Blutspur in Locronan. Jean-Pierre Kermanchec. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean-Pierre Kermanchec
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742785985
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sagen.

      Locronan lag knappe achtzehn Kilometer nordwestlich von Quimper. Für die Strecke würden sie weniger als zwanzig Minuten benötigen. Sie stiegen in ihren Dienstwagen, einen Citroën C5, ein bretonischer Wagen, weil er in Rennes gebaut worden war, und fuhren in den weithin bekannten kleinen mittelalterlichen Ort. In Locronan hatte es in all den Jahren, in denen Ewen Kerber die Leitung der Mordkommission bei der police judiciaire von Quimper innehatte, noch nie einen Mord gegeben.

      Die Ortschaft war weit über die Grenzen der Bretagne hinaus bekannt. Die alten Häuser dienten so manchem Regisseur als Filmkulisse. Namhafte Filmproduzenten, unter anderem auch Roman Polanski, hatten bereits in dieser Stadt gedreht. Dabei hatten die Filme nicht einmal in der Bretagne spielen müssen. Der Austausch von einigen Schildern hatte bereits genügt, um aus dem bretonischen Ort eine Ortschaft in England entstehen zu lassen.

      Ewen war schon mehrfach mit Carla in den kleinen Ort gefahren, um die Glasbläserei zu besuchen, oder weil Carla bei den Troménies dabei sein wollte.

      „Wo liegt der Tatort?“, fragte Ewen seinen Kollegen während der Fahrt.

      „In der Verlängerung der Rue de la Montagne, genauer gesagt, in der Rue de la Troménie, ich habe die Kollegen von der Spurensicherung schon informiert, und auch Yannick Detru müsste bereits unterwegs sein“, antwortete Paul und sah in sein Notizbüchlein.

      „Wusstest du, Paul, dass die Route der Wallfahrt, vor allem die der großen, beinahe in einem Viereck um den Berg von Locronan führt? Ich habe das gelesen. Der Tatort liegt also nicht auf der Wallfahrtsstrecke.“

      „Das macht doch keinen Unterschied?“

      „Natürlich nicht, Paul, ein Mörder nimmt in der Tat keine Rücksicht auf einen heiligen Ort. Selbst die heiligsten Orte werden heute zum Schauplatz von Gewaltverbrechen.“

      Sie erreichten Locronan und fuhren mit gemäßigtem Tempo durch die Fußgängerzone. Der Ort war in den Sommermonaten für den Verkehr gesperrt, mit dem Blaulicht durften die Kommissare aber das Zentrum durchfahren. Vorbei an der Glasbläserei, die Ewen bereits besucht hatte, fuhren sie in die Rue de la Montagne. Nach wenigen hundert Metern sahen sie bereits die Einsatzfahrzeuge der Gendarmerie und die Bänder der Fundortabsperrung. Ewen parkte den Wagen, die beiden Kommissare stiegen aus und näherten sich der Absperrung. Sie zeigten dem Gendarmen, der den Zugang kontrollierte, ihren Ausweis und gingen auf die Leiche zu.

      Yannick Detru, der Pathologe des Kommissariats, stand bereits bei der Leiche und Dustin Goarant, der Leiter der Spurensicherung, sammelte mit seinen Leuten alles auf, was sich im Umfeld des Toten finden ließ.

      „Bonjour Yannick, was kannst du uns schon sagen?“

      „Noch relativ wenig. Der Mann ist mit einem Messer erstochen worden. Die Einstichstellen sind hier auf dem Rücken zu sehen. Der Angreifer ist wohl auf Nummer sicher gegangen. Der Tote hat insgesamt vier Einstichstellen. Um was für ein Messer es sich genau gehandelt hat kann ich erst nach der Autopsie sagen.“

      „Hat der Angreifer ihm alle Stiche verpasst, solange der Mann noch aufrecht gestanden hat?“

      „Das kann ich mir schwerlich vorstellen. Das Opfer dürfte bereits nach dem ersten Stich zusammengesackt sein. Wenn der Täter nicht über enorme Kräfte verfügt hat, um ihn mit einer Hand festzuhalten, muss er ihm die anderen Verletzungen zugefügt haben als der Mann schon auf dem Boden lag. Aber Genaueres kann ich erst sagen, wenn ich die Einstichwinkel untersucht habe.“

      Ewen sah sich die Einstichstellen auf dem Leichnam an. Der Tote lag auf dem Bauch, und die Wunden auf seinem Rücken waren deutlich zu erkennen. Der Mann trug einen dünnen, hellblauen Baumwollpullover, ein kariertes Hemd, eine ältere Jeans und Wanderschuhe. An den Einstichstellen hatten sich vielfältige Blutflecken gebildet, die auf dem Pullover entsprechende Spuren hinterlassen hatten. Paul hatte zwischenzeitlich einen der Gendarmen gefragt, wer den Toten gefunden hatte.

      „Der ältere Herr dort drüben. Wir haben ihn gebeten auf Sie zu warten.“

      Paul bedankte sich bei dem Kollegen und ging auf den Mann zu. Er schätzte den Mann auf Mitte sechzig, etwa einen Meter achtzig groß. Sein ovales Gesicht war für sein Alter erstaunlich glatt. Er trug einen Schnurrbart, ähnlich dem von Ewen. Die grauen Haare, die unter der Hutkrempe herausragten, verliehen ihm ein weises Aussehen. Paul trat näher an den Mann heran und konnte seine braunen Augen erkennen, die sehr wach die Umgebung zu betrachten schienen. Die buschigen Augenbrauen erinnerten Paul an Jemanden, ohne dass er sagen konnte an wen. Auf dem Rücken trug der Mann einen Rucksack.

      „Bonjour Monsieur, mein Name ist Paul Chevrier, ich bin Kommissar der police judiciaire aus Quimper. Sie haben den Toten gefunden?“

      „Bonjour Monsieur le Commissaire, mein Name ist Elouan Pennoù. Ja, ich habe Didier gefunden.“

      „Sie kennen den Toten?“

      „Aber sicher, Monsieur le Commissaire, wir kennen, ich meine wir kannten uns seit mehr als zwanzig Jahren. Er ist mein Nachfolger als Präsident des Organisationskomitees der Pardons.“

      „Dann können Sie mir bestimmt sagen, wie der Tote mit Nachnamen heißt?“

      „Natürlich kann ich das. Sein vollständiger Name ist Didier Kerduc.“

      „Haben Sie etwas beobachtet als Sie hierhergekommen sind? Eine Person die sich entfernt hat oder sonst etwas Auffälliges?

      „Nein, überhaupt nichts, ich bin von meinem Spaziergang zurückgekommen, und da habe ich ihn dort liegen gesehen. Ich habe sofort die Gendarmerie informiert, und die sind auch schon nach wenigen Minuten hier gewesen.“

      „Haben Sie etwas verändert an der Leiche? Zum Beispiel die Lage?“

      „Nein, wo denken Sie hin. Ich habe sofort die Gendarmerie informiert und hier gewartet.“

      „Geben Sie mir doch bitte Ihre Adresse und Ihre Telefonnummer, damit wir Sie erreichen können, falls noch Fragen auftauchen.“

      „Ich wohne in der Rue de la Montagne.“ Er nannte Paul seine Telefonnummer, und Paul ging zurück zu Ewen.

      Ewen Kerber war im Gespräch mit Dustin Goarant von der Spurensicherung, als Paul wieder zu ihnen trat.

      „Ich habe den Namen des Toten erfahren, Ewen“, sagte er zu seinem Freund.

      „Das ist gut, Paul. Dustin sagt mir gerade, dass der Tote keinerlei Papiere oder ein Portemonnaie bei sich getragen hat. Nur ein Hausschlüssel ist in der Hosentasche gewesen. Entweder sind ihm die Sachen gestohlen worden, dann können wir von einem Raubmord ausgehen, oder sie befinden sich alle in seiner Wohnung. Wie heißt der Mann?“

      „Didier Kerduc, er wohnt in der Rue de la Montagne. Wir sind auf dem Weg hierher durch die Straße gefahren.“

      „Dann sehen wir uns sein Haus anschließend gleich an. Seinen Hausschlüssel haben wir ja in der Hosentasche gefunden.“

      „Kennt unser Zeuge den Toten gut?“

      „Er sagt, dass sie über zwanzig Jahre lang im Organisationskomitee der Pardons von Locronan gewesen sind. Der Tote ist der Nachfolger unseres Zeugen.“

      „Wie heißt der Mann?“

      „Elouan Pennoù, ein seltener Name.“

      „Der Name klingt so, als sei der Mann ein Nachkomme einer uralten, bretonischen Familie. Ich würde mich auch noch gerne mit dem Mann unterhalten.“ Ewen ging auf den älteren Herrn zu.

      „Bonjour Monsieur Pennoù, mein Name ist Ewen Kerber von der police judiciaire aus Quimper. Ich leite hier die Ermittlungen. Sie haben einen seltenen Namen.“

      „Da haben Sie Recht, Monsieur le Commissaire. Der Name geht zurück bis in das 10. oder 11. Jahrtausend. Ich gehöre somit zu den Ureinwohnern, wenn man es so ausdrücken kann.“

      „Monsieur Pennoù, Sie haben den Toten gefunden, und mein Kollege hat mir gesagt, dass Sie ihn sehr gut gekannt haben.“

      „Das ist richtig, er