Marijke - Honiglippen. Swantje van Leeuwen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Swantje van Leeuwen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748579526
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ausschließlich ganz ›außergewöhnlichen‹ Kunden vorbehalten war. Die Suite war ein sehr speziell eingerichteter ›Dungeon[14], der für entsprechende Aktivitäten explizit hergerichtet worden war, tagelang an ›High Roller‹ vermietet werden konnte und mit einem schieren Harem aus Subs gefüllt war, die ausschließlich einer Herrin oder einem Herrn dienten. Es war offensichtlich, dass seine mannigfaltige Ausstattung darauf abzielte, dem Mieter ein Ambiente zu bieten, in dem er auch die wildesten Fantasien und Wünsche weitreichend umsetzen konnte. Die riesige Räumlichkeit wies eine aufwändig gestaltete, kerkerartige Charakteristik auf. Wer immer es entworfen hatte, musste sich an der Ästhetik alter Ritterfilme orientiert haben, ging es Marijke durch den Kopf, nach einem schnellen Rundumblick. Sie hatte Streckbänke, Käfige, Ketten, Andreaskreuze, Flaschenzüge und Böcke ausgemacht, neben unzähligen stählernen Befestigungsringen an Decken, Wänden und sogar im Boden. An einer Wand und auf einer breiten Anrichte fand sich eine umfangreiche Sammlung an Sexspielzeug, deren Schwerpunkt eindeutig im Bereich sadomasochistischer Accessoires lag, wie Peitschen, Gerten, Seile, Handschellen, Klammern und Dildos. Von Rikkert wusste sie, dass der neue Kunde vorgeschlagen hatte, diese bemerkenswerte, kostbare Suite dauerhaft und zu einem wahrlich unanständigen Preis zu mieten.

      »Du kannst auf der Couch warten, mijn meisje«, sagte Rikkert und zeigte auf ein bequem aussehendes Ledersofa in der Ecke. »Der Kunde wird in Kürze kommen. Denk' dran, Marijke, dass du ihm nur eine Weile etwas vormachen musst, ja? Nenn' ihn ›Sir‹, ›Mijnheer‹ oder was auch immer. Lass' dich von ihm ein wenig fesseln und schlagen. Du hast ja gesehen, wie die anderen Mädchen das machen. Denk' einfach nur ans Geld und bring' es hinter dich.« Er sprach schnell und seine Stimme schwankte, so als würde er versuchen, einen tollwütigen Hund zu besänftigen. Ihm war klar, dass Marijke völlig verunsichert war – ein falsches Wort im falschen Moment und sie lief ihm für immer auf und davon. Er wandte sich zum Gehen, schaute sie dann aber doch noch einmal an, ehe er sie sich im Zimmer allein überließ. »Doe alsjeblieft wat de klant van je vraagt, Marijke[15]«, bat er sie. In seiner Stimme klang eine gewisse Verzweiflung mit.

      Marijke drängte ihn hinaus. Sie war zu nervös, um seine kratzende Stimme auch nur noch eine Sekunde länger zu ertragen. Kaum war er fort, nahm sie sich die Zeit, sich genauer umzusehen.

      Ihr war im ersten Augenblick gar nicht aufgefallen, dass die Suite aus mehreren Räumen bestand, die anscheinend für bestimmte Aktivitäten konzipiert waren. In einem Raum war der Boden mit einer Art wasserdichtem Material ausgekleidet, während ein anderer einen bedrohlich wirkenden Stahlrahmen mit Haken enthielt, die alle an einer verwirrenden Reihe von Seilen und einem komplizierten Rollensystem befestigt waren. Beklommen zog sie sich schnell aus den Räumen zurück und wünschte, entgegen jeder Hoffnung, dass Rikkerts Kunde diese Gerätschaften auf keinen Fall benutzen würde, ganz gleich, für was auch immer sie gemacht worden waren.

      Sie empfand es als sicherer, auf der Couch im Hauptraum zu sitzen und dort zu warten, einem der wenigen Möbelstücke in der Suite, das nicht direkt so aussah, als sei es zum Foltern gedacht. Ihre Augen richteten sich auf den Boden. Sie vermied es geflissentlich, die an Halterungen angebrachten Paddel, Peitschen, Dildos und Kostüme auf den Gestellen anzuschauen, die jede Wand säumten. Denn wann immer sie ihre Aufmerksamkeit darauf lenkte, verspürte sie den tief in ihr nagenden Zweifel, ein entsetzliches Gefühl in ihrer Magengrube – ein Gefühl, das ihr deutlich ins Bewusstsein rief, dass sie das Alles besser nicht durchmachen sollte. Von ihren Haarspitzen bis hin zu den Zehen, begehrte jede Nervenzelle mittels elektrischer Impulse angespannt auf, doch bloß noch rechtzeitig von dem Vorhaben zurückzutreten, augenblicklich aus dem Club zu stürmen und in eine für sie sichere, deutlich gesündere Welt zu fliehen. Ihr Herz klopfte derart rasend in ihrer Brust, als wolle es all ihr Augenmerk auf sich ziehen und schrie ihr zu: »Je bent helemaal gek geworden! Vergeet het geld! Dat ben jij niet, Marijke! Jij niet ...! Jij niet ...![16]« Sie war nur einen Moment davon entfernt, ihrem Impuls zu folgen und zu verschwinden, als sich die Tür öffnete und der Kunde eintrat. Seine Erscheinung ließ jedes Molekül ihres Körpers auf der Stelle einfrieren.

      Der Mann war groß, deutlich über einsneunzig. Sein Haarschopf war dick und dunkel und gerade lang genug, um ihm ein wenig in die Stirn zu fallen.

      Marijke wurde sofort klar, dass sie sein Alter falsch eingeschätzt hatte.

      Sein sanftes, ruhiges Lächeln ließ Grübchen auf seinen Wangen auftauchen, die ihn attraktiv jugendlich aussehen ließen – es war eines von jenen Lächeln, die sie schon als Teeny immer geliebt und ihr junges Mädchenherz mächtig hatte klopfen lassen. Und da war ein Hauch von Grau an seinen Schläfen und die kleinen feinen Lachfältchen, die sich tief neben seinen Augen in seine Schläfen eingegraben hatten – und die sie ihn auf seine späten Dreißiger oder vielleicht ganz frühen Vierziger schätzen ließ. Ein kurzer intensiver Blick machte ihr klar, dass sich unter seinem exquisit geschnittenen Anzug ein Körper von ausgezeichneter Verfassung verbarg. Der Schnitt seines Jacketts war eng genug, um ihr bereits etwas von seinen starken, muskulösen Armen zu verraten und sein Oberkörper verengte sich in anziehender Weise zur Taille hin.

      Mit einem Anflug von Verlegenheit wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie ihn nicht nur kurz betrachtet, sondern förmlich angestarrt hatte – und als er näherkam, senkte sie ihren Blick zurück zum Boden. Wees onderdanig, Marijke[17], dachte sie bei sich. Gedraag je als een slaaf ... Moet ik voor hem knielen? In einem plötzlichen Anfall von Unsicherheit, erkannte sie, dass sie überhaupt keine Ahnung davon hatte, wie man sich unterwürfig verhielt. Sicher, sie hatte die Mädchen im Club immerzu mit gesenkten Köpfen gesehen, aber mehr auch nicht. Das eigentliche Protokoll, das dem zugrunde lag, vorschrieb zu welchem Zeitpunkt oder in welcher Reihenfolge welches Verhalten erwartet wurde, Rangfolgen, Abläufe, Kleidervorschriften und allgemeines Verhalten, war ihr fremd.

      »Het is goed, meisje. Je kunt gewoon je hoofd opheffen en naar me kijken. Het is niet nodig om elke knoop van het tapijt te bestuderen.[18]«

      Sie schaute zu ihm auf und sah ihn breit lächeln. Er benimmt sich ganz normal, dachte sie und lachte fast über sich selbst, als sie sich ihrer Ängste und Vorstellungen erinnerte. Und warum sollte er nicht auch normal aussehen? Sehen hier nicht die meisten Kunden so aus, als hätten sie erst wenige Minuten zuvor das Büro verlassen? Nur die wenigsten von ihnen verkleiden sich zum Spielen. »Marijke«, murmelte sie leise.

      »Wie bitte?«

      »Es tut mir leid, Mijnheer, aber ich möchte nicht ›Meisje‹, sondern Marijke genannt werden. Und schon gar nicht, möchte ich wie die anderen Mädchen herabwürdigend betitelt werden.«

      Der Mann setzte sich neben sie auf die Couch, wandte sich ihr zu und legte dabei ein Bein entspannt auf seinen Oberschenkel. »Natürlich, Marijke.« Er bemerkte ihr Unbehagen. »Es ist vollkommen in Ordnung, dass du mit mir sprichst. Ich weiß, dass du nicht wie die anderen Mädchen hier bist ... Genau deshalb wollte ich dich treffen. Ich will die anderen Mädels nicht.«

      Als Marijke spürte, wie ihre Nervosität etwas nachließ, war sie überrascht, wie angespannt sie doch zuvor noch gewesen war. Ein Blick sagte ihr, dass er bemerkt haben musste, mit welchem Ausdruck der Angst in den Augen sie ihn angesehen hatte. Jetzt fühlte sie sich ein wenig sicherer – nicht gerade entspannt, aber auf jeden Fall um einiges wohler. Ungeachtet dessen, dass sie wusste, was er ihr anzutun gedachte, strahlte er etwas aus, was ihr ein gutes Gefühl vermittelte – Sicherheit.

      Er lächelte wieder dieses charmante, knabenhafte Lächeln, das warm und weich über sie hinwegfloss. »Mijn naam is Maarten, Marijke. Während wir zusammen sind, erwarte ich, dass du mich mit Mijnheer ansprichst.« Seine Stimme war sanft, als er fragend hinzufügte: »Verstehst du, warum das so sein muss?«

      Marijke schüttelte den Kopf. »Nein, Maar ... Mijnheer. Ich weiß wirklich nichts von all diesen Dingen.« Sie schüttelte leicht den Kopf. »Es tut mir leid.«

      Maarten gluckste. »Das ist in Ordnung, Marijke. Ich bin mir sicher, dass dir sehr vieles ungewöhnlich erscheinen muss, ja, ... vielleicht sogar beängstigend.«

      Sie nickte.