Also grabe ich in meiner weißen, überdimensionalen Lacktasche nach den Unterlagen. Die hat mir unser technischer Leiter, Peter Gallberger, ein zuverlässiger Mensch, schon vor einer Woche für das Meeting überlassen, als plötzlich eine sehr junge Stimme nachfragt: „Verzeihung Miss, Tee oder Kaffee? Was darf‘s für Sie sein?“ Ich sehe auf, und da steht eine bildschöne Blondine: „Kaffee, bitte!“, antworte ich bestimmt, während ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen kann. Glaubt das junge Ding echt, ich wäre noch eine Miss? Sie reicht mir meinen Becher Kaffee mit einem kleinen Frühstückssnack, und ich muss zugeben, ich werde leicht neidisch auf diese Jugendlichkeit. Nun ja, Frau tut ihr bestes, ich versuch‘s auch.
Manchmal gelingt es mir besser, vor allem, wenn ich meiner Lieblingsbeschäftigung, Aerobic, nachkomme, da fühle ich mich einfach wohl. Ich liebe es, mich zu Musik zu bewegen, den Rhythmus zu spüren und mit ihm eins zu werden. Das Tanzen und das Element Wasser haben immer schon eine magische Wirkung auf mich ausgeübt. Zu gerne verbringe ich meine Freizeit beim Surfen in warmen Küstengegenden. Doch mein alltägliches Leben spielt sich nun mal soweit vom Meer ab, dass ich mir für meine freien Stunden hier die Bewegung zur Musik gesucht habe.
Für den Anlass heute bin ich zwar offiziell extrem leger gekleidet, für mich aber fast zu elegant, mit meiner weißen ebenfalls engsitzenden, aber äußert glamourösen Bluse. Stolz bin ich auf meine kreierte Marke, mein Ich.
Mittlerweile bin ich vertieft in meine Unterlagen: Mal sehen, ok, das ist nochmal die Präsentation über die technischen Neuerungen, ach ja und hier die Gegenüberstellung zu den Daten, wie das Verfahren bisher lief und das, ja, da habe ich’s, das ist das Wichtigste. Hier ist das Diagramm für jene, die keine Ahnung von der Technik haben und sich nur an Zahlen orientieren. Nebenbei schlürfe ich meinen Kaffee und esse doch die nach eigentlich nichts schmeckende Brioche. Jetzt schnürt die Jeans endgültig, aber da muss ich durch.
Der Flug war ruhig und in time, somit brauche ich mich nicht in der line beim Taxistand mit: „Entschuldigung ich hab gleich einen wichtigen Termin, darf ich?“ vorzumanövrieren. Ich habe sogar noch Zeit in der Zeitung des vor mir wartenden, gutaussehenden Herren eine Überschrift aufzuschnappen. Ich weiß, das gehört sich nicht, aber es ist zu verlockend: „Summers-Hall stellt neues Projekt im Bereich Windenergie in Brüssel vor – Trendwende endlich da?“ Naja, das will ich mal hoffen, denke ich. Da springt der Herr bereits in sein Taxi, das nächste ist also meines. „Toll“, finde ich, da hat unsere Marketingabteilung gut gearbeitet, mein heutiger Termin steht also bereits in der Zeitung. Die Fahrt in den European District dauert eine gefühlte Ewigkeit. Zeit zu einer kurzen Entspannung, ich schließe meine Augen und denke an meine beiden Söhne, mein Ein und Alles. Sie sind mein Ruhepol, meine Energiequelle, auch wenn mich das manchmal viel Kraft kostet, ich liebe sie einfach über Alles. Sie werden wohl schon in der Schule sein, hoffentlich hat John jedem seine Jause richtigrum vorbereitet. Manchmal passiert es, dass er diese vertauscht, dann hat unser kleiner Sidney Käsesandwich mit, er hasst Käse und unser großer Aaron Salamisandwich, und er – klar – er kann Salami nicht ausstehen. Ich lächle, es ist komisch, manchmal koche ich für vier Personen drei Gerichte – und? Ich mache es gern, ich bin stolz auf meine Kinder, auch wenn dabei meine Beziehung zu John zu oft auf der Strecke geblieben ist.
Da hält mein Taxi vor dem Haupteingang des hohen Glasgebäudes, die blauen Fahnen mit dem EU-Wappen wehen wie immer im Wind. Ich bezahle und steige hurtig aus dem Taxi… Shit das Wetter – Angie, nicht fluchen! Es ist Ende Jänner und es nieselt. Jetzt bin ich fast stolz auf meine Aufsteckfrisur, sie hält. Ich passiere die Pass- und Sicherheitskontrolle wie gewohnt und nehme eine der Rolltreppen in den 5. Stock. Am Empfang erkenne ich beim Hinauffahren bereits eine hübsche Rothaarige und eine ebenso gutgebaute Blondine. Assistentinnen, beide könnten fast meine Töchter sein.
So und jetzt aber – jetzt bin ich Businesswoman Angie.
Bestimmt und selbstbewusst trete ich diesen Assistentinnen gegenüber und melde mich an. „Guten Tag, Mrs Miller, Sie werden schon erwartet, darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“, werde ich wie gewohnt empfangen. Elegant winde ich mich aus meinem schwarzen, langen Mantel und reiche ihn der Rothaarigen, dann folge ich nach meinem leisen „Danke“ der Blondine den Gang entlang zur dritten Tür links. „Mrs Miller ist nun hier“, die Blondine wendet sich wieder zu mir und hält mir die Türe weit auf. Ich hole tief Luft und begebe mich mit Ruhe in den Raum. Hinter mir schließt sich die Tür. Jetzt kann ich sicher sein, dass mir die volle Aufmerksamkeit gilt.
Im Raum steht ein ovaler Glastisch für geschätzte 25 oder 30 Personen mit den dazu passenden Komfortsesseln, einen von diesen habe ich an meinem Schreibtisch im Büro – Heimvorteil!
Ich verschaffe mir gekonnt einen Überblick über die anwesenden Personen, zwei bekannte Damen und acht Herren im Nadelstreif. Ich steuere geradewegs auf Geraldine Noo, sie leitet das Meeting, zu: „Hallo, Geraldine, na wie war dein Weihnachtsurlaub in den Schweizer Bergen? Hattet ihr diesmal mehr Glück mit dem Wetter?“ Wie sich das gehört, begrüßen wir uns mit einer kleinen Umarmung und Küsschen-Küsschen – ich hasse das. „Oh, ja ich muss dir darüber mal bei einem Kaffee erzählen!“ Mit einem:„Guten Tag, Monica!“, halte ich einer kleinen zierlichen Frau meine Hand entgegen. Monica Circoni ist die Protokollführerin.
„Ich begrüße Sie, Mrs Miller“, auch Alfred Matt streckt mir viel zu förmlich nun seine Hand entgegen und kommt gleich zur Sache. „Darf ich dir gleich die anwesenden Investoren und Fachleute vorstellen?“ Nun beginnt eine Runde von Handshakes, es sind sieben Herren, gesehen habe ich vorher noch keinen, nur vom Namen kenne ich einige. Es sind allesamt Herren mit ansehnlicher Statur, sechs davon im dunklen Nadelstreif mit Krawatte, nur einer tanzt mit einem grauen, unglaublich schicken Anzug ohne Krawatte aus der Reihe.
„Sehr erfreut“, eine atemberaubend tiefe Stimme fordert meine Aufmerksamkeit. Ich sehe vor mir einen großen, nein: einen sehr großen stattlichen Mann, ergraut, ein wenig verwegen mit seinen kinnlangen Haaren und einem Fünftages-Bart. Der sieht verdammt interessant aus, denke ich völlig unverschämt. Meine Hand verschwindet in seiner und ich habe das Gefühl, er lässt sie nicht los.
„Ich habe schon viel von Ihnen gehört, ich bin sehr gespannt auf Ihre Präsentation“, ich genieße diese volle und tiefe Stimme, da funkt mir Alfred dazwischen: „Darf ich vorstellen: Das ist Mr Ron Kern.“ „Diese Stimme gehört also zu dem Namen, den ich bereits länger kenne, freut mich!“, so funkle ich Ron an.
Was ist los mit mir, ich soll arbeiten – flirte ich da etwa? „Sie werden ihrem Ruf gerecht, Angie, immer direkt – ich darf Sie doch Angie nennen?“ „Sie dürfen Ron“, ich blinzle ihm zu, überspiele meine Neugier und nehme meinen Platz an der Mitte der Längsseite des Tisches ein.
Endlich reihen sich alle mir gegenüber und ich starte meine Präsentation. Immer wieder suche ich die Augen zu der tiefen Stimme, sie sind blau oder grau, das erkenne ich nicht so recht auf die Distanz. Ron streift mit seiner Zungenspitze immer wieder langsam von seinem Mundwinkel in Richtung Lippenmitte, verweilt dort kurz und schüttelt ganz zaghaft seinen Kopf, was ist – gefällt es ihm nicht? Ich werde unsicher. Das ist mir schon lange nicht passiert. Wieder streift seine Zunge über seine Lippen… Ich wende schnell meinen Blick ab, bevor ich noch Stuss rede. Es läuft aber doch erstaunlich gut. Kaum Zwischenfragen, und dann bin ich nach meinen veranschlagten 40 Minuten Redezeit tatsächlich am Ende angekommen.
„Warum nochmal soll hier in ein Verfahren investiert werden, das lediglich die Umwandlung von Windenergie in eine Speicherform wie Gas effizienter gestaltet? Ist es nicht besser gleich an einem anderen Speichermedium anstatt Gas zu arbeiten?“, will Ron Kern jetzt wissen. Ich genieße die tiefe Stimme, und da ist es wieder: Rons Zunge bewegt sich fast in Zeitlupe von seinem linken Mundwinkel über seine volle Unterlippe hin zur Lippenmitte und dann schüttelt er wieder seinen Kopf und lässt ihn schließlich leicht schräg stehen. Er fordert meinen Blick. „Ron, es wird an verschiedenen Verfahren gearbeitet und entwickelt, Sommers-Hall ist hier Marktführer, dieses Verfahren ist eben jetzt reif. Die Wirtschaft braucht jetzt ein Verfahren,