Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim R. Steudel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738004960
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und wuss­te im sel­ben Mo­ment, dass mir nichts ge­sche­hen wür­de. Als ich die Hand des Ab­tes be­rühr­te, durch­ström­te mich eine große Ruhe und Kraft. Es war als ob er mir sag­te: ›Du brauchst kei­ne Angst zu ha­ben, wir möch­ten dir nur hel­fen.‹

      Wie­der sah er mir tief in die Au­gen und wie­der hat­te ich das Ge­fühl, dass er al­les in mir se­hen konn­te. Ich ver­such­te mich da­ge­gen zu sper­ren, zu weh­ren, mein In­ners­tes zu ver­ber­gen. Doch so rich­tig woll­te mir das nicht ge­lin­gen. Nach ei­ner Wei­le brach er den Blick­kon­takt ab und schloss die Au­gen, aber nur um sie gleich wie­der zu öff­nen und mir zu be­deu­ten, es ihm gleich zu tun. Zö­gernd folg­te ich sei­nem Bei­spiel und schloss die Au­gen.

      Eine große Ener­gie ström­te über un­se­re in­ein­an­der­ge­leg­ten Hän­de in mei­nen gan­zen Kör­per. Durch die ge­schlos­se­nen Au­gen stieg mei­ne Kon­zen­tra­ti­on. Mei­ne Ge­dan­ken be­ru­hig­ten und ord­ne­ten sich. Ich hat­te das Ge­fühl, dass er mich frag­te, was mit mir los sei, was ge­sche­hen sei, warum ich so auf­ge­wühlt und trau­rig wäre. Mei­ne letz­ten Er­leb­nis­se lie­fen vor mei­nem in­ne­ren Auge noch ein­mal ab. Der Streit mit Gabi, die Er­pres­sung, die Nach­richt vom Au­to­un­fall und mein Selbst­mord­ver­such. All dies spiel­te sich in mei­nen Ge­dan­ken noch ein­mal ab und ich wuss­te, dass der Abt dies auch sah, denn ich spür­te sei­ne Ver­wun­de­rung über all die tech­ni­schen Din­ge, mit de­nen er nichts an­fan­gen konn­te. Und ich merk­te auch, dass er mir hel­fen woll­te.

      Zu die­sem Zeit­punkt konn­te ich noch nicht be­grei­fen, wie es mög­lich war auf die­se Wei­se mit ei­nem an­de­ren Men­schen zu kom­mu­ni­zie­ren, und doch war es in­ten­si­ver als ein Traum und ich be­griff, was er mir mit­tei­len woll­te, ob­wohl wir in ver­schie­de­nen Spra­chen dach­ten.

      In mei­nen Ge­dan­ken tauch­ten wir­re Bil­der von Bud­dha, von Gott und an­de­ren Fi­gu­ren auf, die dem Abt einen Auf­trag ge­ge­ben hat­ten. Was der In­halt die­ser Auf­ga­be war, wur­de mir nicht klar und von wem er ihn letzt­end­lich er­hal­ten hat­te, dar­über schi­en sich der Abt selbst nicht im Kla­ren zu sein, doch dass es mit mir und mei­nem Er­schei­nen zu tun hat­te stand für ihn fest. Mir wur­de auch be­wusst, dass er es mit al­ler Kraft und ger­ne tun wür­de.

      Doch was war die Kon­se­quenz die­ser Er­kennt­nis­se? Soll­te ich mit dem Abt zu­rück in die­ses Klos­ter ge­hen oder soll­te ich ver­su­chen, zu­rück nach Hau­se zu kom­men? Ir­gend­et­was in mir sag­te mir aber auch, dass es kein Zu­rück für mich gab, dass ich, warum auch im­mer, an die­sem Ort ge­stran­det war. Ich hat­te aus mei­nem al­ten Le­ben und vor mei­nen Pro­ble­men flie­hen wol­len und dies schi­en auch ge­lun­gen zu sein, wenn auch an­ders als ich es ge­plant hat­te.

      Doch was soll­te ich in die­sem Klos­ter, wel­chen Auf­trag hat­te der Abt be­kom­men? Ich be­kam zwar eine vage Vor­stel­lung von dem, was ich dort ler­nen soll­te, doch wo­für das gut sein soll­te ver­stand ich nicht. Für den Mo­ment muss­te ich erst ein­mal be­grei­fen und ak­zep­tie­ren, dass mein Le­ben nun ganz an­ders ver­lau­fen wür­de, dass es nichts mehr mit dem zu tun ha­ben wür­de, was ich bis­her kann­te. Ich öff­ne­te die Au­gen und sah den Abt und sei­nen Be­glei­ter ver­un­si­chert an. Doch die­se lä­chel­ten nur und nick­ten mir freund­lich zu.

      Warum auch nicht? dach­te ich. Viel­leicht fin­de ich ja mein in­ne­res Gleich­ge­wicht wie­der. Zu­rück kann ich an­schei­nend nicht und au­ßer­dem hat­te ich so­wie­so schon mit al­lem ab­ge­schlos­sen. So zu sein, die­se in­ne­re Kraft zu ha­ben wie sie der Abt aus­strahl­te, er­schi­en mir in die­sem Mo­ment er­stre­bens­wert und da ich kei­ne Al­ter­na­ti­ve sah, fand ich mich mit dem Ge­dan­ken, mit ih­nen zu ge­hen, ab.

      Ich sah dem Abt in die Au­gen und da er mei­nen Ent­schluss schon ge­spürt hat­te, drück­te er freund­lich mei­ne Hand. In die­sem Au­gen­blick knurr­te mein Ma­gen recht laut. Mei­ne neu ge­won­ne­nen Freun­de schmun­zel­ten und ver­stän­dig­ten sich mit ei­nem kur­zen Blick. Dann stan­den sie auf, der Abt zeig­te auf die Ort­schaft, die ich hat­te er­rei­chen wol­len und deu­te­te mit Ges­ten das Es­sen an. Dank­bar nick­te ich ih­nen zu. Ich woll­te mich schon zum Ge­hen wen­den, als mir ein­fiel, dass das Geld, das ich in der Brief­ta­sche hat­te, hier si­cher­lich nicht zäh­len wür­de. Ih­nen das zu er­klä­ren, ge­stal­te­te sich nicht so ein­fach für mich, doch schließ­lich husch­te ein ver­ste­hen­des Lä­cheln über das Ge­sicht des Ab­tes. Er leg­te mir die Hand auf die Schul­ter, drück­te mich in Rich­tung des Or­tes und gab mir zu ver­ste­hen, dass ich mir dar­um kei­ne Ge­dan­ken zu ma­chen brauch­te.

      Wäh­rend wir auf die ers­ten Häu­ser des grö­ße­ren Dor­fes zu­lie­fen, ver­such­te ich zu er­grün­den warum sie mir, ei­nem ih­nen völ­lig Un­be­kann­ten, ei­nem der nicht ihre Spra­che sprach, der nicht ein­mal ih­rer Ras­se an­ge­hör­te, schein­bar so selbst­los hal­fen. Für einen, der aus ei­ner Ge­sell­schaft kam, die von dem Stre­ben nach per­sön­li­chem Be­sitz, Ein­fluss, Macht und Reich­tum ge­prägt ist, war dies schwer zu ver­ste­hen. Dann war da auch noch die­se Ruhe, die­se in­ne­re Kraft, die­se Ener­gie die be­son­ders der Abt aus­strahl­te. Das konn­te nur von je­man­dem aus­ge­hen, den kei­ne Zwei­fel und Ängs­te plag­ten, von ei­nem, der mit sei­nem Le­ben zu­frie­den war.

      Bald hat­ten wir die ers­ten Häu­ser er­reicht. Der Abt schi­en hier be­kannt und be­liebt zu sein, denn je­der, der ihn sah, grüß­te ihn freund­lich und wenn der eine oder an­de­re noch ei­ni­ge Wor­te mit ihm wech­seln konn­te, schi­en es das höchs­te Glück für den­je­ni­gen zu sein. Auch er hat­te für je­den ein freund­li­ches Lä­cheln und Kopf­nei­gen üb­rig und so war es nicht ver­wun­der­lich, dass wir, bes­ser ge­sagt er, in dem klei­nen Lo­kal, das wir be­tra­ten, mit ehr­fürch­ti­gem Re­spekt zu ei­nem frei­en Tisch ge­führt wur­den.

      Der Be­griff Lo­kal war viel­leicht zu hoch­an­ge­setzt. Da, wo ich her­ge­kom­men war, hät­te kei­ner die­se Ka­schem­me be­tre­ten. Im Ge­gen­teil, die­se Bude wäre schon am ers­ten Tag aus den un­ter­schied­lichs­ten Grün­den, wie­der ge­schlos­sen wor­den. Doch hier stör­te sich kei­ner an die­sen Zu­stän­den.

      Als wir Platz ge­nom­men hat­ten, wisch­te der Wirt oder Be­diens­te­te mit ei­nem nicht mehr ganz sau­be­ren Tuch die Es­sens­res­te un­se­rer Vor­gän­ger vom Tisch auf den Fuß­bo­den. Der Abt sprach kurz mit die­sem Mann, wor­auf­hin die­ser durch einen of­fe­nen Durch­gang in den In­nen­hof des Ge­bäu­des ging. Dort war un­ter ei­ner Über­da­chung eine of­fe­ne Feu­er­stel­le, die of­fen­bar die Kü­che dar­stell­te. Der Koch spül­te ge­ra­de eine Pfan­ne über ei­nem of­fe­nen Gra­ben ne­ben der Über­da­chung aus. Wo­hin die­ser Gra­ben führ­te, konn­te ich nicht se­hen, doch an­schei­nend gab es einen Durch­gang zwi­schen den Ge­bäu­den, über den man die­sen Be­reich auch be­tre­ten konn­te. Nach den Ge­räuschen zu ur­tei­len, gab es in ei­nem der Sei­ten­ge­bäu­de auch Stal­lun­gen, in de­nen Pfer­de un­ter­ge­bracht wa­ren. Doch viel­mehr in­ter­es­sier­te mich, was der Koch nun tat. Mit der so­eben aus­ge­spül­ten Pfan­ne in der Hand ging er zur Feu­er­stel­le und be­gann mit der Zu­be­rei­tung ei­ner Mahl­zeit. Wenn man sah, wie er mit sei­nen schmut­zi­gen Hän­den von ei­nem Be­hält­nis ins an­de­re griff, sich zwi­schen­durch höchs­tens mal die Hän­de an sei­ner Klei­dung ab­wisch­te, nur um gleich dar­auf die Kat­ze, die um sei­ne Bei­ne strich, mit der Hand weg­zu­schie­ben, dann konn­te ei­nem schon der Ap­pe­tit ver­ge­hen. Doch es schi­en kei­nen der an­de­ren Gäs­te zu stö­ren, im Ge­gen­teil sie ver­speis­ten ihre Mahl­zeit