Daniela Dittel
Gina Keck
und das Herz des Herbstes
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Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel
Mit ihren neun Jahren fühlte sich Gina Keck bereits sehr erwachsen. Was sich in der Tat oft dadurch bestätigte, dass sie von den meisten Erwachsenen aufgrund ihrer Körpergröße von stolzen ein Meter siebenundsechzig, ihrem unumstößlichen Selbstbewusstsein und nicht zuletzt aufgrund ihres überdurchschnittlichen Wortschatzes, den sie auch bestens anzuwenden wusste, entsprechend behandelt wurde.
Daher konnte Gina es auch nicht leiden, dass ihre Mutter sich seit neuestem wieder in ihre tägliche Kleiderauswahl einmischte. Gut, sie hatte das ein oder andere Mal etwas daneben gegriffen. Aber nicht was das Zusammenspiel der Farben, Muster oder Stoffe betraf, sondern aufgrund der höchst mysteriösen Wetterverhältnisse, die schon das ganze Jahr über herrschten.
Wütend starrte Gina mit großen, dunklen Augen aus dem Fenster und schmollte. Dabei schob sie ihre schmale Unterlippe zu einer gut geübten Rolle aufs Kinn hinunter, was in den meisten Fällen eine ausgezeichnete Wirkung erzielte, um das zu bekommen, was man unbedingt haben wollte. Aber hier schien es zwecklos, denn ein beständigeres Wetter erreichte sie dadurch nicht.
«Der blöde Sommer ist schuld daran, dass ich wie eine Dreijährige behandelt werde», dachte sie gereizt und schubste den rosa Pullover vom Bett, den ihre Mutter zurecht gelegt hatte.
«Und den blöden Pulli mag ich nicht, der kratzt. Und Hallo? Falls das noch niemand bemerkt hat, draußen scheint die Sonne.»
Sie presste ihre kleine Nase gegen die Fensterscheibe am Kopfende ihres Bettes und hauchte mit spitzen Lippen ihren Atem dagegen, sodass sie anlief. Es quietschte als sie mit ihrem Zeigefinger eine kleine Blume darauf malte.
«Was ist nur mit diesem Sommer los», dachte sie. «Nicht, dass ich ihn nicht mag. Aber allmählich dauert er schon viel zu lange und vor allem ist er so anders als die Jahre zuvor.»
Unreif und unstet brachte der Sommer das Wetter über die Erde, wie ein kleines Kind...
Ja, genau wie Ginas kleiner Bruder Ben, wenn er von seinen Gefühlen überwältigt, mit seinen Armen wild fuchtelnd, seinen Willen durchzusetzen versuchte...
Viel zu früh war es heiß geworden in diesem Jahr. Bereits im März, wo die Blumen noch gemütlich in der Erde keimen sollten, schossen sie innerhalb eines Augenblicks aus ihren dunklen Löchern. Durch den nächtlichen Tau gestärkt, erblühten sie morgens in ihren Beeten, standen tagsüber schattenlos in der heißen Sonne und ließen abends ihre blassen Köpfe hängen. Und unaufhaltsam fielen die ersten welken Blütenblätter zu Boden...
Aus heiterem Himmel folgten gewaltige Unwetter. Zuckende grelle Blitze elektrisierten die schwüle Luft. Wieder und wieder schossen sie durch die grauen Wolkenmassen und entluden sich mit heftigen Donnerschlägen, sodass die Erde unter dem Grollen erzitterte. Dort, wo sie einschlugen, zeigten sie deutlich ihre zerstörerische Macht und verwandelten die Erde zu Feuer und Staub...
Urplötzlich fegten unaufhaltsame Winde in gigantische Säulen über das Land. Sie rissen mit sich, was ihrer Kraft nicht stand hielt und hinterließen eine staubige Spur der Verwüstung und Zerstörung...
Sintflutartiger Regen ergossen sich über das Land und verwandelten Flüsse in reißende Ströme. Seen schwappten über ihre Ufer und überschwemmten das umliegende Land. Ganze Ortschaften versanken in den Fluten, die Ernten wurden ertränkt und Mensch und Tier kämpften um das Überleben...
Dem allem war noch nicht genug. Hinzu kam die frostige Kälte, die innerhalb von Stunden sommerliche Temperaturen auf den Gefrierpunkt sinken ließ...
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