„Sie wissen tatsächlich von alldem, was Sie hier vorgetragen haben. Nicht wahr? Das ist erstaunlich!“ Meine Ohren lauschen dieser dunklen Stimme, ich platze fast vor Neugier, ruhig fessle ich seinen Blick. Ich spiele mit meinem linken, oben überkreuzten Bein, an dessen Ende ein durchaus sehenswerter weißer Lack-Highheel steckt – fast mein Markenzeichen, ich gestehe ich habe einen Schuhtick.
Ron betrachtet meine Pose und lächelt. Ich gehe einen Schritt weiter:„Wissen Sie denn nicht von dem, was Sie sagen?“ Kurze Stille. Nur kurz halte ich inne und triumphiere: „Na, na, na Ron, das sollten Sie aber!“ Jetzt richte ich mich auf, stelle beide Beine nebeneinander und lege meine Unterarme nun auf der Glasplatte des Tisches vor mir ab. So verschärfe ich die Anspannung. Tief sehe ich in Rons Augen. Ron blickt zu Geraldine: „War’s das?“ „Gewonnen“, denke ich – es sind die kleinen Dinge der Psychologie, das Einmaleins des Verhandelns, all diese Dinge muss man als Frau perfekt beherrschen, um den Männern in diesem Business Paroli bieten zu können. Triumphierend packe ich die Unterlagen in meine Tasche.
Im Foyer suche ich jetzt die Rothaarige, ich will ja meinen Mantel. „Darf ich?“, es ist Ron, ich werde – schon wieder -unsicher, denn mein Unterleib gerät ganz ungewohnt in Entzücken? Es ist bloß eine gut klingende Stimme, beruhige ich mich. Ich drehe mich um, und Ron hält mir meinen Mantel wie ein Kavalier auf. Ich schlüpfe langsam mit meiner Rechten in den Ärmel, dann mit der Linken und wende mich ihm frontal zu, geschätzte 20 Zentimeter sind wir uns nahe. Ron duftet gut, ich genieße, lächle und stülpe meinen großen Kragen gekonnt hoch, in der Hoffnung, weiblich und sinnlich zu wirken. Er riecht ein wenig nach Zigarre? Warum gefällt mir das? Ich bin Nichtraucherin. „Begleiten Sie mich ins Restaurant vorne am Schuhmannsplatz?“, die Stimme klingt noch tiefer, wenn Ron leise mehr aus der Brust spricht. Ich schmelze, lasse mir aber nichts anmerken. Meine Rechte zückt mein iPhone, die Linke scrollt im Kalender und ehe ich mich klar fassen kann, höre ich mich: „Gerne, mein Rückflug geht erst in vier Stunden.“ Angie, was tust du? Ich bin doch sonst so besonnen, was fällt mir da ein, ich bin doch verheiratet. Es ist nur ein Essen, versuche ich mich erneut zu beruhigen.
Wenig später finde ich mich in einem der schicksten Lokale von Brüssel wieder. Shit. Ron scheint das Haus zu kennen. Es ist ein exklusives Restaurant, viel zu teuer für mich, und die Spesenabteilung übernimmt hier nicht einmal das Gedeck, denke ich mir, als ich hinter dem Herrn im Frack her schreite, gefolgt von Ron. „Ins Separee, Pete, bitte!“, ja sie ist einfach atemberaubend diese Stimme, wohin führt das?
Endlich lassen wir uns an einem runden Tisch in einem abgelegenen Raum nieder. „Mögen Sie Meeresfrüchte?“, ich bekomme nicht genug von der Stimme und klar mag ich Meeresfrüchte, ich liebe sie. Ich meine aber sehr keck: „Vongole am liebsten.“ Jetzt ergänze ich kokett: „Ich bin gespannt, welche Interessen wir noch teilen?“, und erheische mir ein weiteres, vielversprechendes Lächeln von diesem fremden Unbekannten. Angie, lass das! Ich kenne mich so nicht.
Ron bestellt Vongole all‘aglio e olio, dazu einen angeblich sehr guten Weißwein, und Pete verschwindet. Meine Pose habe ich diesmal ganz vorne auf der Kante meiner Sitzfläche gewählt, meine Beine verschlingen sich und ich bin gespannt auf das, was jetzt kommt. Ron seufzt trocken: „Angie, ich glaube nicht, dass ich meinen Investor von eurem Projekt überzeugen werde können.“ Der Wein wird serviert.
„Salute!“ Ron hebt sein Glas und streckt es mir entgegen. Wir stoßen an, ich erwidere, „Salute!” Was ist mit mir, in meinem Unterbauch verzehrt sich alles und Ron redet kühl über Business? Eben, alles im Lot Angie!
„Wie meinen Sie das, Ron?“, erkundige ich mich pflichtbewusst. „Angie, du weißt…“, er stockt, „wir können doch du sagen?“ „Ja, ich denke schon!“, da ist sie wieder meine Businesssprache. Ich wollte soeben mein Glas heben und meine trockene Kehle erfrischen. In der Sekunde steht Ron auf und kommt zu mir herüber. Also stehe ich auf, denn ich hasse es klein zu wirken.
„Ich will förmlich auf meine neue nette Bekanntschaft anstoßen!“, begehrt Ron. Wir stoßen an und dann sehe ich Rons Gesicht auf mich zukommen, er hält kurz vor meinem Gesicht inne – ich spüre seinen Atem – und er flüstert: „Ist ein Kuss erlaubt?“ Mein Unterleib verzehrt sich, dann bäumt sich etwas in mir wieder auf, ich vergesse fast zu atmen, da berühren sich unsere Lippen. Kurz, ganz kurz – viel zu kurz protestiert mein Becken. Mein Körper liegt in Wellen, so brausend, so hoch wie in einer starken Brandung von Felswänden beim Surfen, dann wird alles abrupt blockiert.
Eine Türe geht auf und zwei Kellner im Frack servieren synchron zwei Teller mit silbernen Hauben, die sie völlig zeitgleich abnehmen.
Mein Kopf meldet sich zurück, ob ich froh bin, dass das Essen kommt?
Ron erzählt, dass er aus gut betuchtem Hause komme, seine Wurzeln in England und Russland hat und für den größten Energiekonzern in Europa tätig sei. Als ob ich das nicht weiß: Er ist Lobbyist, Milliardär, berät I.O.N.-Global Comoditees just for fun und ist dafür bekannt, dass sich alles und jeder nach seinem Willen verhält.
„Angie, und wer bist du, und ich meine nicht deine Tätigkeit bei Sommers-Hall?“ Au, das ist ein Tiefschlag, was sage ich jetzt? Wo bleibt meine Redegewandtheit, meine Direktheit in einer Männerdomäne, in der ich bislang meine Frau echt gut stehe?
„Was willst du hören, gebunden – ungebunden?“, mehr fällt mir nicht ein, ich muss nachdenken…
„Angie“, er lächelt, „ich weiß, du bist verheiratet, hast zwei Kinder, ich glaube es sind Buben? Du lebst in München, dein Mann kommt aus England, du bewegst dich gerne, liebst Musik, tanzt Aerobic, du bist trainiert – das sehe ich jetzt vor mir. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht.“ Rons hellblaue Augen, ja sie sind doch blau, strahlen mich überlegen an und ich bin Schach matt. Da ist wieder seine Zunge, die Spitze wandert über seine Unterlippe und er kippt seinen Kopf, das sieht wahnsinnig scharf aus. Er weiß alles? Was soll das? „Mich würde interessieren, wie eine so gutaussehende Frau in deinem Alter, ich weiß du bist 40, in einer Branche wie dieser arbeitet und ein völlig anderes, ich würde mal sagen – normales – Leben führt. Du bist nicht nur sehr intelligent, du siehst auch verdammt gut – ich würde sagen: verführerisch aus. Ich bilde mir ein, das beurteilen zu können, immerhin habe ich knapp 22 Jahre mehr Lebenserfahrung.“ Stille im Raum, mein Herz rast. Rechnen muss ich später.
Er klärt hier Fronten, steckt mich in Schubladen, einen Moment mal! Ja, ich bin wieder Businessfrau, ich flüstere: „Dann belassen wir es doch bei: Ich bin eine aufregende und doch unbekannte Bekannte!“ Mein Blick trifft direkt in seine Augen und ich denke, er hat mich verstanden.
Die Vongole schmecken köstlich. „Es war ein sehr angenehmes und aufregendes Essen, Ron!“, verabschiede ich mich. „Es war mir ein Vergnügen“, Ron lächelt, nimmt meine Hände, hält sie nicht zu fest und stellt sich in knappen Abstand vor mich. Meine Unterleibsregionen werden wieder aktiv, ich werde erneut unsicher und blicke voller Sehnsucht in sein Gesicht. Shit, meine Haare, eine Strähne macht sich selbständig. Sie versperrt mir die Sicht. Ron, ganz Gentleman, erkennt meine missliche Lage und streift sie mir gekonnt hinter mein linkes Ohr. Seine Hand verbleibt zu meiner überraschenden Entzückung dort. Mein Hals spürt seine Hand ganz deutlich. Mit seinem Daumen streift er vom Ohr an meinem Kieferknochen entlang bis zu meinem Kinn. Meine Brust spannt. Sein Daumen stockt bei meinen Lippen und ruht kurz darauf. „Du bist sehr anziehend, weißt du das. Man nennt mich grey wolf, ich bekomme alles, hörst du, alles, was ich will, weißt du, was ich meine?“, die Stimme klingt noch tiefer. Mein Herz schlägt so schnell, dass ich zweifle, ob man das nicht an den Lippen spürt.
Ich weiß natürlich, was „grey wolf“ bedeutet und jeder hat mich vor diesem gefährlichen Ron gewarnt. Warum, er ist doch sehr amüsant?
„Ich bin noch nicht alt genug für solche Titel, aber ich arbeite daran“, necken meine Lippen ohne Absprache mit mir plötzlich und ich finde meinen Verstand wieder. Ich befreie mich aus der Lage mit eleganter Grazie und wir verlassen den Raum.
Es regnet