan kreieren und arbeiten an einem gemeinsamen Entwurf.“

      „Wenn Sie in der Zeit bei Monsieur Berdu gewesen sind haben Sie ein gutes Alibi.“

      „Ich bin mir aber nicht sicher.“

      „Haben Sie vorerst vielen Dank, Monsieur Legall. Wir melden uns, falls wir weitere Fragen haben. Au revoir!“

      Damit verabschiedeten sich Ewen und Paul von dem Mann und verließen sein Atelier.

      „Etwas seltsam, findest du nicht auch?“, sagte Paul zu Ewen, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatten.

      „Etwas seltsam seine Erinnerungslücken nach so kurzer Zeit. Wir werden mit Monsieur Berdu sprechen müssen. Wer steht jetzt auf unserer Liste?“

      Paul schlug seinen kleinen schwarzen Notizblock auf und sah nach.

      „Du hast vorgeschlagen, nach Legall, den zweiten Beisitzer, Corentin Kerelle, zu besuchen. Wir können unseren Wagen hier stehen lassen und die wenigen Meter zur Place de l’Église zu Fuß zurücklegen.“

      „Eine gute Idee, wir sitzen sowieso zu viel im Büro oder im Auto.“

      Ewen und Paul folgten der Rue du Prieuré, die mit ihrem Kopfsteinpflaster den mittelalterlichen Charakter des Dorfes noch verstärkte. Der Weg führte vorbei an den Mauern, die die einzelnen Granithäuser zur Straße hin vor neugierigen Blicken schützten und über die Kronen prächtiger Rhododendren und Hortensien hervorsahen. Der Place de l’Église war schnell erreicht. Sie fanden das Geschäftslokal von Monsieur Kerelle an der linken Seite des Platzes sofort. Ewen kannte den Laden von früheren Besuchen. Hier hatte er mehr als hundert verschiedene Biersorten aus der Bretagne gefunden, verschiedene Honigsorten, allerdings keinen der schwarzen Bienen von Ouessant, zahlreiche Konserven mit Sardinen, Thunfisch und Makrelen, sowie jede Menge typischer bretonische Mitbringsel. Abgesehen von Bier und Honig konnte er sich nicht erinnern, hier viel eingekauft zu haben. Der Laden war, trotz des Wochenanfangs und des Vormittags, bereits gut besucht. Ewen zählte an die zwölf Kunden, die, alles genau betrachtend, durch den Laden schlenderten.

      Rechts neben der Tür stand die Kasse und hinter dem Tisch ein Mann von vielleicht fünfzig Jahren. Ewen steuerte auf ihn zu.

      „Monsieur Kerelle?“, fragte er ihn, als er vor dem Tisch stand und seinen Ausweis bereits in der Hand hielt.

      „Ja, Corentin Kerelle ist mein Name, was kann ich für Sie tun, Monsieur le Commissaire? Ich habe doch richtig gelesen, Sie sind Commissaire?“

      „Da liegen Sie richtig, Monsieur Kerelle. Ich bin Ewen Kerber, und das ist mein Kollege, Paul Chevrier. Sie können sich sicherlich vorstellen, weshalb wir Sie aufsuchen?“

      „Der tragische Tod meines Freundes, Didier Kerduc, nehme ich an.“

      „Genau deswegen sind wir hier, Monsieur Kerelle. Wir erhoffen uns von Ihnen Unterstützung bei der Aufklärung des Verbrechens. Können Sie uns irgendetwas zu Kerduc sagen, was uns weiterhelfen könnte?“

      „Wenn Sie meinen, ob ich jemanden kenne, der Didiers Tod gewünscht hätte, dann sieht es schlecht aus. Didier ist überaus beliebt gewesen im Ort. Durch seinen Beruf hat er zu Jedermann Kontakt gehalten. Ich glaube nicht, dass es einen Mitbürger in unser Stadt gibt, der etwas gegen ihn gehabt hat.“

      Paul, der stichwortartig die Aussagen des Befragten in sein schwarzes Notizheft notiert hatte, sah jetzt auf und sprach Kerelle an.

      „Könnte es sein, dass Kerduc durch seinen Beruf etwas erfahren hat, was eher verborgen bleiben sollte?“

      „Was meinen Sie mit verborgen bleiben?“

      „Nun, ich stelle mir beispielsweise vor, dass ein verheirateter Mann einen Liebesbrief von einer Frau erhält. Der Briefträger ist der Erste, der das mitbekommt.“

      „Ach, Sie meinen, das wäre bereits Grund genug, einen Mann zu ermorden? Das halte ich für absurd.“

      „Monsieur Kerelle“, schaltete Ewen sich wieder ein. „Das wäre nicht der erste Mensch, der wegen seines Wissens und einer damit verbundenen, versuchten Erpressung ermordet worden wäre. Können Sie sich so etwas vorstellen? Oder hat Monsieur Kerduc Ihnen gegenüber einmal eine solche Äußerung gemacht?“

      „Nein, beim besten Willen, ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen.“

      „Wie eng war Ihre Freundschaft zu Monsieur Kerduc?“

      „Wir haben eine ziemlich enge Freundschaft gepflegt. Er hat in der Rue de la Montagne gewohnt, nur wenige Schritte von hier entfernt. Übrigens wohnt auch Elouan Pennoù unweit der Straße. Kerduc und ich, wir haben uns häufiger nach Ladenschluss getroffen und einen Cidre zusammen getrunken, in der Crêperie, ein paar Häuser weiter. Da wir zusammen im Vorstand des Troménie-Vereins gewesen sind, haben wir uns bei der Gelegenheit oft auch über die zukünftige Gestaltung der Pardons unterhalten. Unsere Ansichten über die Erneuerungen und Ausgestaltung