„Ganz dicht heran an die Sektkühler“, sagte sie. „Wenn das Zeug wärmer wird, macht nichts. Aber der Sekt soll so lange wie möglich kalt bleiben.“
„Wir haben ihn bis jetzt im Tiefkühler gelassen“, erklärte Olga, die junge Weißrussin. „In einigen Flaschen sind schon kleine Eisstückchen.“
„Na fein, dann wird’s schon klappen“, bedankte sich Marlies. Nachdem die Mädchen abgezogen waren, kontrollierte Marlies nochmals die Gläser und stellte nach einem Blick auf die Uhr fest, dass es fast Sieben war. Normalerweise wären um diese Zeit schon die ersten Besucher in der Galerie. Sie fing Nehbergs nervösen Blick auf und lächelte ihm beruhigend zu. Sie würden schon kommen. Einige Treue tauchten immer auf. Die Künstlerin und ihr Begleiter waren nicht zu sehen, so stellte Marlies sich zu ihrem Arbeitgeber.
„Das mit der Dreizimmerwohnung scheint zu klappen“, teilte sie ihm mit. Sein Gesicht hellte sich auf. „Das freut mich.“
„Aber der Hausbesitzer will ihn trotzdem vorher noch kennen lernen. Er hatte noch nie einen Maler in seinem Haus. Scheinbar hat er ein wenig Angst um seine Parkettböden!“
„Na, dann muss Nikolas eben in Anzug und Krawatte bei ihm vorstellig werden. Ich denke, das ist kein Problem.“
Die Einführung von Dr. König begann um 19 Uhr 35. Es waren nicht mehr als zwanzig Personen anwesend. Während der Ansprache kamen zum Glück noch einige Nachzügler. Dr. König war trotz Anwesenheit seiner Gattin offensichtlich auch sofort dem Charme und guten Aussehen der Malerin verfallen. Seine begeisterte Ansprache dauerte fast zehn Minuten länger als gewöhnlich. Sogar die hartgesottensten Vernissagebesucher schoben sich erwartungsvoll immer näher an die Getränke heran. Als Marlies endlich den ersten Sektkorken knallen lassen konnte, ging eine Woge der Erleichterung durch die ganze Runde. Selbst Nehberg griff nach seinem Glas wie ein Verdurstender, statt sich zuerst den potentiellen Käufern zu widmen.
Der Sekt war noch angenehm kühl. Mineralwasser und Orangensaft hatten größtenteils Zimmertemperatur erreicht, bis auf die wenigen Flaschen, die direkt um die Sektkübel gruppiert waren. Das Eis war fast vollständig zerschmolzen. Nachdem alle mit Getränken versorgt waren, flüchtete Marlies auf die Damentoilette. Mit einigen Papiertaschentüchern trocknete sie Gesicht und Nacken. Der Schweiß lief ihr in Strömen über Rücken und Bauch. Sie wünschte sich, der Abend wäre endlich vorbei. Ihr Mann saß jetzt gemütlich im Garten und ließ wahrscheinlich die Beine in den Swimmingpool baumeln. Nun war sie ihm doch dankbar, dass er sich mit dem Schwimmbecken durchgesetzt hatte. Obwohl es die halbe Rasenfläche in ihrem Schrebergarten platt machte. Aber bei der Hitze war das Ding wirklich unbezahlbar. Sie war richtig froh, dass dies die letzte Vernissage vor der Sommerpause war.
Kapitel 8
Ein Familienidyll wie in einem Rosamunde Pilcher Film! dachte Clea. Fast schon unwirklich. Aber irgendwie schön! Sie war angenehm satt. Moniques Küche war wirklich ein Erlebnis für einen berufstätigen Single. Da kamen ihre TK-Pizzen wirklich nicht mit, nicht mal Dimitris Kebab, das sie sich meistens am Samstagmittag nach Ladenschluss gönnte. Das war immer der Höhepunkt des Wochenendgefühls für sie. Diese vage Stimmung von Freiheit. Spätestens Samstagabend nach der Tagesschau verflüchtigte sie sich für gewöhnlich. Und jedes Mal der Vorsatz, sich für das kommende Wochenende etwas vorzunehmen. Sie seufzte leise auf bei diesen Erinnerungen, die ihr schon nach der einen Woche in Veules ziemlich bizarr, ja geradezu fremd erschienen. Henri David, aufmerksamer Gastgeber, interpretierte ihr Seufzen falsch.
„Eau de vie, Clea“, diagnostizierte er. „Ist die Bauch zu voll?“
Clea musste lachen. Henris Deutsch war so miserabel wie ihr Französisch. Deswegen unterhielten sie sich wohl auch so ungezwungen zweisprachig, und wenn das nicht reichte, eben mit Händen und Füßen. Dazu kam noch sein mitreißender Charme, den Clea ganz ungezwungen genoss. Sein Sohn Jean-Paul besaß den gleichen Charme. Doch bei ihm hatte Clea das merkwürdige Gefühl, er meine sie persönlich. Natürlich glaubte sie aufgrund ihres, von Friedemann total zerstörten weiblichen Selbstwertgefühls, sie würde sich das nur einbilden, was allerdings keinerlei beruhigende Wirkung auf sie ausübte. Ganz im Gegenteil. So vermied sie ziemlich krampfhaft den Augenkontakt mit ihm, obwohl er direkt neben ihr saß.
„Clea ist nur traurig, soviel alte Leute hier!“, widersprach Jean-Paul seinem Vater auf Deutsch und mit einem breiten Grinsen. „Sie braucht etwas Abwechslung!“
Clea und Henri protestierten beide gleichzeitig. Doch Jean-Paul ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen, um der nun folgenden Einladung den nötigen Nachdruck zu verleihen.
„Morgen Abend gibt es eine Fete, Freunde von mir haben hier eine Ferienvilla. Komm doch mit Clea, wir wollen den Rosenmonat feiern.“
„Den Rosenmonat?“
„Ja, der Juni ist der schönste Monat in Veules. Und gestern hat er angefangen. Wir treffen uns immer am ersten und am dritten Samstag im Juni hier. Juli, August gehört die Stadt den Touristen. Einfach ein furchtbarer Trubel. Und Mama hat dann auch gar keinen Platz für uns, alle Zimmer sind in der Hochsaison ausgebucht.“
„Kommt Betty auch mit?“
„Ja klar. Obwohl sie mit ihren fast 26 Jahren eigentlich schon zu alt für unsere Fete ist!“, neckte er Clea.
„Wie alt bist du denn?“, fragte Clea spontan und genierte sich sofort für ihre direkte Frage. Doch Jean-Paul hatte kein Problem damit.
„23 Jahre“, antwortete er bereitwillig. Au weia, dachte Clea. Das war noch jünger als sie gedacht hatte. Andererseits half ihr das, sein Angebot anzunehmen.
„Okay, wenn es dich nicht stört, dass ich fast deine Mutter sein könnte, komme ich mit!“
Jean-Paul schien das sehr komisch zu finden. Er sagte in seinem schnellen Französisch etwas zu seiner Schwester. Die zuckte nur die Schultern und wandte sich dann wieder ihrer Großmutter Claudine Schneider zu. Clea lehnte sich zufrieden zurück, nahm ihr Weinglas in die Hand, schnupperte genießerisch und steigerte damit die Vorfreude auf den nächsten Schluck. Die Gespräche um sie herum plätscherten wie eine kleine Melodie in ihrem Bewusstsein, erzeugten einen Moment des vollkommenen Wohlbehagens.
Wie gut, dass sie diese Reise gewagt hatte. Alles war geradezu vollkommen. Sie fühlte sich zum ersten Mal seit langem frei, richtig frei. Jeden Tag der vergangenen Woche war sie durch Veules les Roses gestreift. Der Ort verzauberte sie geradezu. Dazu noch die langen Spaziergänge durch die Felder, oben auf den Klippen. Die steile Treppe aus Beton bei Sotteville, zernagt von den Wellen des Atlantiks. Trotz des Sperrschildes mit der Warnung vor der Einsturzgefahr, hatte sie es den Anglern nachgemacht und sich auf den steilen Abstieg begeben. Im unteren Drittel schwang sich die Treppe im Bogen um die Klippe und gab den Blick frei auf die lange, sichelförmig geschwungene Kreideküste von Fecamp bis Dieppe.
Die weißen Klippen fassten das ruhig daliegende, grünblaue Meer ein. Sie hatte sich auf eine der hohen, zerbröckelnden Stufen gesetzt und dieses Bild auf sich einwirken lassen. Und musste lauthals herauslachen, als ihr mit einem Mal klar wurde, woran sie dieser konturierte farbige Anblick plötzlich erinnerte: An Waldmeisterfruchtgelee in einer weißen Porzellanschüssel! Ihr Lachen scheuchte einige Möwen auf, die mit missfallendem Meckern davon segelten und auf irgendeinem Felsvorsprung ihre verloren gegangene Ruhe suchten.
Aber bei Moniques Küche war es wirklich kein Wunder, wenn ihr Gehirn solche Assoziationen hervorbrachte! Sie kehrte mit ihren Gedanken in die Gegenwart zurück und stellte erleichtert fest, dass niemand sie vermisste. Monique war in der Küche verschwunden. Betty als brave Tochter war dabei, das Geschirr abzutragen. Jean-Paul diskutierte ziemlich erregt über irgendetwas