Dieser Gedanke betrübte den Grafen sehr, dennoch war ihm seine liebliche Tochter eine Freude und erfüllte sein Herz jeden Tag mit väterlichem Stolz und Wonne. Sie wuchs mit den Jahren zu einer wahren Schönheit heran. Deshalb bekümmerte ihn die Vorstellung, dass er sie eines Tages verlieren würde, wenn sie einem geliebten Manne als Gattin folgte. Dann würde er als einsamer Mann sterben mit dem Wissen, dass niemand in seine Fußstapfen treten und in seinem Namen über das Land Autum herrschen würde.
Allein mit der Jagd vermochte er diese trüben Gedanken kurzweilig zu verscheuchen. Deshalb liebte er den Herbst mehr als all die anderen Jahreszeiten. Denn erst wenn er die Jagdhörner durch die Wälder tönen hörte; wenn er die scheuen Hirsche und Rehe zwischen den Bäumen davon preschen, sie mit pochendem Herzen in die Enge getrieben und mit ängstlichen Augen auf ihr ungewisses Ende blicken sah; wenn er die kläffende Hundemeute vernahm, die mit wildem Gebell verängstigte Kaninchen aus ihrem Bau scheuchten; wenn er die Rebhühner aufgeregt in die Lüfte steigen sah, obwohl sie ihre Nester bis zur letzten Sekunde zu beschützen gedachten; erst dann wenn er die Macht besaß, über das Leben und den Tod zu richten; erst dann vergaß er seinen Kummer.
5. Kapitel
Eines Morgens zu Beginn des Monats Oktober stand Graf Eberstein auf der Wehrmauer seiner Burg und starrte düster, mit kleinen nahezu schwarzen Augen, die unter buschigen dunkelgrauen Augenbrauen saßen, in den dichten feuchten Nebel, der tief und schwer über den Wäldern hing.
Der riesige Mann seufzte tief, während sich dabei die Nasenflügel seiner aristokratischen Hakennase nach außen wölbten. Seiner stattlichen Erscheinung tat diese Mimik der Melancholie jedoch keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil, wirkte sie doch eher einschüchternd und unnahbar. Die derben Züge seines Kampf gezeichneten Gesichts blieben ansonsten unberührt und schienen wie versteinert.
Er schlug den pelzigen Kragen seines braunen ledernen Umhangs nach oben, um sich die frostige Kälte vom Leib zu halten. Mit Widerwillen gestand er sich die unumstößlichen Vorboten des bevorstehenden Winters ein, dem der Herbst allmählich wich.
«So ist der Herbst nun bald vorbei», sprach er zu sich selbst und seufzte wieder.
«Oh, wie wird mir. Stehen doch nur Kälte und Tristesse ins Haus. Obwohl noch nicht vergangen, wünschte ich mir die liebste Jahreszeit zurück. Ach, du mein Herbst...,
...versetzt die Welt in warmen Ton,
erst grün, dann gelb, am Ende rot,
und fallen die letzten Blätter schon,
fand manch ein Tier des Jägers Tod.»
Es schauderte ihn, nicht nur der Kälte wegen, sondern aufgrund der Schwermut seiner eigenen Worte und der unausbleiblichen Trennung von seiner geliebten Jahreszeit. Eberstein versank in tiefe Gedanken.
So fand ihn sein Hofmagier vor. Wortlos gesellte er sich zu ihm. Ein leichter Wind blies über die Mauern, sodass sein nachtschwarzer Umhang sanft flatterte. Die stahl-grauen Augen des Zauberers blickten tief liegend aus einem Gewirr von langem Haar. Es war nicht leicht auszumachen, wo das Kopfhaar endete und das Barthaar anfing, geschweige denn, welches Gesicht sich dahinter verbarg. Lediglich die Nase zeichnete sich als kleine, runde Knolle zwischen dem strähnigen Weiß ab.
Nach einer andächtigen Pause, ergriff der Zauberer das Wort und sprach mit gemäßigter Stimme: «Ehrwürdiger Herrscher, ihr seit früh auf. Aber sagt, was gibt Euch Anlass zu diesem finsteren Gesicht?»
«Ach, mächtiger Merlin, mein Herz liegt in Trauer.»
«Mein lieber Graf, wie kann das sein? Wessen Tod habt ihr gesehen? Wie kann es sein, dass ihr die Zukunft besser kennt als ich?»
Eberstein blickte verloren in die Ferne.
Leise sprach er: «Kein menschliches Wesen verlässt uns, mein treuer Merlin. Es ist der Herbst. Ich nehme Abschied von den Freuden der Jagd, von der Fülle der Früchte, von den letzten wärmenden Sonnenstrahlen. Ach, Merlin, bald bin ich ein einsamer Mann. Helena ist so gut wie fort und nun verlässt mich auch die dritte Jahreszeit. Mir bleibt nichts außer der Einsamkeit und der Leere in meinem Herzen.»
Der Magier betrachtete ihn lange.
«Ja, er ist alt geworden, unser Graf», dachte er, sprach jedoch: «Der Lauf der Zeit lässt sich nicht aufhalten. Die Geburt ist der Anfang, das Ende der Tod. Das ist unumstößlich. Das Wesentliche jedoch liegt dazwischen, mein guter Herr.»
Er hielt kurz inne und bedachte mit Sorgfalt seine nächsten Worte.
«Graf Eberstein, noch seid ihr jung genug, um Euch eine zweite Gemahlin zu nehmen.»
Eberstein winkte müde ab.
«Nach einem jungen Weibsbild stehen mir die Sinne nicht. Die Aufmerksamkeit und die Höflichkeit mit der man einer feinen, jungen Dame begegnen sollte, kann und will ich nicht mehr bieten. Bei mir wird gefurzt und gerülpst bei Tisch, der Wein wird geschlürft, der fettige Braten mit lautem Schmatzen verschlungen und die dreckigen Hände am Wams abgewischt.»
«Mein geschätzter Graf, Ihr könntet Euch ändern. Die denkbare Zukunft würde Euch Stärke und Willenskraft verleihen», entgegnete der Merlin.
Eberstein schüttelte energisch den Kopf.
Der Zauberer erhob seine Hand und veranlasste den Grafen nicht voreilig zu antworten. «Urteilt mit Bedacht, mein Gebieter. Ich gebe Euch eine Vision, um Eure Entscheidung zu überdenken. Stellt Euch Folgendes vor: eine junge Dame von edlem Geblüt, hübsch und adrett anzusehen. Sie schreitet an Eurer Seite, während ihr sie mit prunkvollen Festen und prächtigen Bällen in die Gesellschaft einführt und ihr eine einzige, wichtige Aufgabe übertragt, die da wäre...»
Eberstein öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber sogleich, da ihm der Merlin erneut Einhalt gebot.
«Lasst mich fortfahren, edler Herr. Eure Gemahlin wird Euch mit Freuden gesunde Söhne zur Welt bringen, die wiederum gesunde Söhne zeugen werden. Damit wird Euer ruhmreicher Name von Generation zu Generation weiterleben und Ihr mit ihm.»
Wieder schwieg der Zauberer einen Moment, um seine Worte wirken zu lassen.
Dann sprach er weiter: «Ihr seht also, mein ehrenvoller Graf, Ihr würdet nicht einsam von dieser Welt schreiten und Eure ruhmreichen Taten nicht vergessen werden.»
Eberstein dachte nach. Er ließ sich viel Zeit, bevor er antwortete: «Ich muss schon zugeben, Eure Vision gefällt mir, ehrwürdiger Merlin, besonders der Teil mit den Söhnen. Aber ich will bescheiden sein, ein männlicher Nachfolge würde mir vollends genügen.»
Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, bevor er mit einer wegwerfenden Handbewegung weitersprach: «Aber könnten wir den Teil mit der Frau nicht weglassen? Wie stellt Ihr Euch das vor? Ich bin alt und trage mein graues Haar mit Stolz und Würde. Wie könnte ich einer jungen Dame aufwarten, die nicht mehr Lenze zählt, als meine eigene Tochter?»
Der Graf hielt kurz inne, dann schüttelte er resigniert den Kopf: «Nein, das kann und werde ich nicht.»
Der Zauberer nickte zögernd, sprach aber dann: «Ich respektiere Eure Entscheidung und dennoch bedaure ich sie sehr, denn Einsamkeit ist kein schöner Wegbegleiter.»
Beide widmeten sich wieder vollends dem tristen Anblick des Morgens. So schien es jedenfalls, aber in den Gedanken des Grafen spann sich eine absonderliche Idee.
«Merlin, Ihr seid ein mächtiger Zauberer und kennt Euch in der Welt der Magie aus, wie kein Zweiter. Bestimmt ist Euch ein Weg bekannt, um mir meinen Wunsch nach einem männlichen Erben zu erfüllen, ohne dass ein Frauenzimmer von Nöten ist.»
Der Merlin blickte tief in die dunklen Augen und in die Seele des alten Mannes, bevor er mit Milde entgegnete: «Ich sehe, wie sehr dieser Wunsch in Euch brennt, aber um ein neues Leben entstehen zu lassen, bedarf es eines Mannes, einer Frau und dem Willen des allmächtigen Gottes. So sehr ich