Shandra el Guerrero. Rudolf Jedele. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Jedele
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737577434
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      Seine Augen waren auf einen ganz bestimmten Punkt im Wasser fixiert. Dicht unter der Wasseroberfläche gab es dort ein Felsenriff und genau aus diesem Riff würde eines Tages sein Schicksal auftauchen und das Ufer erklimmen. Wie er so stand und das Riff betrachtete, bewegte sich etwas in der Tiefe und Shandra sah genauer hin. Ein dunkler Fleck, der rasch größer wurde und jeden Moment auftauchen konnte. Höher und höher stieg der dunkle Fleck und dann erkannte Shandra, dass es sich um das lange Haar eines Menschen, einer jungen Frau handelte. Das Wasser kräuselte, sich wallte wie zu einem kleinen Hügel auf, dann stieß ein Kopf durch die Wasseroberfläche, zwei Hände folgten, schoben die Haare zur Seite und Shandra blickte in zwei blaue Augen, die in einem Augenblicke seine Seele einfingen um nie wieder loszulassen. Ein langer, intensiver Blick, der Shandra aber nicht daran hinderte, nun auch noch andere Einzelheiten wahrzunehmen. Die fein geschwungenen, dunklen Augenbrauen, die kleine, gerade Nase und der rote Mund mit Lippen, die nur für einen einzigen Zweck geschaffen zu sein schienen.

      Shandra zärtliche Worte ins Ohr zu flüstern und ihn zu küssen.

      Ein wunderschönes Gesicht und ein Mund, der ihm etwas sagen wollte, doch leider bewegten sich nur die Lippen, ohne einen Ton hervor zu bringen.

      In diesem Augenblick brach der Traum ab und Shandra schrak hoch, lag hellwach auf seinen Fellen und starrte in die Dunkelheit seines Zeltes. Er begann langsam immer nervöser zu werden, der Traum machte ihm zu schaffen. Wer war diese wunderschöne Frau? Wieso erschien sie ihm immer wieder an ein und derselben Stelle? Und weshalb brach der Traum immer wieder ab, ehe er ihre Worte hören konnte?

      Die Zeit arbeitete ihm entgegen, aber sie war leider immer noch nicht reif.

      Prüfungen

      Hundert schöne Frauen auf ebenso schönen Pferden boten einen prächtigen Anblick. Obwohl Shandra sich jedes ungewohnte Herausputzen von Pferden verbeten hatte, ließen die Amazonen es sich nicht nehmen, ihre Pferde mit den Karden so ausführlich zu bearbeiten, das jedes Pferd dastand, als wäre es frisch lackiert. Die Mähnen und Schweife waren eingeflochten und die Amazonen hatten auch sich selbst von einer gründlichen Säuberung nicht ausgeschlossen. Lange vor Sonnenaufgang war das Flussufer alles andere als ein ruhiger Platz gewesen und nun, da es hell wurde, stand eine wahre Eliteschwadron bereit, um ihre Fähigkeiten zu demonstrieren.

      Die wichtigste Waffe der Amazonen waren ihre Pferde, denn diese trugen ihre Reiterinnen nicht nur in den Kampf, sie kämpften auch voller Entschlossenheit und mit eisenharten Hufen mit, wenn es notwendig wurde. Alaxandras Hengst Astolan war nicht nur ein Bild von einem Pferd, er hielt im Volk der Sarmat ein einzigartigen Rekord. Obwohl erst sieben Jahre alt, hatte er bereits in neun Schlachten gekämpft und zweiunddreißig Feinde selbst getötet. Kein anderes Streitross konnte auch nur einen annähernden Rekord verzeichnen.

      An zweiter Stelle der Waffen bevorzugten die Amazonen den Bogen. Aus gestrecktem Galopp ein bewegliches Ziel zu treffen, war eine mehr als anspruchsvolle Aufgabe und wer bei den Amazonen in einer Schwadron reiten wollte, musste diese Aufgabe lösen können. Reiten war dabei nicht unbedingt gleichbedeutend mit auf dem Pferderücken sitzen, das konnte auch bedeuten, an der Seite zu hängen und über den Nacken oder unter dem Hals des Pferdes seine Pfeile abzuschießen oder gar unter dem Pferdebauch zu hängen. Gerade für diese Übungen besaßen die Amazonen speziell entwickelte Gurte, mittels derer sie sich an nahezu jedem noch vertretbaren Punkt ihres Pferdes halten konnten.

      Der Wurfspeer war ebenfalls beliebt, die Lanze, der Morgenstern oder das Krummschwert gehörten zu den Waffen, die man im zweiten oder dritten Reiten einsetzte. Erst auf die lange Distanz den Pfeil, dann etwas näher heran den Wurfspeer und dann erst, am Schluss der Nahkampf mit den entsprechenden Waffen.

      Eine ganz spezielle Waffe der Amazonen war die lange Peitsche. Aus dem Leder wilder Rinder geflochten, war diese Peitsche am Griff etwa so dick wie zwei Finger eines kräftigen Mannes. Am Ende, fünfeinhalb Schritte – gut zehn Ellen - vom Griff entfernt, war die Schmicke nur noch eine dünne Kordel, in die allerdings als ganz besondere Note der Amazonenpeitsche kunstvoll geschmiedete, winzige Messerchen eingeflochten waren. Mit einer solchen Peitsche konnte ein Mensch oder ein Tier auf fünf Schritte Entfernung hin auch getötet werden.

      Shandra, Dagge und Rollo hatte sich mit ihren Pferde auf einen kleinen Hügel begeben, auf dessen Spitze eine mächtige Platane thronte. Im Schatten dieses mehrere hundert Jahren alten Baumes beobachteten sie, wie die Amazonen ihre Geschicklichkeit im Umgang mit allen ihren Waffen vorführten und eigentlich hätten diese Vorführungen ausgereicht. Was da an Restarbeit zur Anpassung an der Standard von Shandras kleinem Heer noch fehlte, war allenfalls Feinschliff. Es würde ein Vergnügen für Yodha, Rollo und Minaro, diesen Feinschliff vorzunehmen. Doch Shandra wollte, dass den Amazonen bewusst war, dass sie noch verbessert werden konnten, deshalb ordnete er an, dass es drei Herausforderungen geben sollte. Alle drei Übungen sollten vom Pferd aus absolviert werden und alle drei Übungen mit ganz normalen Waffen, nicht etwa mit Übungswaffen.

      Die Herausforderung auf die langen Distanzen, mit dem sollte gegen Shandra geritten werden, die mittlere Distanz, ebenfalls mit dem Speer ging gegen Dagge und im Nahkampf war Rollo der Herausforderer.

      Wie nicht anders zu erwarten, nahm Alaxandra die Herausforderung Shandras an. Als Führerin der Schwadron galt sie zumindest als beste Reiterin und auch als hervorragende Schützin. Shandra galoppierte in lockerem Kanter vom Hügel herunter, während Alaxandra bei ihrer Schwadron blieb und Astolan wie ein Standbild auf ein Zeichen seiner Reiterin wartete. Das Zeichen kam, als Shandra den Fuß des Hügels umrundet hatte und danach nur noch tausend Schritte ebenen Graslands zwischen ihm und Alaxandra existierten.

      Alaxandra gegen Shandra, Astolan gegen Shaitan, kastanienbraun gegen schwarz.

      Absoluter Gehorsam und hingebungsvolle Treue gegen überschäumendes Temperament und totales Verständnis, auch das waren Elemente des Vergleichs.

      Beide hatten sie die Zügel los gelassen, beide lenkten ihre Pferde aus dem Sitz heraus. Beide nahmen mehr und mehr Tempo auf und donnerten auf einander zu, als wären sie aus einem unzerstörbaren Material und bräuchten keinerlei Rücksicht auf die eigene Gesundheit zu nehmen.

      Alaxandra bekam eine Lehrstunde der ganz besonderen Art.

      Die Entfernung zwischen ihr und Shandra betrug noch etwa zweihundert Schritte, als Alaxandra den ersten Pfeil abschickte. Dann jagte sie einen Pfeil nach dem anderen hinaus, die Zügel ihres Hengstes hingen lose hinunter. Sie lenkte Astolan rein mit Gewichtsverlagerungen, sie steigerte das Tempo von Galoppsprung zu Galoppsprung und doch, Shandra wich ihren Pfeilen in einer verspielten Lässigkeit aus, als stünde er auf dem Boden anstatt auf einem wie rasend dahin galoppierenden Hengst zu reiten. Was immer Alaxandra sich einfallen ließ, wie schnell sie auch schoss und wie listig sie voraus dachte, Shandra war nie da, wo sie ihn zu treffen hoffte. Mal hing er ´links am Pferd, mal rechts, mal sprang er vom Pferd, rannte neben her und sprang in voller Karriere wieder auf, kurzum, er machte sämtliche Zielversuche seiner Kontrahentin zunichte, kein einziger von Alaxandras Pfeilen kam ihm so nahe, dass er in Verletzungsgefahr gewesen wäre.

      Dann waren sie aneinander vorbei und Alaxandra benötigte kurz beide Hände, um ihren Hengst wieder so weit zu zügeln, dass sie wenden konnte und als sie die Wendung vollzogen hatte, parierte sie ihr Pferd durch und blieb stehen, denn sie wusste, sie hatte verloren.

      Shandra hatte Shaitan schon in dem Augenblick, da Alaxandra an ihm vorbei geschossen war, so geschickt auf die Hinterhand gesetzt, dass der Rappe etwa zehn Schritte weit über das Gras geschliddert war, dann stand er und kreiselte auf einen leichten Schenkeldruck hin herum und blieb wie zum Standbild erstarrt stehen. Shandra hatte alle Zeit der Welt, einen Pfeil auf seinen Bogen zu legen, den Bogen zu spannen und den Pfeil abzuschießen.

      Alaxandra sah den Pfeil fliegen. Sie sah aber auch, dass der Pfeil sie knapp verfehlen würde. Also galoppierte sie in gerader Linie weiter. Ihren eigenen Bogen hielt sie in der Linken und sie hatte vor, im nächsten Augenblick wieder eigene Pfeile abzuschicken. Doch noch ehe sie etwas tun konnte, um diesen Plan umzusetzen, war der Kampf vorbei.

      Ein dumpfer Knall und Alaxandras entsetzter Blick folgten einander