Er war es, der aufsprang und einen Schrei ausstieß, dass die Bäume erzitterten und die Berge widerhallten, er war es, der blutige Rache schwor, er war es, dessen Gelübde den göttlichen Krieger gewogen machte, sodass dieser ihm die Spur des Drachen bis zur Höhle zeigte. Er war es, der sich den Hunden, diesen blutrünstigen Bestien, zum Kampf stellte, der sie besiegte mit Streitaxt und Speer, sie erwürgte mit seinen bloßen Händen, der die Tore der Höhle sprengte, das Vieh wieder fand und es herausführte. Und er war es, der sich plötzlich dem dreiköpfigen Drachen gegenübersah, er ganz allein.
»Hilf mir, göttlicher Krieger, ich bitte, eil mir zur Seite,
Götter nur töten den Drachen, nicht menschengeborene Krieger!
So ruft der tapfere Held und erflehet den göttlichen Beistand,
schwört auch, zu opfern sein Vieh zu des göttlichen Kriegertums Ehren,
hoffend, der Himmlische selbst würde Arme und Streitaxt ihm führen.
Siehe, der Himmlische hört ihn, es hört ihn der göttliche Krieger,
fährt in den Helden hinein in der Wut des reißenden Wolfes.
Alsbald erleidet der Held eine wundersame Verwandlung:
ist nicht mehr länger ein Mensch, ist ein unwiderstehlicher Wolf nun.
Zornfunken sprühet sein Auge und todbringend drohen die Zähne,
sträubt sich sein Fell, dringt ein Grollen hervor aus der Kehle.
Rasend vor Wut, als Wolf, mit göttlich verzehnfachten Kräften,
springt er der Schlang‘ an die Kehle, nicht fürchtend des Drachen Gewalten,
achtet gering die Gefahr, ist gegen jede Verletzung gefeiet,
wirbelt die Streitaxt im Kampf und zerschmettert den Drachen zu Tode.«
Lykos schloss die Augen und sog tief die Luft ein, stieß sie langsam wieder aus: Ja, das war es. Dieses Lied wusste von dem, was wirklich war.
Und während der Sänger von dem Opfer berichtete, das Trito nach gelungener Tat brachte, gelobte Lykos einmal mehr dem göttlichen Krieger Gefolgschaft. Wenn der göttliche Krieger ihm so gewogen war wie Trito, so konnte auch er Heldentaten vollbringen, die Unsterblichkeit erlangen würden.
Wenn er eine Braut freite, so sollten ihre Ohren von den Ruhmesliedern klingen, die auf ihn gesungen wurden, und sie sollte beim Nennen seines Namens erröten, zitternd vor Furcht und Verlangen.
Der Sänger beendete sein Lied. Der König dankte ihm mit wohlgesetzten Worten. Dann klatschte Rösos in die Hände. Das Gastmahl konnte beginnen.
Die Frauen und Mädchen, die in gebotener Entfernung am Rande der Festwiese beim Hofzaun gewartet hatten, eilten herbei. Jede trug eine Schale mit Wasser und ein Tuch für die heilige Waschung.
Ein junges Mädchen kam auf die Wolfskrieger zu. Wie alle Jungfrauen trug sie ihr Haar offen, nur durch ein Stirnband gehalten. Der überreiche Kupferschmuck in diesem Stirnband und um ihren Hals ließ keinen Zweifel daran, dass sie eine Tochter des Rösos war.
Schon oft hatten Mädchen wie sie Lykos beim Gastmahl bedient. Doch heute war es anders. Heute sah er. Die Sonne glühte einen rotkupfernen Schein auf das braune Haar des Mädchens. Ihre Haut war sanft getönt und makellos, ihr Gesicht ebenmäßig und still. Sie hielt den Kopf gesenkt, die Augen auf ihre Füße gerichtet.
Die ist es, dachte Lykos. Die soll meine Frau werden. Diese Einheit von Anmut und Zurückhaltung. Mit ihr kann ich bei jedem Gastmahl Ehre einlegen. Welche Farbe wohl ihre Augen haben? Ich will sehen, wie sie ihre Augen zu mir aufschlägt. Ich will sehen, wie diese Augen strahlen, wenn ich freundlich zu ihr bin, wie sie voll Bewunderung an mir hängen, wenn ich Anordnungen treffe, wie sie in Glück schwimmen, wenn ich sie in die Arme schließe.
Die Tochter des Rösos. Einen ehrenwerteren und bedeutenderen Schwiegervater kann man sich kaum vorstellen. Hieß es nicht, er habe Aussicht darauf, Oberpriester zu werden? Mein Ansehen wird hoch steigen, wenn ich seine Tochter zur Frau habe. Lykos, Schwiegersohn des erhabenen Rösos …
Es wird mich eine ganze Viehherde kosten, das Jawort ihres Vaters zu erhalten. Mehr. Gleichviel. Eine Braut wie diese ist niemals zu teuer erkauft. Bei Rösos kann ich sicher sein, dass er seine Tochter mit Sorgfalt erzogen hat. Dass sie einen großen Haushalt zu führen und viele Gäste zu bewirten versteht. Dass sie meinem Namen niemals Schande bereitet.
Das Mädchen kniete bei ihm nieder, hielt ihm die Wasserschale hin. Er tauchte seine Hände ein, dehnte dabei die Brust, damit die Hauer des Keilers leise aneinander klapperten und ihre Aufmerksamkeit erregten. Sie konnte noch keinen Mann gesehen haben, der solch einen Keiler besiegt hatte wie er. Hob sich nicht ihr Busen unter dem hochgeschlossenen Kleid? Da war das Bild da.
Mit langen Sprüngen setzte er hinter der jungen Frau her. Ihr blondes Haar flatterte im Wind. Noch im Rennen löste er den Gürtel, warf den Lendenschurz ab. Sie war schnell. Ihre braungebrannten Beine flogen. Er war schneller. Er holte sie ein, fing ihre Haare, riss sie an ihnen herum. Ihre Brust in dem tiefen Ausschnitt hob und senkte sich rasend. Aus ihren Augen schrie das helle Entsetzen. Er wirbelte ihre Haare um seine Hand, zog ihren Kopf mit roher Gewalt zurück, zwang ihr Gesicht vor seines. Mit der Linken griff er in ihr Kleid und zerfetzte es.
Sie keuchte, trommelte mit den Fäusten auf seine Brust, zerkratzte seine Haut mit ihren Fingernägeln. Er warf sie zu Boden, warf sich selbst über sie, prügelte auf sie ein.
Ich werde dir zeigen, wer dein Herr ist. Schamloses Biest! Huren seid ihr, ihr Weiber des Alten Volkes, und ich mache mit dir, was du verdienst! Du wirst meinem Vater kein Pferd mehr vergiften. Du wirst deinem Mann und deinen Kindern keine widerspenstigen Gedanken einflüstern. Fürchtet den Herrn, wirst du ihnen sagen, gehorcht ihm, sonst kommt er über euch, wie er über mich gekommen ist. Siehst du, so bricht man den Widerstand eines Weibes.
Er stieß in sie, als würde er fortfahren, sie aus Leibeskräften zu schlagen. Erst als er von ihr abgelassen hatte, aufgestanden war, begriff er, dass sie noch Jungfrau gewesen war. Und erschrak.
Er nahm die Hände aus der Waschschüssel. Unwillkürlich zog er den Mantel enger zusammen, verbarg die frischen Kratzer auf seiner Haut. Das Mädchen reichte ihm das Handtuch. Er trocknete sich ab.
Dir täte ich nie so etwas an, meine Braut. Das Mädchen heute Morgen, das war nur eine von den Bäuerinnen hinter dem Schwarzmoor, denen ich zeigen musste, wer ihr Herr ist. Ich musste es tun! Du aber weißt, dass du einen Herrn heiratest und ihm Gehorsam und Ehrerbietung schuldest. Und du sollst meine geachtete und geliebte Hausfrau sein. So wahr ich ein Wolfskrieger bin.
Das Mädchen erhob sich, verneigte sich leicht zum Gruß und kniete mit der Schale in Händen bei dem nächsten Krieger nieder.
Bald wirst du nur noch mich bewirten und meine Ehrengäste.
Doch plötzlich erschien Lykos diese Vorstellung unerreichbar.
Die Speisen wurden auf den niedrigen Tischen aufgetragen: gebratenes und gekochtes Fleisch. Beerenmus, Brot und Gemüse. Er würdigte das Essen keines Blickes, folgte nur ihr mit den Augen.
Rösos rief die Himmlischen im feierlichen Gebet an, pries ihre Größe und ihre ruhmvollen Taten, lud sie zum Gastmahl, brachte