Alte Männer - böser Traum. Linda Große. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Linda Große
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847655558
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zurück zur Truppe. Die war in Amiens, in der Ecole St. Martin untergebracht. Da wurde ich dann Kradmelder. Eine Zeitlang den Cheffahrer vertreten, den Kommandanten gefahren. Danach wurden wir verladen, über Karlsruhe nach Sizilien.“

      „Nun hör endlich auf damit, Simon! Clea kann sich ja gar nicht aufs Fahren konzentrieren“, ermahnte Lilo ihren Mann. „Und außerdem redest du doch sonst nie über solche Sachen!“

      Stimmt, dachte Clea. Die Gegend muss bei ihm ja heftig Erinnerungen auslösen. Trotzdem kam ihr Lilos Ermahnung recht. Es fiel ihr wirklich schwer, sich auf die Hinweisschilder, das Fahren und Simons Erzählung zu konzentrieren. Außerdem lenkte die Aussicht sie immer wieder ab. Dazu stand auch noch die Sonne voll über der Windschutzscheibe und sie fühlte sich wie ein pochierter Rollbraten. Der Schweiß quoll aus sämtlichen Poren und sie lechzte nach einer erfrischenden Dusche. Für ein Bad im Atlantik war es um diese Jahreszeit wohl noch zu kalt. Lilo und ihre vertrackte Flugangst! Und natürlich Kaspars sensible Psyche! Vierzehn Tage in einer Hundepension hätten, nach Lilos Ansicht, den Hund unweigerlich in eine schwere und bleibende Psychose gestürzt.

      Wo sie diese Weisheiten nur her hat, fragte sich Clea zum wiederholten Male. Lilos Statements zu sämtlichen, für sie schwerwiegenden Fragen des Lebens, sorgten entweder für amüsante Momente oder peinliche Augenblicke. Dazu kamen sie meistens völlig unerwartet. In der Regel, wenn Simon und Clea total entspannt und zufrieden waren, nicht einmal den Hauch eines Problems erahnten. Aber Lilos Horizont reichte eben weiter, viel weiter. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie bei ihren häufigen Arztbesuchen regelmäßig diese Frauenblättchen las. Clea fragte sich, ob Lilo nicht bloß aus diesem Grund ständig den Arzt aufsuchte, nämlich um ungestört diese Heftchen lesen zu können, ganz ohne Gesichtsverlust. Bei dem Gedanken musste sie unwillkürlich kichern.

      „Mir ist das Lachen mittlerweile vergangen!“, meldete sich Lilo prompt. „Hier hinten ist es wie im Backofen. Umluftbackofen. Heiß und zugig! Sind wir nicht bald da?“

      „Beim letzten Hinweisschild waren es noch 16 km“, antwortete Simon. Er wischte sich erneut Stirn und Nacken mit seinem völlig durchweichten Taschentuch.

      “Wer ist bloß auf die Idee gekommen, mit dem Auto hierher zu fahren?“

      Lilo als kluge Ehefrau wusste, wann es angebracht schien, eine Bemerkung zu ignorieren und erwiderte nichts darauf. Sie durchfuhren gerade wieder einen kleinen, verschlafenen Ort. Hinter hohen Hecken reckten sich die Erker und Türmchen verträumt wirkender Häuser.

      „Richtige Schneewittchenschlösser“, staunte Clea. Schweres Gebälk rankte sich in anmutigen Schwüngen um die zahllosen, spitzen Giebel. Hinter einer Biegung eine hohe, gestutzte Baumreihe und überraschend plötzlich war der Ort zu Ende. Nur noch eine Fata Morgana im Rückspiegel. Ein Leinfeld in leuchtendem Gelbgrün veränderte unter einer plötzlichen Windbö seine Farbe. Wellenförmig erschienen sämtliche vorstellbaren Grüntöne auf der samtigen Fläche. Eine Möwe schaukelte mit dem Wind über dem Feld hin und her. Sie ließ ein aufgeregtes Kreischen hören, als gäbe es unter ihr irgendein Ärgernis. In einer Senke am Horizont lag das Meer.

      „Schau Kaspar, das Meer“, ermunterte Lilo den hechelnden Mops. „Gleich sind wir da!“

      „Jetzt eine kalte Dusche!“, verkündete Clea laut.

      „Und ich bin froh, wenn ich meinen BH endlich loswerde. Er schnürt mich fürchterlich“, stöhnte Lilo. „Mit zunehmendem Alter macht die Gravitation meinem Busen ganz schön zu schaffen!“

      „Gravitation?“, spöttelte Simon. „Laut Newton wirkt die auch schon bei Äpfeln. Und Apfelgröße hattest du zum Glück noch nie!“

      „Männer!“, sagte Lilo.

      „Väter!“, ergänzte Clea. „Je öller, je döller!“

      Während Lilo sich darüber wunderte, dass alle Häuser Namen hatten, konzentrierte sich Clea auf die Wegbeschreibung. Sie fanden ihr Ziel ohne Probleme in dem kleinen Ort. Das graue Feldsteinhaus ruhte wie ein gestrandetes Schiff in einem wunderschönen romantischen Garten. Rosen rankten über Zäune, Wände und Blumengitter. Terrakottatöpfe mit blühenden Geranien säumten den Kiesweg. Dahinter die üppigen Polster von Lavendel mit einem ersten leisen Hauch von Blau über den Knospen. Und noch mehr Rosen aller Art und Couleur.

      Der Weg verbreiterte sich und mündete in einen gepflasterten Hof. Mehrere schwere, weiß lackierte Tische mit den passenden Stühlen standen vor dem Haus, gusseisernes Rankwerk um Gestelle und Lehnen spiegelte die üppige Vegetation des Gartens wider. Kaspar schnupperte interessiert an einem Blumentopf und wollte gerade das Bein heben, als ihre Gastgeberin auf der Eingangstreppe erschien. Lilo zerrte an seinem Halsband. Nur widerstrebend ließ sich der Mops von seinem Vorhaben abbringen, das Terrain zu signieren. Also Kaspar gefällt es hier schon mal, dachte Clea.

      „Herzlich willkommen. Ich bin Monique David.“

      Ihr Deutsch war völlig akzentfrei. Von Marlies Wittke wusste Clea, dass Mme David in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen war.

      „Bitte nennen Sie mich Monique. Wo haben Sie ihr Auto stehen? Ich zeige Ihnen gleich die Garageneinfahrt. Aber erst die Zimmer, dann können sie sich vor dem Begrüßungsdrink ein wenig frisch machen.“

      „Ich hab vergessen das Auto abzuschließen“, entgegnete Clea.

      „Ach, das macht nichts. Hier kommt nichts weg, keine Sorge.“

      Kapitel 5

      Das Wasser lief erfrischend kühl über ihren erhitzten Körper. Von Simon hatte sie sich zum ersten Pastis ihres Lebens überreden lassen. Der bewirkte jetzt ein sachtes Schwanken der Duschkabine. Duschen auf hoher See. So musste das sein, dieses leichte Trieseln im Kopf. Sie empfand es als sehr angenehm. Weshalb klagten die Leute immer über Seekrankheit? Dieses Schwanken wie bei Wellengang fand Clea gar nicht so übel.

      Simon und Lilo hatten sich für ein Nickerchen zurückgezogen. Bis zum Abendessen war noch genügend Zeit. Und Clea drängte es ans Meer. Während sie im Garten ihre Drinks genossen hatten, schwebten einige Möwen von einer Windbö getragen auf den Dachfirst hinauf und ließen einen langgezogenen Klageschrei hören. Cleas Magen hatte sich bei dem Ton heftig zusammengezogen. Fast so heftig wie damals, als sie sich in Friedemann verliebte. Jedenfalls löste der Schrei der Möwe in ihr sehnsüchtig den Drang aus, sofort ans Meer zu wollen. Auf der Stelle! Aber ihre gute Erziehung hatte natürlich wie immer die Oberhand gewonnen. Sie war brav sitzen geblieben. Small talk mit Monique, dann Auto in die Garage, Gepäck auf die Zimmer, beim Auspacken helfen während Lilo eine Runde mit Kaspar drehte, die Betten verschieben bis sie so standen wie Lilo es wollte, usw., usw.. Irgendwann endlich, total verschwitzt und leicht beschwipst unter die Dusche.

      „La mer, das Meer, lalala mer“, trällerte Clea, drehte den Hahn zu und angelte sich das zurechtgelegte Duschtuch. Natürlich in Marineblau. Aber die Handtücher waren rosarot. Rosenrot. Als sie an Simons und Lilos Zimmertür vorbeikam, ließ sich das vernehmbare Schnarchduett nicht überhören. Na denn, dachte Clea, dann werden die Zwei beim Abendessen wohl fit genug sein für die Konversation. Heute Abend würde sie auch endlich Moniques Mutter kennen lernen. Die Geliebte des deutschen Leutnants. Komisch, dass Marlies Wittke sogar von den flüchtigsten Bekannten immer gleich deren ganze Lebensgeschichte erfuhr. Nur meine nicht, dachte Clea mit einem plötzlichen Anflug von Stolz.

      Veules les Roses war wirklich ein zauberhafter Ort. Clea blieb immer wieder stehen und bestaunte die Gärten und Häuser.

      „Märchenhaft“, sagte sie halblaut, „einfach unglaublich! Wo ist Dornröschen? Wo haben sich Schneewittchen und die sieben Zwerge versteckt? Was zum Kuckuck findet Marlies hier trostlos?“

      Die Sträßchen mündeten auf die auch nicht viel breitere Hauptstraße, die geradewegs zum Strand führte. Ein großer grauer Kasten versperrte die Sicht.

      Wer hat diese Mietskaserne hierher gebeamt? fragte sich Clea geschockt. Doch ihr Blick wurde gleich wieder