Einer der Männer lachte auf. "Bei uns ist es üblich, dass jeder Passagier sich selbst verpflegt, oder sein Essen von der Mannschaft kauft. Wenn Euch das nicht gefällt, dann eßt doch Eure Ware, für die habt Ihr ja bezahlt."
Einen besseren Witz schienen diese Männer noch nie gehört zu haben. Jedenfalls wollten sich alle ausschütten vor Lachen, während Llauk gedemütigt und geschlagen vor ihnen stand.
Als sie sich wieder beruhigt hatten, drehte sich der Kapitän versöhnlich zwinkernd zu ihm um. "Nehmt es nicht übel, Herr", bat er Llauk. "Meine Mannschaft liebt grobe Späße. - Natürlich braucht Ihr nicht in Eure Stoffballen zu beißen ..."
Llauk atmete innerlich auf. Er hatte ja gewußt, dass alles nur ein übler Scherz gewesen war.
"...greift Euch doch einfach einen Fisch, Herr", fuhr der Dramile in untertänigem Tonfall fort, "Das Meer ist voll davon."
Brüllendes Gelächter begleitete Llauk, als er mit hängenden Schultern davonwankte. Auf dem Vorschiff betastete er die triefend nassen Stoffballen, die ihm das große Glück hatten bringen sollen. Plötzlich konnte er sich nicht mehr beherrschen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse des Jammers. Tausende von Ellen modernden Tuchs und ganze drei Bronzestücke nannte er sein eigen. Große Tränen lösten sich aus seinen Augenwinkeln. Hilflos sank er über seiner verdorbenen Ware zusammen und schluchzte leise vor sich hin, bis er endlich, frierend und mit leerem Magen, auf seinem durchweichten Vermögen einschlief.
Am nächsten Tag opferte Llauk ein Drittel seines Bargelds, um sich einmal richtig satt essen zu dürfen. Ein Bronzestück hatte die Mannschaft verlangt, eine Summe, für die Llauk in Thedra einen ganzen Tag lang hätte speisen können.
Nun hieß es aber, sich auch richtig satt zu essen! Llauk hatte nicht die Absicht, jeden Tag ein Bronzestück zu opfern. Wenigstens zwei Tage lang sollte die Mahlzeit schon vorhalten. So stopfte er denn auch wahllos alles in sich hinein, was die Proviantkiste hergab.
Die Mannschaft ließ ihn feixend gewähren, doch lange konnte sich Llauk trotzdem nicht an den Köstlichkeiten erfreuen. Kaum hatte er einen besonders großen Bissen Fleisch hinuntergewürgt, als sein Magen schon wieder mit aller Heftigkeit revoltierte. Gerade noch schaffte er den Weg zur Reling. Als er zurückkam. war die Proviantkiste schon wieder geschlossen und die Mannschaft stand grinsend darum herum.
Resigniert hatte Llauk sich abgewandt und war an diesem Abend wieder hungrig eingeschlafen.
Zwei Tage später hatte er es einfach nicht mehr ausgehalten. Er mußte einfach etwas essen. Demütig war er zur Mannschaft gegangen und hatte das zweite Bronzestück zwischen die Männer gelegt. Vorsichtig hatte er einige kleine Häppchen gegessen und ein wenig Wein getrunken. Er war erleichtert. - Diesmal schien sein Körper die Speise bei sich behalten zu wollen.
Schnell, viel zu schnell für Llauk, hatten die Matrosen ihr Mahl beendet und die Kiste wieder verschlossen. Aber wenigstens war das schlimmste Hungergefühl aus seinem Magen verschwunden.
Weitere vier Tage hielt Llauk standhaft durch, während das Schiff ruhig seine Bahn durch die offene See zog. Die Seekrankheit schien für immer von ihm gewichen. Sein ohnehin schlanker Körper hatte sich gestrafft und er hatte auch das letzte Quentchen überflüssigen Fetts verloren. Wäre da nicht seine ungewisse Zukunft gewesen, hätte er sich fast wohl fühlen können.
Llauks Verstand hatte sich in den letzten Tagen geklärt. Er wußte jetzt, dass er dem dramilischen Kapitän wie ein dummes Erdhörnchen in die Falle gegangen war. Der Mann würde sich nicht erweichen lassen, das war klar. Aber bevor er sein letztes Geldstück opferte, mußte Llauk mit ihm sprechen - unbedingt!
"Was willst du, Stoffmacher?" Der Kapitän hatte es sich in einem aus Korb geflochtenen Sessel auf dem Achterdeck bequem gemacht, das zu betreten Llauk eigentlich verboten war.
"Ich - ich habe kein Geld mehr." Llauk stand mit hängenden Schultern da und verschränkte nervös die Hände vor seinem Leib.
"Das ist ein Problem", bestätigte der Kapitän freundlich. "Du wirst essen müssen, Herr, die Fahrt dauert noch lang."
"Lasst mich an den Mahlzeiten teilnehmen, und ich beteilige Euch an dem Gewinn aus meinen Geschäften."
"Oho!" Der Kapitän richtete sich in seinem Sitz auf. "Dein Vorschlag ehrt dich, Herr, aber ich habe keinen Bedarf an verdorbenen Stoffen. Schlag dir diese Idee aus dem Kopf. - Daraus wird nichts."
Das hatte Llauk befürchtet. "Ich könnte mir mein Essen verdienen", versuchte er es wieder.
"Wie soll das denn gehen, Herr?" Der Kapitän schüttelte betrübt den Kopf. "Was verstehst du schon von Schiffen? - Und außerdem ist meine Mannschaft komplett."
Resigniert wollte Llauk sich abwenden, bereit, seine letzte Münze für eine einzige Mahlzeit zu opfern, als ihn die Stimme des Kapitäns zurückhielt.
"Tja, Herr, jetzt hast du mich auf eine Idee gebracht. Dass ich auch nicht früher daran gedacht habe! Du hast einen so schönen, schlanken Körper, Herr. - Mein Bootsmann machte mich darauf aufmerksam. - Ich bin sicher, dass du ihm einiges helfen kannst, bei einer Arbeit die man nur zu zweit tun kann. Dann wirst du Essen bekommen. - Glaub mir, ich selbst habe sehr großes Interesse daran, dass dein schöner, weicher Mund nicht leer bleibt."
Llauk verstand. Er konnte sein letztes Geldstück opfern oder behalten, es blieb sich gleich. Über kurz oder lang würde er doch auf die Vorschläge des Kapitäns eingehen müssen.
"Überleg nicht zu lange, Stoffmacherlein." Der Kapitän schaute mit kaltem Blick zu Llauk auf. "Gelegenheiten kommen und gehen, und ich denke, jetzt ist die Gelegenheit, mir für meinen großzügigen Vorschlag zu danken."
Gleichmäßig zog das Schiff seine Bahn durch das endlose Meer. Totenstill war es an Bord, nur ab und zu war das Knarren des Tauwerks zu hören. Alle Männer des Schiffs hatten die Augen auf das Achterdeck gerichtet, wo Llauk vor dem Kapitän niederkniete, den Kopf neigte und seine Dankbarkeit bewies.
"Es wird Sturm aufkommen!" Sorgenvoll betrachtete der Kapitän der Großen Geliebten den Himmel. "Es wird ein schwerer Sturm werden, wir müssen uns vorbereiten."
"Ungewöhnlich für diese Jahreszeit, aber du hast recht, Herr", bestätigte der Bootsmann.
Seit Llauk für das persönliche Wohlergehen der beiden Männer verantwortlich war, durfte er sich den ganzen Tag lang auf dem Achterdeck aufhalten. Dank seines ehemaligen Sklaven Tos eb Far konnte er den Sinn der auf Dramilisch geführten Unterhaltung verstehen. "So ein schlimmer Sturm wie bei unserer Abfahrt?", wagte er zu fragen.
"Das war kein Sturm." Der Bootsmann hatte seit ein paar Tagen eine gewisse Schwäche für Llauk. Wenn sich an Bord jemand bereit fand, den Passagier zu beachten, dann meistens dieser stämmige, extrem dunkelhäutige Dramile. "Das war ein starker Wind."
Llauk fand, dass der Bootsmann übertrieb. Schlimmer als in den ersten Tagen konnte es doch gar nicht mehr kommen, meinte er.
"Lass Segel und Taue überprüfen und die Luken fest verkeilen", wies der Kapitän den Bootsmann weiter an. "Ab der Tagteilung ist mit stark aufkommendem Wind zu rechnen. Ich möchte nicht so kurz vor der Heimat noch absaufen."
Llauk wunderte sich, dass die Mannschaft die Anweisungen ihrer Vorgesetzten so ernst nahm. Vielleicht war ja doch etwas Wahres an der Voraussage des Kapitäns. Jedenfalls stürmten die Leute förmlich in die Masten, und Llauk konnte beobachten, wie jedes Segel, jeder Knoten, ja jede Handbreit Tau, genauestens untersucht wurden. Ab und zu fand einer der Männer eine schadhafte Stelle; dann wurde diese entsprechend verstärkt, oder das Material wurde komplett ersetzt, je nachdem.
Als Segel und Tauwerk gerichtet waren, gingen die Männer daran, die Luken des Laderaums wasserdicht zu verkeilen und Haltetaue quer über das Deck zu spannen.
Llauk schaute zum Himmel hinauf. Nur ein paar weiße, faserige Wolkenfetzen waren am Horizont zu erkennen. Deswegen die ganze Aufregung? Wenn sich eine dunkle Wolkenwand drohend über das Schiff geschoben hätte, ja dann ... Aber so kam ihm