Der Frauenmann. Louis Flathmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Louis Flathmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752942804
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Emotionen war Felix auch der Appetit verloren gegangen. Er wollte nicht mehr raus und sich beim Hähnchenboss etwas zu essen holen. Zu groß war die Scham.

      Schließlich ließ er sich doch noch zu einer Pizza überreden.

      Der Lieferdienst ließ nicht lange auf sich warten.

      „Ich verstehe einfach nicht, warum.“, brach Felix beim Essen das minutenlange Schweigen. Es war ein Satz, von dem er keine Antwort erwartete.

      Yannick schien erleichtert zu sein, dass sein Kumpel endlich versuchte, über die Qualen, die er erleiden musste, zu reden. Nie hatte Felix richtig ein Wort über das Erlebte verloren. „Er redet doch von diesem Schwein, oder?“, fragte sich Yannick.

      Er traute sich nicht, ihn näher zu fragen. Nach den richtigen Worten suchend, kaute er auf seinem Stück Pizza herum. Yannick wollte einfach so schnell nichts einfallen, was er hätte antworten können.

      „Es kommt mir alles so unheimlich surreal vor.“, begann Felix zu ergänzen. „Diese Person hat mir grundlos mein Leben genommen. Sie hat es zerstört. Und das groteske daran ist, dass es innerhalb von ein paar Stunden zerstört wurde. Einfach so.“

      Yannick bemerkte das Beben in Felix’ Stimme.

      „Felix“, begann er und legte sein Prosciuttostück auf den Pizzakarton. „Wir werden dieses verdammte Schwein finden und zur Rechenschaft ziehen.“

      Er wollte seinem Freund unbedingt helfen, ihm irgendwie Hoffnung geben, doch Felix machte den Eindruck, als hätte er seinen Satz überhört.

      „Wie soll ich so leben? Wie kann ich so leben?“

      Yannick wusste, dass Felix Recht hatte. Niemand könnte einfach so weitermachen. Nicht, nach diesem Erlebnis. Und der Tat, die an ihm verübt wurde. Sein Leben wurde ihm tatsächlich genommen und er würde verstehen, wenn Felix jetzt den Kopf in den Sand stecken würde. Aber er wollte sich nicht eingestehen, dass er wusste, dass sein Freund an dem Monster zerbrach. Zu groß war die Angst, ihn zu verlieren.

      „Ich bin für dich da, Felix.“ Mehr brachte Yannick nicht heraus. Ihm war bewusst, dass das der schlechteste Satz war, den er in dieser Situation hätte sagen können.

      Das Telefon ließ beide hochschrecken. Felix brauchte eine Weile, bis er verstand, dass sein Handy klingelte.

      „Hallo?“, meldete er sich.

      „Guten Tag, Herr Baumer. Katja Brünjes von der Kriminalpolizei Bremen hier. Wie geht es Ihnen?“

      Felix antwortete nicht, sondern schluckte nur schwer.

      „Herr Baumer, heute war ja der Tag Ihrer Entlassung…“ Sie schien eine Antwort von ihm zu erwarten, doch er schweigte noch immer.

      „Es geht darum“, fuhr sie unbeirrt fort „dass wir Sie gerne nochmal hier auf dem Revier sprechen würden. Für eine Vernehmung.“

      „Muss das noch heute sein?“, erwiderte Felix langsam. Er hatte keine Lust, nochmal alles erläutern zu müssen. So oft wurde er nun schon befragt. Reichte das nicht?Er hatte alles gesagt, was er wusste und an was er sich noch erinnern konnte. Der Täter schien etwas kleiner zu sein, als er selbst. Die Stimme war erstaunlich ruhig. Das Lachen wahnsinnig. Über die Tat selber wollte er nicht mehr sprechen, den Akten der Ärzte konnte schließlich alles entnommen werden. Mit dem Anruf der Kommissarin kamen alle Bilder schlagartig zurück. Sie fraßen sich in Felix` Herz und er hatte das Gefühl, sie wollten den letzten Rest davon zerreißen.

      „Nein, es reicht auch, wenn Sie morgen oder übermorgen kommen. Herr Baumer, ich hoffe Sie wissen, dass wir höchstes Verständnis für Ihre Situation haben. Jedoch ist jede Ihrer Aussagen enorm wichtig für unsere weiteren Ermittlungen. Wir wollen den Täter so schnell wie möglich fassen und stoppen, falls er das, was er mit Ihnen gemacht hat, nochmal vorhat zu machen.“

      Zack! Mit diesen Worten wurde ihm erneut ein Schlag in die Magenkuhle verpasst. Er verstand die Kommissarin und wusste, dass Sie recht hatte mit dem, was sie sagte, aber sein Trauma ließ ihn nicht los. Ein falsches, auch schon falsch verstandenes Wort, reichte, dass es Felix schwarz vor Augen wurde. Das, was er mit Ihnen gemacht hat.

      Wie sollte er jemals vergessen, wenn er immer wieder dran erinnert wurde?

      Konnte er überhaupt vergessen?

      Nachdem Katja Brünjes wieder keine Antwort bekam, fügte sie hinzu „Melden Sie sich bitte vorher, bevor Sie zu uns aufs Revier kommen. Alles Gute, Herr Baumer und auf Wiedersehen.“

      Mit diesen Worten legte sie auf. Felix hielt noch immer schweigend das Telefon an sein Ohr.

      Yannick sah ihn mit fragendem Blick an, doch Felix ignorierte ihn und nahm sich das nächste Pizzastück in die Hand. Anstatt es zu essen, spielte er unruhig damit herum.

      „Wer war das?“ Yannick’s Neugier war riesig. Genauso riesig wie die gleichzeitige Sorge um seinen Freund, die ihn zu erdrücken schien.

      „Die Polizei…“, begann Felix. „Die wollen mich in den nächsten Tagen nochmal auf dem Revier sehen und mich vernehmen…“ Die Blässe in Felix’ Gesicht war ihm anzusehen. Auch das Zittern in seinen Beinen konnte er nicht länger vor Yannick verstecken. Alles begann von Neuem. Er rutschte erneut in das dunkle Verlies ab. Der Kastrierer, der mit dem hellen Licht vor ihm stand. Das Licht, das ihn in die Hölle beförderte… Er driftete vollkommen ab.

      „Hey, hey! Felix! Felix, hörst du mich?“ Das laute Rufen seines Kumpels schien ihn langsam aus der Hölle rauszuholen… Felix realisierte, dass er weggetreten war. Es war wieder einer dieser Momente, indem die Flashbacks ihn gewaltsam packten und in die Tiefe stürzen wollten. Mit ihm zusammen. Immer und immer wieder.

      „Sorry.“, brachte Felix nach einer Weile schwer atmend heraus.

      „Ich mache mir wirklich Sorgen um dich, Alter.“, versuchte Yannick das Gespräch aufzulockern. „Willst du wirklich alleine hierbleiben?“ Er sah seinem langjährigen Freund in die Augen und sah die Leere, die sich in ihm entwickelt hat. Er nahm aber auch die Verzweiflung wahr, die sich hinter seinem Blick heimlich versteckte.

      So, als wollte sie nicht entdeckt werden. Den alten Felix gab es nicht mehr. Er ist an der Tat gestorben, regelrecht zerbrochen.

      „Du brauchst dir keine Sorgen machen“, sagte Felix ernst. „Ich brauche einfach eine Weile, bis ich mit diesen Erinnerungen klargekommen bin.“ Das war eine Lüge.

      „Er wird nie damit klarkommen. Trotzdem braucht er mich grade jetzt besonders!“, meldete sich eine Stimme in Yannick’s Unterbewusstsein.

      Kapitel 2

      Alle Versuche, Felix davon zu überzeugen, dass er besser nicht alleine sein sollte zurzeit, scheiterten. Yannick gab schließlich schwermütig auf und fuhr schweren Herzens alleine zu sich nach Hause. Auch wenn er es selber nicht mochte, wenn man sich aufdrängte, hatte er bei Felix heute eine Ausnahme gemacht.

      Auf der anderen Seite hatte Felix ihm auch verständlich klar gemacht, dass er nach all dem Stress und der langen Zeit im Krankenhaus einfach mal zur Ruhe kommen wollte. Trotzallem hatte Yannick ein komisches Gefühl dabei, seinen besten Freund in dieser Zeit alleine zu lassen.

      Er hatte niemanden wie im Krankenhaus, der sich um ihn kümmerte.Dieser Gedanke hatte gleichzeitig einen ganz bitteren Beigeschmack, wenn er daran dachte, was das kranke Miststück mit ihm gemacht hat. Was er aus ihm gemacht hat.

      Der Feierabendverkehr ging Yannick auf die Nerven und lenkte ihn in seiner Sorge um Felix etwas ab.

      Genervt steckte er sich einen Kaugummi in den Mund. Das tat er immer, wenn der Verkehr ihn anstrengte. Er konnte den Stress damit gut abbauen, indem er fest auf das scharfe Kaugummi drauf biss. Der Ärger um den Verkehr mischte sich mit dem Ärger auf das Arschloch, das ihm immer mehr seinem Freund wegnahm.

      Verdammt! Ein heftiger Schmerz durchfuhr seine Zunge und er schmeckte das Blut, das so einen metallenen Geschmack hatte, als hätte er sich lauter Kleingeld