Vampire essen keine Pasta. Elke Bulenda. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elke Bulenda
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737581219
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nachdem sein dominanter Vater plötzlich das Zeitliche segnete, wieder in sein altes Verhaltensmuster zurück. Seine Ehefrau war nicht länger gewillt, seine Eskapaden weiterhin zu ignorieren und verließ ihn. Nur sein erstgeborener Sohn Rahan blieb bei ihm zurück. Doch diese Beziehung erwies sich als äußerst schwierig. Ihm blieb nicht verborgen, wie sehr sein eigener Sohn ihn verachtete. Irgendwann - Rahan war inzwischen ebenfalls ein Vampir und erwachsen - trennten sich ihre Wege im Zorn. So gingen sie sich nicht nur aus dem Weg, sondern verloren sich zusätzlich aus den Augen. Nur durch einen seltsamen Zufall, liefen sich Gungnir, Ragnor und Rahan in Paris über den Weg, wobei es anschließend zu einem Treffen mit Aussöhnung kam. Obwohl Rahan ihm versprach, den Kontakt zu halten, meldete er sich nur ab und zu, rein sporadisch. So gesehen, blieb ihr Verhältnis zueinander weitestgehend lieblos und distanziert. Trotzdem wollte Gungnir seinen Filius grob im Auge behalten. Da er über genügend Mittel und Wege verfügte, setzte er sie auch ein. Wahrscheinlich, um sein Gewissen zu beruhigen.

      »Warum kratzt mich das überhaupt?«, fragte er sein Spiegelbild und seufzte. »Ich lebe doch im Hier und Jetzt, wieso muss es mich noch heute belasten, was vor über sechshundert Jahren geschah?«

      »Wieso sechshundert Jahre? Denk an deinen Bruder, den du gegen dich aufbrachtest, nur weil du wieder einmal deine Triebe nicht im Zaum halten konntest!«, antwortete sein Spiegelbild.

      »Äh, Moment mal! Dazu gehören immerhin zwei! Dyna ist ebenso schuld daran wie ich. Außerdem habe ich mich bei ihm entschuldigt. Wenn er mir verziehen hat, wird er sich bestimmt wieder melden. Schließlich sagte er, ich solle ihm aus den Augen gehen!«, gab er als Rechtfertigung zurück. Nebenbei fragte er sich, seit wann er mit seinem Spiegelbild sprach. Vermutlich war es aufgrund nervliche Anspannung.

      Fakt ist, dass sein Unterbewusstsein ihm damit vor Augen führen wollte, wie unfähig er war, sich zu binden. Es zeigte ihm, wie schnell man eine Sache durch Egoismus, Zügellosigkeit und Bindungsängste vermasseln konnte. Obendrein fehlte ihm sein Bruder sehr, ohne ihn fühlte er sich wie halbiert.

      Da der Turban auf seinem Kopf verblieb, putzte er das Waschbecken ordentlich mit Scheuerpulver sauber. Anschließend vergewisserte er sich, ob alle Farbspuren beseitigt worden waren. Nochmal sah er den fremdartigen Kerl im Spiegel an, wusch dessen Hände und setzte zuletzt die braunen Kontaktlinsen ein. Kurz danach verließ er das Bad und trat vor die Tür des Gemischtwarenladens. Obwohl noch früh am Morgen, pulsierte in Jodhpurs Straßen schon wieder das geschäftige Treiben.

      »Na? Wie ich sehe, ist mein gesamter Vorrat an Express-Selbstbräuner-Spray hinfällig geworden«, stellte Ganesh Singh lächelnd fest.

      »Tja, wäre ich kleiner, könntest du mit dem übriggebliebenen Rest, hier in Indien, ein echtes Vermögen machen!«, konterte Gungnir schlagfertig.

      »Auch wieder wahr. Und? Hast du dir schon Gedanken über deinen neuen Namen gemacht?«, fragte Ganesh, der auf der Veranda seines Ladens saß, um vor Beginn der Ladenöffnung noch gemütlich eine Zigarette rauchen zu können. Diese Frage war nicht allein rhetorisch gemeint, sondern bei ihm Programm, da Ganesh Gungnir die neuen Papiere besorgte. »Willkommen bei den Sikhs, jetzt bist du auch ein Löwe.«

      Die männlichen Sikhs heißen alle mit Nachnamen Singh, was eben »Löwe« bedeutet.

      »Eigentlich bin ich vom Sternzeichen ein Zwilling. Ich dachte da an Gobinda Singh«, gab Gungnir zurück.

      »Gobind Singh war der zehnte und letzte menschliche Guru des Sikhismus. Da hast du dir einen großen Namen ausgesucht. Halte ihn in Ehren«, meinte Ganesh feierlich.

      »Äh, eigentlich dachte ich da eher an Gobinda aus dem James-Bond-Film ›Octopussy‹. Das war der Kerl, der die Backgammonwürfel mit bloßen Händen zu Pulver zermalmte«, grinste Gungnir und zündete sich eine Zigarre an.

      Ganesh holte einen Jutebeutel hervor. »Hauptsache du wählst nicht Singh Singh, das klingt nämlich wie dieser amerikanische Knast. Egal, wenn du einen echten Sikh darstellen willst, brauchst du die fünf berühmten K´s. Hier sind deine ersten vier Utensilien: Einen hölzernen Kamm, den sogenannten Kangha. Der wird in den Haaren getragen und zur Haarpflege benutzt. Er gilt als Zeichen der Sauberkeit«, händigte er den Kamm aus. »Und dies ist eine Kachera-Hose aus Baumwolle. Sie soll zur sexuellen Mäßigung beitragen. Ob das allerdings bei dir irgendetwas nützt, ist fraglich«, kicherte Ganesh wissend.

      »Hm, das Ding sieht wie eine normale, etwas längere Boxer-Shorts aus, und nicht gerade wie ein Liebestöter. Erinnert mich ein wenig an Turnvater Jahn«, stellte Gungnir verblüfft fest.

      »Tja, wenn sie vorne gelb und hinten braun ist, kann sie schon abschreckend wirken!«, lachte Ganesh und verschluckte sich beinahe am Zigarettenrauch. »Weiter im Konzept: Dieser Stahlreif, der Kara, wird am Handgelenk getragen und ermahnt zur Verpflichtung an die Wahrheit. Ursprünglich diente er dazu, um die Schwerthiebe unserer Feinde abzuwehren. Nun zum Kirpan. Dieser Dolch wird Tag und Nacht getragen und ist das Werkzeug, um Arme, Schwache und Unschuldige zu verteidigen. Ich hoffe, du wirst dich wenigstens ansatzweise an unseren Ehrenkodex halten?«, mahnte er feierlich.

      »Ich werde mir alle Mühe geben. Aber was ist das fünfte K?«, fragte Gungnir neugierig.

      »Das trägst du bereits unter deinem Turban, dem Dastar. Kes, das ungeschnittene, jedoch gepflegte Haar. Es ist ebenso ein Symbol unseres Glaubens. Es bekundet, dass wir nicht gegen Gottes Willen aufbegehren, sondern die Natur seiner Gesetze akzeptieren«, erläuterte Ganesh.

      »Na, da habe ich aber Glück, dass der Turban jetzt hält, ansonsten hätte ich es nämlich abrasiert!«, gluckste Gungnir belustigt.

      Beide Männer schwiegen, rauchten und sahen dem geschäftigen Treiben auf der Straße zu. Gungnir brach zuerst das Schweigen. »Hast du dich eigentlich gar nicht gefragt, wieso ich für die Welt gestorben bin und nun deine Hilfe benötige?«

      »Nein, in meinem Job komme ich weiter, wenn ich keine Fragen stelle. Wenn du mir etwas erzählen willst, dann tu es freiwillig. Ich selbst stelle keine Fragen. Manchmal ist es besser, wenn man nichts weiß«, meinte Ganesh und stieß einen Rauchkringel aus.

      »Es klingt zwar ein wenig lahm, aber ich bin nicht freiwillig in dieses Dilemma geraten. Jemand hat mich reingelegt. Und dazu noch jemanden, der mir sehr viel bedeutet. Du kennst doch den Kerl, der letztes Jahr mit dem Dunkelhaarigen bei dir war, um ein paar nützliche Dinge zu kaufen?«

      »Oh, du meinst deinen Bruder, den Maler?«, fragte Ganesh.

      »Was?«, fragte Gungnir entsetzt. »Hat er gesagt, er wäre mein Bruder?«

      »Ja, ich weiß noch, wie ich für euch eine Turbine besorgen musste, nachdem ihr eine auf dem Flughafen demoliert habt«, erinnerte er sich lebhaft.

      »Ja, genau. Er wurde ebenfalls hereingelegt und befindet sich, genauso wie ich, auf der Flucht.«

      »Was gedenkst du zu tun?«, wollte Ganesh wissen.

      »Ich werde dir ein Bündel Dollarnoten in die Hand drücken und deinen Münzfernsprecher benutzen, um jemanden anzurufen, der mir eventuell behilflich sein kann«, erklärte Gungnir.

      »Mit meiner Hilfe kannst du jederzeit rechnen. Auch mit der meiner Brüder. Ich habe übrigens erzählt, du seist aus England, wo deine Familie schon seit Generationen lebt. Deshalb könntest du weder unsere Sprache sprechen, noch unsere Schrift lesen. Ist doch besser, sie wissen gleich Bescheid, dass du nicht mit unseren Sitten und Gebräuchen vertraut bist, oder?«

      »Danke, Ganesh. Äh, was machst du eigentlich mit der ganzen Kohle, die du mit deinen ›Geschäften‹ verdienst?«, erkundigte sich Gungnir. »Du lebst nach wie vor völlig bescheiden. Wenn ich das mal so fragen darf...«

      »In meiner Religion wird Reichtum nicht verpönt, sondern es gilt, dass man der fleißigste Bauer, der cleverste Geschäftsmann und der gelehrigste Beamte sein kann. Ich habe zwei Söhne, die sollen es mal besser als ich haben. Der Älteste, Naresh, studiert in Jaipur Rechtswissenschaften. Du weißt schon, damit mich jemand davor bewahrt, in den Knast zu wandern«, grinste Ganesh. »Und mein jüngerer Sohn Harish, der dort hinten irgendwo im Laden herumstrolcht, und mit seinem Smartphone herum daddelt, anstatt sich zu sputen,