Wildgruber sprang einen Schritt zurück, doch es war zu spät. Sein Arm hatte immer noch auf die Bar gedeutet und der Mann mit den langen Haaren neben ihm starrte konzentriert auf den Pool, aber an ihnen vorbei. Sie folgte dem Blick des Mannes und entdeckte Alois Kreithmeier, der sofort untertauchte, als sie ihn erspähte. Unter Wasser musste er an den letzten Blick denken, den die Frau auf ihn geworfen hatte, die Black Lily. Der hatte nichts von Wärme und Güte und erotischer Sinnlichkeit, der Blick war kalt und berechnend. Sie hatte sofort bemerkt, dass sie beschattet wurden. Als ihm schließlich unter Wasser die Atemluft langsam ausging, tauchte er wieder auf und schnappte hektisch nach Luft. Dann erst registrierte er, dass der Platz an der Bar leer war, die beiden Frauen waren verschwunden. Sofort kämpfte er sich aus dem Wasser und legte sich sein Handtuch um die Hüfte. Sie konnten nicht weit sein, er war nicht einmal eine Minute unter Wasser gewesen.
Als er Richtung Ausgang rennen wollte, packte ihn jemand von hinten an der Schulter.
»Halt!«, rief Rainer Zeidler, »Wo willst du denn hin?«
»Die beiden Frauen, ich habe sie entdeckt, sie müssen Richtung Ausgang abgehauen sein.«
»Nein das sind sie nicht. Ich habe dich von dort oben erspäht und dann erst die beiden an der Bar gesehen. Und wie sie weggerannt sind. Sie sind hier rein, sie sind zu den Calla-Kaskaden gelaufen. Wir finden sie schon. Da können sie nicht raus. Du gehst von Rechts herum, ich komme von Links. Dann erwischen wir sie. Komm! Auf geht’s! Sie haben nur ein paar Sekunden Vorsprung.«
Kreithmeier blieb keine Zeit zum Nachdenken. Zeidler hatte sie von oben entkommen gesehen, er würde Recht haben. Sie teilten sich auf und rannten von beiden Seiten in den Saunabereich um sich an den Wasserfällen wieder zu treffen. Kreithmeier schaute in jede einzelne Saunakabine, sogar in die Wolpertinger Stube, doch die beiden Frauen waren verschwunden, als hätten sie sich in Luft aufgelöst.
Im Duschtempel mit den übergroßen Blütenkelchen traf er auf seinen Kollegen.
»Und?«, fragte er sauer.
»Nichts! Sind weg. Ich habe überall nachgeschaut, sie hatten keine Minute Vorsprung. Wo sollen sie denn von hier aus hin?«
»Scheiße, verdammte Scheiße. Hätte dieser Vollidiot Wildgruber sich nicht so wichtig genommen, hätten die beiden nichts bemerkt. Und nun haben wir sie verloren. Welche Peinlichkeit. Wie Anfänger haben wir uns benommen. Ich brauche jetzt ein bisschen frische Luft. Mir ist heiß. Und so ein Mist. Die können sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. Scheiße!«
»Jetzt beruhige dich. Hier ist ein Balkon. Lass uns rausgehen.«
»Ich will mich aber nicht beruhigen«, schimpfte Kreithmeier.
Rainer Zeidler schritt voran und er folgte ihm. Die kühle Luft tat gut. Es waren nur wenige Gäste hier und sie blickten alle irgendwie entgeistert über das Balkongeländer auf die darunter vorbei laufende Straße. Kreithmeier beugte sich auch über die hölzerne Brüstung und musterte einen der Gäste.
Als fühlte der sich angesprochen sagte er zum Kommissar:
»Das hätten Sie gerade sehen sollen.«
»Was hätte ich sehen sollen?«
»Diese zwei jungen Frauen?«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Also wir stehen hier draußen und genießen die frische Luft nach einem heißen Saunagang, da geht die Tür auf und zwei junge Frauen spurten nur mit einem Handtuch um die Hüfte hier über die Holzterrasse und schwingen sich über die Balustrade. Elegant landen sie auf ihren Füssen, als ob sie das jeden Tag machen und rennen in die Nacht.«
»Schwarzhaarig und tätowiert?«
»Wie bitte?«
»Waren die beiden Frauen schwarzhaarig und auf dem Rücken tätowiert?«
»Wer ääh sind sie ....?«
»Beantworten Sie ganz einfach meine Frage. Waren die beiden Frauen schwarzhaarig und auf dem Rücken tätowiert?«
»Schwarzhaarig? Ja. Tätowiert? Es war zu dunkel, um das zu sehen. Sie waren zwar fast nackt, sind aber so schnell hier rüber gesprungen, dass ich nichts erkennen konnte.«
»Rainer!«, rief Kreithmeier, »hierher. Du hattest Recht gehabt. Die beiden sind hierher gerannt. Und über den Balkon geflohen. Sie sollen hier herunter gesprungen sein.«
»Das sind fast über drei Meter. Wie soll das gehen? Die hätten sich die Beine brechen können.«
»Das weiß ich nicht. Die beiden Herrschaften haben es gesehen.«
»Warum verfolgen Sie die beiden?«, fragte einer der beiden Gäste.
»Wir sind von der Polizei. Aber verlangen Sie jetzt bitte nicht unseren Ausweis.«
»Schon gut«, lachte der Mann. »Ich glaube es Ihnen auch so. Nackte Ermittlungen.«
Kreithmeier ließ ihn stehen. Er drehte sich zu Zeidler um und sagte: »Die haben uns ganz schön verarscht. Und dass die von hier oben auf die Straße gesprungen sind, ich kann es fast nicht glauben. Warum sind die vor uns geflohen? Wir haben doch gar nichts gegen sie in der Hand. Nur die Aussage des jungen Wildgrubers. Sonst gar nichts. Was haben sie zu verbergen? Dass sie ein solches Wagnis in Kauf nehmen. Sie hätten sich alles brechen können.«
»Oder sie sind so gut drauf, dass sie so etwas trainiert haben. Es gibt doch diese neue Extremsportart Parkour. Da rennen und springen die Sportler über Hindernisse. Dazu gehören auch Sprünge aus jeder Höhe.«
»Und wo wollen sie hin?«
»Sie werden über den Haupteingang an ihren Spind gelangen. Bis wir vorne sind, sind die beiden schon längst über alle Berge.«
»Du wirst Recht haben. Parkour? Kann man so etwas lernen?«
»Mit Sicherheit. Parkour kann prinzipiell überall, sowohl in natürlichem, wie auch im städtischen Umfeld praktiziert werden. Diese Sportler überwinden dabei alles Mögliche, alles, was ihnen dabei an Hindernissen in den Weg kommt: Pfützen, Papierkörbe, Bänke, Blumenbeete und Mülltonnen, ebenso wie Bauzäune, Mauern, Litfaßsäulen, Garagen und unter Umständen werden Hochhäuser und Hochhausschluchten übersprungen und überklettert. Der Sport ist äußerst anstrengend und erfordert eine besonders gute körperliche und geistige Fitness.«
»Die diese beiden Frauen haben müssen. Meinst du wir kommen über diesen Sport an die beiden heran?«
»Es gibt in München eine Schule dafür.«
»Woher weißt du das alles? Wieder jemand, der dir einen Gefallen schuldet?«
Rainer lachte: »Nein. Im Jahr 2004 kam ein französischer Spielfilm heraus. Von Luc Besson. Er spielt in den Ghettos von Paris. Und da war dieses Freerunning oder Parkour, wie es heute genannt wird, das Hauptthema des Films. Einige der besten französischen Parkour-Sportler spielten da mit und sorgten für spektakuläre Szenen. Seither hat mich das fasziniert. Aber ich bin zu alt dafür. Ich würde mir alle Knochen brechen. Ich bleibe bei meinem Yoga.«
»Wie auch immer? Packen wir zusammen. Ich will jetzt hier raus und ich habe Hunger. Lass uns gehen. Noch eine Pizza?«
»Gute Idee. Und was sagen wir morgen der Melanie?«
»Da wird mir noch etwas einfallen. Über sie mache ich mir keine Gedanken, ich denke eher an die Lehner.«
»Unsere liebe Frau Staatsanwältin?«
»Ja!«
»Ach, was ich noch wissen wollte, wo hast du die beiden aufgespürt?«
»Im Raum der Erde«, antwortete Kreithmeier knapp, zog sein Handtuch fester um die Hüfte und verließ den Balkon.
Rainer Zeidler trottete ihm brav hinterher. Raum der Erde, wiederholte er leise. Wo war denn der? Raum