Dirndlgate. Jan Schreiber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Schreiber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752918878
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so, Frau Scheffold“, hörte Jessica eine Frau rufen.

      Heck schien zu spüren, dass sie die Oberhand gewonnen hatte. Er ereiferte sich: Alte Gesetze müssten nicht zwangsläufig schlecht sein, und wenn schon so eine Diskussion, dann sei ein Facebook-Profil kein geeigneter Ort, um diese auszutragen. Arnold und Trové hielten dagegen und folgten Jessicas Meinung. Noch einmal brandete die Diskussion lebhaft auf, dann schaltete sich von Ackern ein.

      „Liebe Zuhörer und Gäste! Leider muss ich hier unterbrechen, unsere Sendezeit ist vorbei. Allerdings dürften wir alle gemerkt haben: Es besteht zu diesem Thema noch Redebedarf. Ich würde mich also freuen, könnten wir recht bald eine Fortsetzung der heutigen Talkrunde hinbekommen. Viele Grüße an den Sender.“ Der Moderator stand auf. „Ich danke der Regie und meinen Gästen: Steffen Arnold, Henning Trové, Dr. Jürgen Heck und Frau Dr. Scheffold.“

      Der Applaus schwoll noch einmal an, als von Ackern Jessicas Namen nannte. Michelle kam über das Podest und streckte ihr einen Strauß Rosen entgegen. Jessica stand ebenfalls auf, nahm die Blumen und winkte mit dem Strauß dem Publikum.

      Gewonnen, dachte sie. Sieg nach Punkten. Dank Steffen Arnold war es auch nicht schwer gewesen, auf das Buch hinzuweisen. Der Verlag würde das wohlwollend registrieren. Alles gut.

      ***

      Die anderen Talkgäste hatten genau wie Michael und Jessica im Berghotel in unmittelbarer Nähe zum Studio eingecheckt, und zu Jessicas Überraschung fanden sich alle nach und nach in der Bar ein. Sogar der Moderator Harald von Ackern kam im Moment hereingeschlendert, kurz drauf setzte er sich mit einem Whiskyglas zu Trové, der von Ackern auf die Schulter klopfte. Steffen Arnold schien besonders froh, den Auftritt hinter sich zu haben. Er bestellte sich schon ein drittes Pils und einen Booster-Energy-Drink. Jetzt rückte er an Jessica heran und präsentierte ihr die Homepage seines Shops. Michael berührte sie an der Schulter und deutete mit einer Hand zum Eingang. Jessica drehte sich um und sah Heck. Ihre Blicke begegneten sich. Heck zögerte kurz, machte kehrt und lief wieder davon. Genau jetzt wäre es möglich, Heck zu fragen, was das eigentlich sollte. Er hatte während der Sendung weder Trové noch Arnold beachtet, sondern war ausschließlich auf Jessica fixiert gewesen. Das ließ sich kaum noch mit der Rivalität zwischen ihrem Chef und Heck erklären. Zumal Jessica wusste, wie brillant Heck reden konnte, wenn es darauf ankam. Sie schwenkte ein Bein über den Barhocker, spürte aber Michaels Hand am Unterarm.

      „Komm, lass es gut sein!“

      Jessica zögerte, nickte dann und wandte sich wieder Arnold zu. Er hielt ihr sein Tablet unter die Nase. Gerne hätte Jessica mehr über seine Arbeit für die Onlinegewerkschaft erfahren. Insgesamt fand sie, dass Arnold während der Sendung ein bisschen zu kurz gekommen war. Lag das vielleicht daran, dass sie so viel geredet hatte? Jessica schaute Arnold kurz an. Er griff mit einer Hand nach seiner Brille, und mit der anderen wischte er über das Display. Er schien stolz zu sein, ihr die Fotos zeigen zu können. Allerdings konnte Jessica kaum noch verstehen, was er zu den Bildern sagte. Er hatte zu viel getrunken.

      „Komm, lass uns gehen“, flüsterte ihr Michael von der anderen Seite ins Ohr.

      „Hast du alle Pilssorten durch?“

      „Ja, und das eine oder andere Craft Beer. Ich bin nicht so konsequent wie du.“ Er deutete auf Jessicas Aperol-Glas.

      „Das Einzige, was mir schmeckt“, gab Jessica zu.

      „Komm schnell, Arnold ist wahrscheinlich auf die Toilette.“ Michael zeigte auf den leeren Platz. Jessica hatte gar nicht mitbekommen, dass Arnold gegangen war.

      Sie verließen die Bar. Trové hob ihnen sein Whiskyglas entgegen und nickte freundlich. Im Hotelflur kam ihnen Steffen Arnold doch noch entgegengeschlurft.

      „Frau Scheffold, ich bin auch gut mit Sprachen“, rief er laut und überschwänglich.

      „So“, antwortete Jessica und lachte.

      „Ja. El Natter – die Schlange, Aqua Miserable – das Mineralwasser und, und …“ Arnold hielt sich kurz die Hand vor den Mund und rülpste, „… der Busch – la Bouche.“

      „Das sind ja mindestens zwei Sprachen auf einmal.“

      Jessica spürte Michaels Hand im Rücken.

      „Herr Arnold“, sagte sie, „wir müssen leider gehen. Morgen ist zwar Sonntag, aber wir sollten sehr früh los.“

      „Oh, wie schade.“

      „Ja, das finde ich auch. Also, auf Wiedersehen.“

      Kurz darauf lief sie mit Michael die Treppen zum ersten Stock nach oben, und er hakte sich bei ihr ein. Jessica staunte, wie vertraut sich sein Arm anfühlte.

      Michael sah im Grunde immer noch so aus wie während ihrer gemeinsamen Studienzeit. Meistens trug er eine recht gute Hose, zu der aber das Jackett nicht passte und schon gar nicht die Baseballkappe. Er sah immer noch danach aus, als könne er die ordnende Hand einer Frau gut vertragen, dabei war er seit Langem verheiratet und hatte drei Kinder. Bevor Jessica mit Alexander zusammengekommen war, hatte sie mit Michael eine kurze Affäre gehabt. Das lag aber lange zurück.

      Vor der Zimmertür angekommen, drehte sich Jessica zu ihm um, und er sagte: „Komm, lass uns noch etwas trinken.“

      Jessicas Blick fiel auf den Stoffbeutel, den er in einer Hand hielt. „Diskussionsrunden im Radio, Interview hier, Pressekonferenzen da … aber ein Fernsehauftritt zur besten Sendezeit …“, Michael kratzte sich am Kinn, „… meinst du nicht, dass deine Arbeit und damit unsere Zusammenarbeit einen neuen Höhepunkt erreicht hat?“

      Jessica nickte. Dieser Abend konnte tatsächlich der Beginn eines neuen Lebensabschnitts sein. Sie dachte kurz an Alexander und hoffte gleichzeitig auf eine gute Resonanz der Sendung, die sich hoffentlich auf die Vorbestellungen des Buchs auswirken würde. Ihr Blick lag noch immer auf dem Stoffbeutel, aus dem eine Flasche mit dem typisch blauen Drehverschluss und dem golden geschwungenen A herausschaute.

      „Du weißt, was ich mag“, sagte sie.

      Im Zimmer nahm sie zwei Gläser aus dem Schrank und stellte sie auf ein Tischchen.

      „Komm“, rief Michael. „Der Sekt ist schon auf.“

      „Erst den Aperol und dann den Sekt.“

      „Beim nächsten Mal“, antwortete er und hielt ihr das zu volle Glas hin.

      Sie stießen an.

      „Frau Dr. Scheffold“, bellte Michael auf einmal und zog wie Heck auch den Kopf tief zwischen die Schultern. „Sie werden doch einsehen müssen …“

      Er nahm ein Taschentuch und fuhr sich damit über die Stirn. Jessica lachte und hielt sich die Hand vor den Mund.

      „Den hast du richtig vorgeführt“, meinte Michael und drehte Jessica so wie Heck den ganzen Körper zu, sobald er den Kopf bewegte.

      „Nein, ich habe ihn nicht vorgeführt. Er hat geantwortet, wie die meisten antworten würden.“

      „Vorgeführt, aufs Eis geschoben.“

      „Entschuldigung, war keine Absicht. Du hast den Heck gut beobachtet. Ich meine, in so kurzer Zeit seine Stimme und Bewegungen so zu verinnerlichen …“

      „Ja“, sagte Michael. „Hatten wir während des Studiums weit und breit den besten Theaterclub, oder nicht? Du erinnerst dich doch?“

      „Natürlich! Aber dass du das noch so gut draufhast …“

      Michael zuckte die Schultern und nahm einen großen Schluck. Wilde Zeiten, dachte Jessica. Michael, seine Frau Christine, Alexander und Jessica waren der harte Kern des Clubs. Die Premierenfeiern legendär. Heute schien es Jessica so, als wäre der Club eine Art Gegenpol zum staubtrockenen Jura gewesen. Natürlich hatten Bier, Sekt und Aperol immer dazugehört.

      Michael taumelte etwas unbeholfen durch das Zimmer und versuchte immer noch, sich so zu bewegen wie Heck. Jessica lachte, verschlucke sich und hustete.