Keine Anleitung zum Mord. Anton Theyn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anton Theyn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738070330
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      Soll ich an der Beerdigung teilnehmen oder besser nicht? Was spricht dafür, was dagegen? Erwin kannte ich mehr als 35 Jahre und habe viele Stunden mit ihm, seiner Frau und seinen Kindern verbracht. Klar, ich muss an der Trauerfeier teilnehmen. Er hat mich ohne Skrupel ruiniert. Mit ihm und in der Konsequenz auch mit seiner Frau Elke habe ich aufgrund der Entlassung gebrochen. Was sagen die ehemaligen Mitarbeiter, wenn ich nicht an der Beisetzung teilnehme? Könnte mir eigentlich egal sein. Ich fühle mich trotzdem nach wie vor emotional mit den früheren Kollegen verbunden. Geht die Polizei wirklich von einem Unfall aus? Der Presseartikel könnte auch eventuelle Ermittlungen tarnen. Möglicherweise nehmen Kripobeamte an der Beerdigung teil. Vielleicht gerate ich dadurch ins Visier. Kann aber auch umgekehrt sein. Meine Nichtteilnahme kann mich ebenfalls in den Kreis der Verdächtigen rücken. Ich kann es drehen und wenden wie ich will. Es gibt kein Richtig oder Falsch. Vielleicht überlasse ich es dem Zufall und werfe eine Münze.

      Ich bin auf der Trauerfeier und habe das selbst entschieden. Ich bin Naturwissenschaftler und überlasse Entscheidungen nicht dem Zufall oder dem Wurfergebnis einer Münze. Ich entscheide, was ich tue. Und ich entscheide rational. Ich wusste, dass Erwin viele Menschen kannte; ich wusste nicht, dass er so viele kannte und diese seinen Tod bedauern. Naja, nicht alle. Ich für meinen Teil bedauere nach wie vor nichts. Ich fühle mich nicht schuldig. Ich wollte ihn bestrafen und seine Raserei auf der Autobahn hat zu den Umständen seines Todes geführt.

      Für seine Frau und seine Söhne empfinde ich Mitleid, zumal schnell bekannt wurde, wo er an diesem Abend war. Jetzt ist sie die arme Witwe, die seit Jahren betrogen und hintergangen wurde. Das Erbe wird sie trösten. Für sie ist dieses Ende besser als eine Scheidung. Ich grüße ein paar ehemalige Kollegen aus dem Unternehmen, so dass man sich erinnern wird und sagen kann, ja, Dr. Lang habe ich auf der Beerdigung gesehen. Ein persönliches Kondolieren bei Elke und den Söhnen erspare ich uns. Ich werde zusätzlich noch eine Karte schreiben.

      Nachdem meine Mission erfüllt ist, würde ich gerne zu meinen Söhnen nach Australien fliegen. Vielleicht bringt mich das Zusammentreffen mit Erwins Söhnen auf diesen Gedanken. Tobias und Daniel haben mich schon oft genug eingeladen. Aktuell kann ich mir dieses Risiko nicht leisten. Falls es doch noch eine polizeiliche Befragung geben sollte, mache ich mich durch einen Auslandaufenthalt direkt nach diesen Ereignissen sehr verdächtig. Das geht auf keinen Fall. Erst muss Gras über die Sache wachsen.

      Australien 1

      Mittlerweile neigt sich der September seinem Ende zu und schöne Tage wechseln zunehmend häufiger mit unfreundlichen, herbstlichen Tagen. Während ich gelangweilt beim Mittagessen die Zeitung zum zweiten Mal durchblättere und den trostlosen Wetterbericht überfliege, packt mich das Fernweh. Auf einen kalten regnerischen Winter in Deutschland habe ich keine Lust.

      Ich schreibe eine kurze WhatsApp. „Hallo Daniel und Tobias. Würde euch gerne besuchen. Wie sieht´s aus?“

      Keine fünf Minuten später bekomme ich Antwort:

      „Super. D&T“

      Die Antwort kommt prompt. Wahrscheinlich aus einer Kneipe, schließlich ist in Australien später Abend.

      Kurz und präzise entspricht diese Kommunikation meinem naturwissenschaftlichen Denken. Nur die wenig wissenschaftlichen Kürzungen und Emojis lassen für meinen Geschmack zu viel Spielraum für Missverständnisse.

      Keine zwei Minuten später bekomme ich die nächste Antwort.

      „... und wann? allein? “

      „... mit dem nächsten günstigen Flieger und allein. Franz“

      „... wie lange?“

      „... so lange ihr mich ertragen könnt.“

      „... also mindestens den ganzen Sommer, den ganzen langen australischen Sommer ;) ;) 8)

      Ich ignoriere die Unsicherheit, welche Bedeutung diesen Smileys zuzuschreiben ist und antworte.

      ... mal sehen.“

      „... wir haben auch eine Überraschung für dich“

      „... bin mal gespannt, ich melde mich, sobald ich einen Flug habe.“

      Per WhatsApp kommunizieren wir immer so knapp. Mit sechszehn oder siebzehn wurde Papa abgeschafft und konsequent als Franz angesprochen. Als promovierter Wissenschaftler hätte ich es lieber gesehen, wenn meine Söhne ihr Biologie-Studium abgeschlossen hätten. In der Mitte des Studiums blieben sie bei einem Auslandssemester in Australien hängen und verdienen sich seitdem ihren Lebensunterhalt als Tauchlehrer. Meine Begeisterung hält sich in engen Grenzen. Sie müssen selbst wissen, was für sie das Richtige ist.

      Zwei Wochen später sitze ich im Flieger Richtung Australien. Neben dem Versuch, zu lesen und mir durch ein paar langweilige amerikanische Filme die Zeit zu vertreiben, analysiere ich wieder einmal meine Situation. Mir wird bewusst, dass mich viele Menschen in meinem Alter beneiden würden. Ich bekomme jeden Monat ein ordentliches Gehalt und kann tun und lassen was ich will.

      Die Sache hat nur einen Haken. Ich bin kein Ruheständler - ich bin ein Arbeitsloser mit einem sehr guten Übergangsgeld. Fast die Hälfte dieser Zeit ist vorbei. Danach dürfte es finanziell sehr knapp werden. Ich stehe auf dem beruflichen Abstellgleis und die Verbindungen zum Hauptgleis sind gekappt. Über kurz oder lang muss ich zu regelmäßigen Einnahmen kommen.

      Langweile, Übermüdung und die schlechte Luft der Klimaanlage lassen mich immer wieder in eine Art Wachtraum verfallen. Viele Ideen gehen durch meinen Kopf und driften mangels Durchführbarkeit wieder weg. Verkäufer im Baumarkt ist auch keine Option. Lehrer im naturwissenschaftlichen Bereich werden gesucht. Nein, das ist kein Beruf für mich. Abgesehen davon fühle ich mich dafür zu alt. Ich sollte das machen, was ich am besten kann. Ich sollte mich mit meinem Können selbstständig machen. Gleich nach Australien werde ich das in Angriff nehmen. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Idee und desto genauer kann ich mir das vorstellen. Ich male mir viele Details einer möglichen Selbstständigkeit, meiner Geschäftsidee, aus und entwickle nach und nach eine Strategie.

      Übermüdet komme ich in Sydney an. Nach fast 24 Stunden Flug kann und will ich nicht mehr sitzen. Natürlich holen mich meine Söhne vom Flughafen ab. Braungebrannt in bunten Shorts stehen sie hinter der Absperrung. Großes Hallo. Drei Jahre habe ich die beide nicht gesehen. Sie werfen meinen Koffer auf die Ladefläche des neuwertigen Pickups. Den beiden geht es ganz offensichtlich finanziell gut. Ihr privates Glück haben die Zwei auch gefunden. Und beide haben das Hobby zum Beruf gemacht.

      Beim abendlichen Bier geben mir die beiden einen verschlossenen Umschlag. „Papa, hier, mach´s mal auf.“ „Was soll diese Anrede? Seid ihr schon betrunken?“ Ich öffne den Umschlag und bin doch irgendwie ergriffen, als ich eine Kopie ihres Masterzeugnisses in den Händen halte. Die beiden haben doch tatsächlich in Australien ihr Examen gemacht. Jetzt betreiben sie erfolgreich eine Tauchschule und beschäftigen sich intensiv mit Meeresforschung.

      „Die Überraschung ist euch echt gelungen - Gratulation. Ich bin stolz auf euch. Wenngleich es euer Leben und eure Sache ist, habe ich mir doch immer ein wenig Sorgen über eure berufliche Perspektive gemacht.“ Nachdenklich füge ich hinzu: „Da geht es euch besser als mir.“ In einer ausführlichen E-Mail hatte ich irgendwann meine Söhne über mein berufliches Desaster informiert. Selbstverständlich wissen sie auch, dass Erwin tot ist. Sie kannten ihn recht gut.

      Die beiden haben mir eine kleine Wohnung besorgt und wir verbringen eine unbeschwerte Zeit. Das Angebot, ob ich das Tauchen lernen will, hätte ich früher dankend abgelehnt. Hier in Australien brauche ich keine Sekunde zu überlegen. Ich habe die besten Tauchlehrer, die ich mir vorstellen kann, und lerne viel über Meeresbiologie. Ich fühle mich wie im Paradies. So nahe war ich meinen Söhnen seit Jahren nicht mehr. Mir geht´s großartig. Die Zeit geht um wie im Flug. So könnte es bleiben, denke ich mir.

      Als Biochemiker und Arzneimittelforscher habe ich mich viel mit Giften beschäftigt. Der bekannt Satz, wenngleich schon rund 500 Jahre alt, von Paracelsus hat nach wie vor seine Gültigkeit: „Alle Ding'