„Na, die nimmst du mit, für dich und Robert.“, sagte Klaus.
Falk überlegte, was mit den letzten Einmachgläsern von seinem Vater passiert war. Er war fast sicher, dass die noch irgendwo auf einem Regal in der WG-Küche verstaubten.
„Die krieg ich doch jetzt gar nicht mit, auf dem Fahrrad.“, wendete er daher ein. „Außerdem wollte ich dich nach was anderem fragen: wir hatten doch hier irgendwann mal ein Schlauchboot, oder nicht?“
Klaus, der ein inneres Ordnungssystem für seinen Kellerraum ersonnen hatte, welches niemand außer ihm kannte – Claudia war nach eigenem Bekunden seit Jahren nicht mehr hier unten gewesen – begann zielsicher, sich in eine düstere Ecke vorzuarbeiten, wobei er übereinandergestapelte Stühle, zusammengebundene Fahrradschläuche, Sofakissen und allerlei Kartons in einem anderen Bereich verstauen musste, bis er schließlich einen großen Wäschekorb hervor zerren konnte. Früher waren sie mit dem Boot auf dem Schleichersee im Paradies herumgepaddelt, und im Urlaub an der Ostsee war es auch schon zum Einsatz gekommen. Gemeinsam betrachteten Falk und Klaus nun den zusammengeknüllten gelben Gummihaufen.
Falk, entmutigt, schlug vor, erst mal zum Mittag essen zu gehen, das Boot wäre sowieso hinüber, doch Klaus bestand darauf, es mit hochzutragen und wenigstens probehalber aufzupumpen. Sie könnten es dann später flicken.
„Mein Flickzeug ist noch aus Armee-Zeiten, damit kann man zur Not auch Panzer reparieren.“, versicherte er.
*
In der Wohnung hatte sich mittlerweile ein würziger Duft ausgebreitet. Claudia hatte den Tisch mit dem besten Geschirr gedeckt, echtes Kahlaer Porzellan, zwar nur zweite Wahl, aber wen störten schon die kleinen Flecken. Um die Tafel zusätzlich aufzuwerten, hatte sie einen Blumentopf vom Balkon in der Mitte platziert. Die drei ließen sich die gefüllte Zucchini schmecken, während das Gespräch umherwaberte, sich auflöste, die Richtung änderte und wieder zurücksank, wie der Dampf aus dem Kochtopf.
Nach dem Essen sahen Falk und sein Vater nach dem Schlauchboot, während die Mutter sich um den Abwasch kümmerte. Vorhin hatten sie das Boot in Falks altem Kinderzimmer aufgepumpt, nun entdeckten sie einige kleine Löcher, die sie mit Fahrradflickzeug abdichteten. Dann ließen sie es liegen, damit der Kleber gut durchtrocknen konnte.
Zufrieden ließen sie sich im Wohnzimmer nieder, wo die durchgesessenen Stellen in der Couch die bevorzugten Plätze von Falks Eltern markierten. Mit seinem Vater tauschte sich Falk über die Ergebnisse der vierten Liga aus, wo der FC Carl Zeiss Jena durch die gestrige Niederlage gegen den ZVC Meuselwitz tiefer ins untere Tabellendrittel gerutscht war. Immerhin hatte Rot-Weiß-Erfurt auch verloren. Während Claudia Kaffee und Kuchen auftischte, fragte sie, ob Falk schon von der toten Adligen gehört hätte, die man gleich bei ihm um die Ecke gefunden hätte.
Falk, träge von dem guten Essen und der behaglichen Routine, schaute nur mäßig überrascht auf. Dass sich die Neuigkeit schnell verbreiten würde, hatte er erwartet, schließlich war seine Mutter durch ihre Kundinnen immer auf dem neusten Stand.
Er erzählte also, dass Peter ihn am Freitagabend noch kurz besucht und von der Sache erzählt hätte. Wer Peter sei, wollte seine Mutter wissen. Klaus erinnerte sie: das sei doch der Onkel von Robert. Ach richtig, nickte Claudia, und jetzt vermietete er den Freunden die kleine Dachwohnung. Früher, bei Schulveranstaltungen, als Falk und Robert noch in eine Klasse gingen, da sei er doch auch oft als Vaterersatz für seinen Neffen eingesprungen, nicht wahr? Schließlich, bemerkte Claudia mit einem tragischen Seufzen, hatte Roberts Mutter noch nie ein gutes Händchen bei ihrer Partnerwahl bewiesen.
Normalerweise das Stichwort, ausgiebig die Lebensumstände von Roberts Mutter und deren vier Kindern, die alle von verschiedenen Vätern stammten, zu diskutieren, beließ es Claudia heute dabei und fragte stattdessen, einen großen Bissen Zupfkuchen im Mund, was er denn noch so erfahren habe über die Tote. Falk antwortete wahrheitsgemäß, dass er von Peter nur noch wisse, wo die Frau gefunden worden war - in einem alten vergammelten Haus, das seit Jahren leer stand.
Claudia rührte in ihrem Kaffee und meinte dann, eher beiläufig:
„Sie war ja eine von Leuchtenburg…“
„Woher weißt du denn das schon wieder?“, fragte Falk, und nahm sich rasch noch ein Stück Kuchen. „Klatsch und Tratsch im Salon?“
„Nein“, mischte sich jetzt sein Vater ein. „Wir haben es gestern Abend noch in den Nachrichten gehört.“
Mit „Nachrichten“ meinte er die Lokalnachrichten auf JenaTV, die einmal am Tag das Neueste aus dem Stadtgeschehen vermeldeten. Da ging es normalerweise beschaulich zu: schon eine ausgefallene Straßenampel oder ein Taschendiebstahl waren ziemliche Aufreger, zumindest für die Redakteure von JenaTV, und für Falks Eltern sowieso.
Nun brachten sie also tatsächlich mal was Spannendes, dachte Falk, und mit Unbehagen erinnerte er sich, wie er durch die Werbung auf JenaTV das Zeichen auf dem Schwert als das Logo des Goldschmieds Argot erkannt hatte. Mittlerweile hatte er sich zwar schon fast daran gewöhnt, immer mal wieder an den Lederbeutel erinnert zu werden, der bei ihm zu Hause unter dem Bett lag, aber das Kribbeln in der Bauchgegend, das sich dabei regelmäßig einstellte, war nach wie vor unangenehm. Wobei das momentan auch von dem dritten Stück Zupfkuchen herrühren mochte.
Claudia erzählte unterdessen weiter:
„Da hat sich doch gleich einer aus dem Stadtrat zu Wort gemeldet und ein Interview gegeben: der Helmut von Lobdeburg. Das Kuriose ist nämlich, dass die Familien von Leuchtenburg und von Lobdeburg irgendwie über Hundert Ecken miteinander verwandt sind. Und deshalb hat der von Lobdeburg sein Beileid gleich öffentlich bekundet, weil ja sozusagen eine Verwandte von ihm verstorben ist.“
Falk horchte auf. Eine Verbindung zwischen den Leuchtenburgern und den Lobdeburgern also, das war ihm neu. Aber was wusste er schon aus der Welt des Adels? Selbst in seinem weitläufigen Bekanntenkreis gab es niemanden mit einem „von“ im Namen. Warum sich eine Frau mit einem derart vornehmen Stammbaum in einem gammeligen Haus oben am Hausberg herumtreiben sollte, war ihm schleierhaft.
Klaus sagte:
„Ach, der will sich doch nur ins Gespräch bringen! Wegen seiner Kandidatur, nächsten Monat, als Ortsteilbürgermeister für Lobeda.“
„Na und?“, rief Claudia so laut, dass Falk aufschreckte und kurz überlegen musste, um wen es ging – ach ja, diesen Helmut von Lobdeburg. Offensichtlich war hier ein heikler Punkt angesprochen worden, denn seine Mutter verschüttete beinahe ihren Kaffee, so heftig begann sie, in ihrer Tasse zu rühren.
„Er ist immerhin ein fähiger Mann! Besser als der jetzige, wie heißt er noch gleich… Genau, Kantherbein! Der hat diesen Salvador-Allende-Platz geplant, dieses Millionengrab… Und gleichzeitig schließen sie die Schwimmhalle!“
Dabei guckte sie streng ihren Sohn an, als trüge er grundsätzlich die Schuld an allen verpatzten, zu teuren oder lästigen Bauvorhaben der Stadt; eine Angewohnheit, die sie sich zugelegt hatte, seit sein Chef Aufträge von der Stadt annahm. Falk, verzweifelt bemüht, das ursprüngliche Thema ihres Gesprächs nicht zu vergessen, verteidigte sich reflexhaft:
„Was kann ich dafür?! Die Aufträge der Stadt sind machbar, und eine dauerhafte sichere Einnahmequelle. Bei der Planung des Projektes Salvador-Allende-Platz sind die Abteilungen Hochbau, Straße und.. “
„Ach dieser ganze technische Kram, da kenn' ich mich doch eh nicht mit aus“, beruhigte ihn Claudia. „Hauptsache, du behältst deine Arbeit. Das geregelte Einkommen...“
Falk war noch nicht fertig:
„Seid ihr da überhaupt mal vorbeigefahren, früher, am Salvador-Allende-Platz? Ne richtige Industriebrache war das, mitten in Lobeda, und nun kommen da schöne helle Büros und Wohnungen hin, und ein Fitnessstudio ist auch geplant.“
Plötzlich müde, ließ Falk sich zurücksinken.
„Da