Marsjahr. Sven Hauth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sven Hauth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742783653
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Mark schien auf Ewig dazu verdammt, ein Kind zu bleiben.

      "Hey du."

      Hinter Mark stand das Mädchen und tippte ihm auf die Schulter. Über ihre Stirn rannen Tropfen, die Schweiß oder Trinkwasser sein konnten. Mark unterbrach seinen Lachkrampf und drehte sich um. Noch bevor er seine Gegnerin einschätzen konnte, verpasste ihm das Mädchen einen Schwinger direkt auf die Nase. Mehr aus Überraschung als von der Wucht des Boxhiebs taumelte Mark rückwärts in seinen Spind und blieb in einer Haltung irgendwo zwischen Sitzen und Stehen in der Türöffnung stecken. Mit beiden Händen hielt er sich die Nase und stieß einen Zischlaut aus. Paul beobachtete fasziniert, wie sich ein scharlachrotes Rinnsal den Weg über Marks Kinn suchte. Ed verdrückte sich in die Ecke und sah noch dünner und bleicher aus als sonst.

      Als Mark sich vom ersten Schock erholt hatte, funkelte er das Mädchen an.

      "Fuck, was hast du für ein Problem?"

      "Was hast DU für ein Problem? Denkst du das ist lustig?" Sie sprach mit einem kantigen Akzent.

      Mark wusste nicht, was er sagen sollte und wischte mit dem Handrücken über seine Nasenlöcher. Plötzlich hellte sich seine Miene auf.

      "Lehrkörper", raunte er Paul zu und nickte Richtung Brunnen. Paul erkannte seine neue Chemielehrerin. Acht Augenpaare verfolgten, wie Mrs. Schalge (oder Schalgi?) sich hinab beugte und den Knopf drückte. Das Wasser trat in einem kräftigen Strahl aus, traf zielsicher ihr Brillenglas und zerstob in unzählige Spritzer, die auf ihrer rüschenbesetzten Bluse ein feines Rorschachmuster hinterließen. Die Lehrerin sah sich um, ängstlich, als hätte sie einen Fehler begangen. Diesmal gelang es Mark, sein Lachen unter Kontrolle zu halten. Er setzte sein bestes Pokerface auf. Inzwischen war sein Nasenblut quer über den Mund verschmiert, so dass er mehr aussah wie Batmans Joker als ein Unschuldsengel. Doch selbst wenn sie in Mark den Täter vermutet hätte – die arme Frau wirkte so verschüchtert, dass sie wohl nie gewagt hätte, ihn – oder irgend jemanden – zu beschuldigen. Die Brille mit dem Zipfel ihrer Strickjacke trocknend ging sie davon, als wäre nichts passiert.

      "Mein Gott, seid ihr Amerikaner alle so kindisch?", fragte das fremde Mädchen.

      "Hauptsächlich Mark", sagte Paul.

      "Was soll das heißen, ihr Amerikaner? Wo kommst du denn her?"

      "Aus São Paulo."

      Mark zögerte. "In Texas?"

      Ale verdrehte die Augen.

      "São Paulo ist die größte Stadt in Brasilien. Das ist in Südamerika", fügte sie hinzu, als sie Marks leeren Blick bemerkte.

      "Du bist aus Brasilien?"

      "Sou, o senhor."

      "Siehst aber nicht so aus."

      "Ach ja? Wie sehen wir denn deiner Meinung nach aus?"

      "Naja, irgendwie… kurviger."

      "Also eher wie du?"

      "Eher wie die da." Mark zeigte auf das Foto einer Brünetten, die sich in einem Stofffetzen, der gerade noch als Bikini durchgehen konnte, auf der Motorhaube eines Ferrari räkelte.

      "Dann bin ich wohl die goldene Ausnahme."

      Brasilien. Paul überlegte, was ihm dazu einfiel. Samba, Karneval, Copacabana kamen ihm in den Sinn, und ja, er musste zugeben, auch das Bild exotischer Strandschönheiten in mikroskopischen Stringtangas. Das Mädchen vor ihm verkörperte eher das Gegenteil. Abgesehen von den schwarzen Haaren sah sie gänzlich unbrasilianisch aus – flachbrüstig, hellhäutig (wenn auch nicht Special-Ed-hellhäutig) mit Sommersprossen, in gedeckten Farben gekleidet. Keine Spur von Karneval an ihr.

      "Und wie gefällt's dir so in Amerika?", fragte Mark.

      "Ich BIN aus Amerika." Sie funkelte ihn an.

      "Schon gut." Mark hob abwehrend die Hände, als ob sich für den nächsten Schlag wappnete. "Dann eben in Plainsville."

      "Ist ganz okay."

      "Ich bin übrigens Mark."

      "Ale", sagte das Mädchen.

      "Alley?" Marks Lachen kehrte zurück. "Wie der Hinterhof?"

      "Wie A-L-E. Kurzform von Alessandra."

      "A-L-E? Das spricht man aber Ehl aus."

      "Ich glaube, ich weiß wie man meinen Namen ausspricht."

      Ed war schon vor einer Weile sein Grinsen vergangen. Mit unsicherer Miene verfolgte er das Geschehen. Die Anwesenheit der schlagfertigen Fremden schien ihn zu verwirren. Er machte ein glucksendes Geräusch.

      "Was ist mit ihm?", fragte Ale.

      "Das ist Special Ed. Ist 'ne lange Geschichte. Aber er gehört zu uns". Mark klopfte Ed gönnerhaft auf die Schulter. Eds Miene entspannte sich.

      "Ich muss los, das Foto fürs Jahrbuch machen lassen. Ausgerechnet jetzt." Mark hantierte an seiner Nasenspitze, als hätte er Angst, sie könne jeden Moment abfallen. Ale reichte ihm ein Kleenex.

      "Tut mir leid wegen deiner Nase. Frieden?"

      "Meinetwegen." Sie reichten sich die Hände. "Sorry wegen dem Wasser."

      Schon halb auf dem Weg zum Fotografen, drehte Mark sich noch einmal um.

      "Hey, ALE, sag mal was auf Spanisch."

      "In Brasilien sprechen wir Portugiesisch, du Ignorant"

      Mark zuckte mit den Schultern. "Was auch immer."

      "Foda se", rief Ale ihm zum Abschied hinterher.

      "Klingt cool", befand Mark und war verschwunden. Auch Ed humpelte wer weiß wohin. Für einen stummen Moment standen Paul und Ale sich gegenüber. Sie sah ihn an, als würde sie ihn erst jetzt richtig wahrzunehmen.

      "Ich bin Paul", sagte Paul.

      "Freut mich. Kannst du mir zeigen, wie man das blöde Zahlenschloss aufbekommt?" Ale gab ihm den Zettel mit der Kombination.

      "Klar." Sie gingen zu ihrem Spind, und Paul führte ihr vor, wie man das Rädchen einmal über die Null zurückzudrehen musste, bevor man die zweite Ziffer einstellte. Der Spind ging auf.

      "Obrigada. Danke."

      "Kein Problem. Man sieht sich." Paul fiel ein, dass auch er noch ein Date mit dem Jahrbuchfotografen hatte.

      -

      Auf seinem grüngelben Aufsitzmäher zog Darren kleiner werdende Kreise und betrachtete sein Werk. Allmählich verwandelte sich der Schulrasen von einer Wildblumenwiese zurück in die akkurat gestutzte Grünfläche, die er sein sollte.

      In den Tagen vor und nach Schulanfang gab es für Darren immer das Meiste zu tun. Klemmende Tafeln, die er mit ein paar Tropfen seines Spezialöls wieder gangbar machte. Spinde, die nach Zwangsöffnung verlangten, weil ein Schüler seine Zahlenkombination vergessen hatte. Neonröhren, die das Ende ihrer Lebenszeit erreicht hatten. Darren kümmerte sich um alles, bohnerte die Böden und ersetzte Projektorbirnen genau so wie Tische oder Stühle, die das Opfer von Vandalen geworden waren. Und an Vandalen herrschte an der Schule kein Mangel. Toilettenwände wurden beschmiert und Böden bespuckt. Ein paar ganz Schlaue machten sich einen Sport daraus, regelmäßig die Trinkbrunnen mit Kaugummi zu verstopfen, so dass Darren die ekelhafte Ehre hatte, diese mit seinem altbewährten Leatherman aus der Öffnung zu pulen.

      Das ganze Wochenende schon war er von einer Baustelle zur nächsten gehetzt. Heute stand der Außenbereich auf der Agenda, und langsam sah er Licht am Ende des Arbeitstunnels.

      Aus dem Augenwinkel nahm Darren eine Bewegung wahr. Zwei Schüler kamen aus dem Haupteingang geschlurft, mit einer Lethargie, wie sie nur High School Seniors in derartiger Perfektion beherrschten. Einer von ihnen, ein feister Typ mit roter Säufernase, rief irgendwas und winkte ihm zu.

      Darren hatte keine Ahnung, wer die beiden waren oder was sie wollten. Wahrscheinlich irgendwelche Idioten, die sich mehr oder weniger heimlich über ihn lustig machten.

      "Na,