Blutspur in Locronan. Jean-Pierre Kermanchec. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean-Pierre Kermanchec
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742785985
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ein, dass er mit seiner Überzeugungskraft alleine hier nichts erreichen konnte. Er bat Gott, seinem kleinen Glöckchen, das er stets bei sich trug, eine solche Kraft zu verleihen, dass der Klang des Glöckchens weithin über das Meer zu hören war. Gott erfüllte ihm diese Bitte und Ronan benutzte die Glocke, um die Schiffe auf dem Meer vor den Gefahren der armorikanischen Küste zu warnen, falls sie dieser zu nahekamen.

      Als die Schiffe ausblieben und nicht mehr verunglückten, gaben die Bewohner Ronan die Schuld. Vor allem die Frauen ärgerten sich über ihn. Da beschloss der Heilige, den bösen Menschen zu entfliehen und sich in die Wälder zurückzuziehen. Zu jener Zeit war der größte Teil der Bretagne noch von Wäldern bedeckt.

      Sein Felsen, mit dem er von Irland bis an diese Küste gelangt war, lag noch am Strand. Er setzte sich auf den Felsen, der sich sofort in eine steinerne Stute verwandelte, und eilte im Galopp davon. Zurück blieben die erstaunten Menschen. Der Heilige Ronan ritt mehrere Tage übers Land und hielt erst am Fuße eines hohen Berges an. Der Berg, der heute den Namen Ménez-Hom trägt, wurde von ihm ausgewählt, um dort seine Einsiedelei zu errichten. Er baute sich eine Hütte aus Lehm und Stroh und führte fortan ein asketisches Leben, das Leben das er so liebte. Der Ort erschien ihm gut gelegen. Er lag nicht weit vom Meer entfernt, direkt am Waldrand. Ronan wanderte den ganzen Tag. Am Morgen nach Osten und am Abend nach Westen. Er durchstreifte so die Gegend in unmittelbarer Nähe seiner Klause. Einmal in der Woche, bevor er sein Fasten unterbrach, unternahm er eine längere Wanderung von mehreren Meilen. Bei dieser Gelegenheit umrundete er die ganze Gegend seines neuen Zufluchtsortes.

      In Erinnerung an die zwei Wanderungen des Heiligen Ronan, dem Tro-Menehi (Wanderung um die Herberge) und dem Tro-menez (Wanderung um den Berg), wird jedes Jahr eine eintägige Wallfahrt und alle sechs Jahre eine wöchentliche Wallfahrt zu Ehren des Heiligen Ronan abgehalten.

      Ronan hatte sich entschieden, die Menschen nicht mehr bekehren zu wollen, sondern ein Leben als Einsiedler zu führen. Fortan sprach er nur noch mit den Bäumen, Pflanzen, Tieren und den Steinen. Selbst die Wölfe gehorchten dem Heiligen und benahmen sich in seiner Gegenwart so zahm und sanft wie Lämmer.

      Die Bewohner dieser Gegend fürchteten sich jedoch vor ihm. Er war ein Fremder, der aus einem unbekannten Land hierhergekommen war. War er vielleicht ein Zauberer? Ein böser Geist? Oder vielleicht sogar der gefürchtete Werwolf?

      Sobald etwas Unvorhergesehenes in der Gegend passierte, wurde es ihm angelastet. Wenn bei Waldarbeiten ein Baum einen Holzfäller erschlug, waren die Menschen überzeugt, dass Ronan einen Fluch ausgesprochen hatte. Es dauerte nicht lange und eine Anzahl Menschen schloss sich zusammen, um den Einsiedler in der Nacht im Schlaf zu überfallen. Sie machten sich gerade auf in den Wald zu gehen, als der Penntiern von Kernevé sie aufhielt. Er war der Chef des Stammes und sein Ansehen war so groß, dass die Leute auf ihn hörten.

      „Wenn Ronan ein Zauberer ist, kann er sich eurer Angriffe erwehren. Trägt er aber keine Schuld an den Unglücken, so begeht ihr eine Tat, die nur verdammt werden kann. Ich werde zu dem Einsiedler gehen und mit ihm sprechen.“

      Er machte sich auf den Weg zu dem Einsiedler. Ronan empfing ihn freundlich und sprach mit ihm über seinen Glauben. Der Penntiern war so beeindruckt von dem Heiligen Ronan, dass er fortan an seiner Seite leben wollte. Ronan wollte das nicht und überzeugte ihn, wieder zu seinen Leuten zurückzugehen und ihnen seine Botschaft des Friedens zu überbringen. Der Stammeschef versuchte immer wieder zu ihm zurückzukehren und sein Schüler zu werden. Er bemühte sich sehr, brachte es aber nicht fertig, ein so asketisches Leben zu führen wie Ronan. Die Frau des Penntiern, Kébén (der Name gilt heute als Schimpfwort und bezeichnet eine bösartige Frau) hinderte ihn daran. Die Beziehung ihres Mannes zu Ronan war ihr ein Dorn im Auge. In ihren Augen trug der Heilige die Schuld daran, dass ihr Mann sie vernachlässigte. Sie wollte Ronan loswerden. Um ihr Ziel zu erreichen, schloss sie sich mit den anderen Feinden des Heiligen zusammen und überzeugte sie, dass sie seine Hütte in Brand setzen mussten.

      In der darauffolgenden Nacht schlichen die Brandstifter zu Ronans Klause. Plötzlich erwachte die steinerne Stute aus ihrem langjährigen Schlaf, erhob sich und wieherte laut. Daraufhin ergriffen die Brandstifter eiligst die Flucht. Kébén rief ihnen Schmähungen nach, bezeichnete die Männer als erbärmliche Feiglinge und ging alleine zu Ronan. Durch das Wiehern seiner Stute war er erwacht und stand vor seinem Eingang. Er befahl der Frau sich sofort zurückzuziehen. Sie wollte nicht gehorchen und ging weiter auf ihn zu. Plötzlich wurden ihre Beine schwerer und schwerer und fühlten sich wie gelähmt an. Erst als Ronan ihr ihre Kräfte wieder zurückgab, konnte sie weglaufen.

      Sie gab sich aber nicht geschlagen. Wenn sie ihn nicht mit Gewalt vertreiben konnte, würde sie es mit List versuchen. In der folgenden Nacht nahm sie ihre kleine Tochter, den Liebling ihres Mannes, des Penntiern, aus dem Bett und schloss das Kind in eine hölzerne Truhe ein. Diese versteckte sie hinter einem Holzstoß. Dann erzählte sie den Leuten vom Verschwinden ihres Kindes und behauptete felsenfest, dass der Werwolf, also Ronan, das kleine Mädchen geholt hatte. Die ganze Gegend wurde von ihr aufgehetzt, und alle forderten Gerechtigkeit. Kébén ging jetzt persönlich zum König Gradlon und beschuldigte Ronan in aller Öffentlichkeit der Zauberei.

      Der König galt als gerecht und weise. Er versprach, die Vorwürfe zu überprüfen. Er forderte den Heiligen Ronan auf, zu ihm zu kommen. Ronan ging zum König und beteuerte seine Unschuld, nachdem er die Vorwürfe angehört hatte. Da Gradlon nicht wusste, wie er die Wahrheit herausbekommen konnte, entschied er sich zu einem Gottesurteil.

      „In meinem Hundezwinger habe ich zwei fürchterliche Bulldoggen. Sie können mit ihren Zähnen jedes Lebewesen zerfleischen gegen das man sie hetzt. Wir werden ihnen befehlen, sich auf Ronan zu stürzen. Wenn er unschuldig ist, wird seine Unschuld ihn retten.“

      Die Hunde wurden von der Kette gelassen und wollten sich auf Ronan stürzten. Der Heilige aber erhob die Hand, machte das Kreuzeszeichen und befahl:

      „Gehorcht dem Allmächtigen!“

      Sofort wurden die Hunde friedlich und leckten seine Füße. König Gradlon bat den Einsiedler daraufhin um Verzeihung.

      Ronan versicherte dem König seine Ergebenheit und war bereit, die Angelegenheit aufzuklären. Er bat, dass man die Truhe holen sollte, die hinter einem Holzstoß beim Haus der Klägerin verborgen war. Als die Truhe gebracht wurde, befahl er, sie zu öffnen. Alle Anwesenden sahen das tote Kind in der Truhe liegen. Da begann Kébén erneut mit ihren Beschuldigungen, um Ronan die Schuld an dem Tod des Kindes zu geben. Doch plötzlich richtete das Kind sich auf und warf sich in die Arme seines Vaters. Jetzt erkannten alle die wahre Schuldige. Die Menschen forderten ihre Bestrafung für die infamen Lügen. Die Bewohner wären sogar bereit gewesen, die Frau zu steinigen. Aber der Heilige Ronan verlangte, dass sie unversehrt nach Hause gehen durfte.

      Von da an wurde Ronan von allen verehrt und hoch geachtet. Ronan verzieh allen, wollte aber weiterhin nicht mehr in der Gegend leben. Er zog aus der Cornouaille weg und verbrachte seine letzten Jahre in der Nähe der Stadt Saint-Brieuc. Dort verstarb er an einem Abend vor Karfreitag.

      Die ganze Bretagne stritt darüber, wer jetzt eine Begräbnisstätte für Ronan bereitstellen durfte. Da man sich nicht einigen konnte, bekamen die Menschen Angst, denn falls sie eine falsche Stelle auswählten, würde der Heilige Ronan bestimmt die Pest über den Landstrich ausbrechen lassen oder die ganze Region in ein Moor verwandeln. Ihn in einer Kirche zu beerdigen schien ebenfalls nicht die richtige Entscheidung zu sein, schließlich versammelte sich dort das Volk, und Ronan hatte zu Lebzeiten die Gesellschaft der Menschen gemieden. Die Stammesführer der Bretagne standen um den Leichnam herum und überlegten, was zu tun sei. Da machte einer der ehrenwerten Herren einen weisen Vorschlag:

      „Wir haben ihn zu seinen Lebzeiten nie verstehen können. Es ist einfacher gewesen, den Zug der Schwalben am Himmel, als die Spur seiner Gedanken nachzuvollziehen. Nun da er tot ist, soll er ebenso auf seine Art entscheiden. Lasst uns einen Wagen aus Holzstämmen bauen, vor den wir vier Ochsen spannen. Er wird den Karren bis zu der Stelle lenken, an der er begraben werden möchte.“

      So geschah es! Die Ochsen zogen den Wagen immer geradeaus durch den dichten Wald, wie von unsichtbarer Hand Ronans gelenkt. Die Bäume neigten sich oder brachen unter ihren Tritten mit furchtbarem Krachen. Als