Rein ist nicht rein
Melanie Schütz saß an ihrem Schreibtisch, hielt einen Becher Kaffee in der Hand und hörte ihren beiden Kollegen aufmerksam zu, als sie von ihren Abenteuern in der Therme berichteten. Ihr Gesichtsausdruck war freundlich, doch im Inneren spürte sie eine gewisse Schadensfreude als die beiden ihr die Flucht der zwei halbnackten Frauen aus der Therme schilderten. Melanie bemühte sich eine geschäftsmäßige Haltung zu bewahren, obwohl sie eigentlich laut los lachen wollte. Sie malte sich in ihrer Fantasie das Bild aus, wie zwei halbnackte Kommissare zwei barbusigen schwarzen Schönheiten in der Therme hinter her gerannt waren.
»Also, wenn ich euren Rapport zusammenfassen darf, dann war außer Spesen nichts gewesen?«
»Ganz so würde ich es nicht ausdrücken«, konterte Rainer Zeidler.
»Wieso?«
»Alois hatte die beiden im Raum der Erde entdeckt. Auf einer Liege. Es hat zwar eine Zeitlang gedauert, bis er mir alles erzählt und mich schließlich in den Raum geführt hat, aber es hat sich letztendlich gelohnt.«
»Was hat sich gelohnt?«, fragte Melanie interessiert.
»Sein Bericht über den Raum der Erde«, antwortete Zeidler brav.
»Raum der Erde? Wie geheimnisvoll? Was hast du denn da drinnen gemacht, Alois? Und was die beiden Frauen? Wie nennst du sie seit gestern? Black Lily und White Lily? Klingt irgendwie nach tropischen Cocktails.«
»Blödsinn«, knurrte Kreithmeier. »Wir haben ja keine Namen. Nichts. Wie immer. Und der Raum der Erde ist nur ein Ruheraum.«
»Ach, haben wir ein bisschen Schläfchen gemacht?« Melanie konnte nicht anders. Sie musste ihn noch ein wenig ärgern.
»Ich musste mich halt mal ausruhen.«
»Nackte Titten und nackte Ärsche anschauen ist ganz schön anstrengend. Und die Mädels? Haben die sich auch ausgeruht?«
»Nicht direkt. Aber Rainer hat etwas gefunden.«
Rainer zog eine Plastiktüte aus der Tasche und hielt sie Melanie vor die Nase: »Zwei schwarze lange Haare. Ich mache gleich einen DNA Test und dann sehen wir weiter. Wenn wir eine von den beiden schon irgendwann mal gentechnisch erfasst haben, dann haben wir sie.«
»Was aber noch immer nicht heißt, dass eine von ihnen am Tod von Backhaus schuldig ist.«
»Aber hauptverdächtig. Warum sind sie denn sonst geflohen? Und das mit dieser Turnübung. Vom Balkon springen. Das ist schon eigenartig.«
»Das mag ja alles stimmen«, entgegnete Melanie, »aber ohne ein Verhör einer dieser beiden Frauen, kommen wir keinen Schritt weiter. Da stimmt ihr mir doch zu? Und was ich auch nicht okay fand von euch, dass ihr mich gestern Abend nicht angerufen habt. Ich saß mit Gizmo zusammen vor der Glotze und habe gewartet. Aber wahrscheinlich habt ihr euch geschämt und deswegen......«
»... Wir waren noch Pizza essen und der Akku meines Handys war leer«, entschuldigte sich Kreithmeier.
»Alois, es gibt immer noch ein Festnetz, auch in einer Pizzeria. Das sind alles nur Ausreden. Wie auch immer. Gehen wir jetzt lieber an die Arbeit. Ich bekomme heute im Laufe des Tages den Gesprächsnachweis von Markus Backhaus Handy und vom Internetprovider seinen Email-Account zugesandt. Dann kann Schurig versuchen ihn zu knacken und die letzten Mails überprüfen.«
»Ich verschwinde mal in den Keller, kümmere mich um die Haarprobe. Dann melde ich mich wieder«, verabschiedete sich Rainer Zeidler.
Melanie sah ihm kurz nach, dann schnappte sie sich das Telefon und rief ein weiteres Mal in Wernigerode an.
Alois saß an seinem Schreibtisch und starrte Löcher in die Luft.
Peinlich, dachte er, es war richtig peinlich gewesen, wie die beiden jungen Frauen sie geleimt hatten. Dank Melanies aufopfernder Hilfe hatte er vor zwei Monaten aufgehört zu rauchen, aber jetzt gelüstete es ihn. Er kramte in seinen Schubladen umher, um vielleicht noch ein altes Päckchen Zigaretten zu finden, doch es war leider nichts da. Melanie hatte dafür schon gesorgt, dass keine Glimmstängel irgendwo versteckt ihn wieder zum Rauchen verleiten konnten.
»Scheiß egal«, knurrte er vor sich hin, »ich brauche jetzt eine Zigarette.«
Er stand auf und wollte das Büro verlassen, um bei einem Kollegen eine zu schnorren, als Gizmo seine Bewegung sah und sich sofort aufrichtete und mit dem Schwanz wedelte.
»Na gut. Komm!«, rief er seinem Hund zu, »gehen wir einmal kurz vors Haus.«
In der Bereitschaft entdeckte Kreithmeier Polizeiwachtmeister Dallinger, wie er sich mit einem Drucker abmühte.
»Na, will das alte Ding nicht mehr?«, fragte er höflich.
»Papierstau wie immer. Das Ding ist schon uralt. Aber du weißt ja selbst, was für einen Papierkram es erfordert, einen neuen Drucker zu bekommen. Da quäle ich mich lieber mit dem alten herum.«
»Mach mal hinten die Klappe auf! Da hängt meistens was«, versuchte Kreithmeier zu helfen.
»Habe ich schon versucht. Wie war übrigens gestern euer Undercover-Einsatz?«, lächelte Dallinger verschmitzt.
»Wieso?«, fragte Kreithmeier scheinheilig.
»Ich habe nur gedacht.«
»Ich wusste gar nicht, dass du fürs Denken bezahlt wirst.«
»Was willst du? Du stehst doch hier nicht so rum und drängst mir ein Gespräch über verstörte Drucker auf. Das interessiert dich doch sonst nicht. Also was willst du, Alois?«
»Eine Zigarette.«
Dallinger lachte.
»Ich denke du rauchst nicht mehr. Auf jeden Fall hat die liebe Melanie damit überall herumgetönt, dass sie dich vom Rauchen weggebracht hat.«
»Hast du nun eine Zigarette für mich oder nicht?« Kreithmeier klopfte nervös auf die Theke.
»Das muss ja gestern ein Einsatz gewesen sein, wenn es dich so mitnimmt, dass du wieder den Drogen verfällst.«
»Du Depp! Du bist und bleibst ein Depp.«
Dallinger lachte immer noch.
»Ist schon okay, ich besorge dir eine Zigarette. Ich habe ja gut lachen, ich rauche auch seit einem halben Jahr nicht mehr.«
»Aha! Und dann eine große Klappe«, schnaubte der Kommissar.
»Du weißt ja: Die, die mit dem Rauchen aufgehört haben, sind die Schlimmsten. Und die Rückfallquote im ersten Jahr ist am Höchsten.«
»Hallo, Herr Doktor Dallinger. Hast du dich auf die vakante Stelle des Freisinger Polizeipsychologen beworben, oder kannst du mir ganz einfach ohne große Worte eine einzige Zigarette besorgen. Deine Jungs rauchen doch fast alle. Und bring auch gleich Feuer mit.«
Dallinger lachte und schritt in den Nebenraum und rief laut: »Kann mir jemand von euch für unseren Herrn Kriminalhauptkommissar Alois Kreithmeier eine Zigarette geben, er ist in seine alte Sucht zurück gefallen.«
Mit einer Zigarette und einem Feuerzeug in der Hand kam er zurück in den Bereitschaftsraum und händigte die Utensilien seinem Kollegen aus.
Kreithmeier steckte die Zigarette in den Mund und Dallinger gab ihm Feuer. »Wohl bekomm’s«, fügte der hinzu.
»Ach leck mich, komm Gizmo, die Uniformierten sind alle ein bisschen dämlich. Komm, wir gehen raus, es könnte ja ansteckend sein.«
Dallinger drückte auf den Türöffner und ließ den Kommissar mit seinem Hund ins Freie. Er stand nur da und lachte ihm hinter her.
Kreithmeier sog die nikotinhaltige Luft so fest rein, dass es ihm in der Lunge brannte. Obwohl er knapp vor zwei Monaten mit dieser Sucht aufgehört hatte, spürte er die heiße Luft in seinem Hals, wie sie ihn