Dirndlgate. Jan Schreiber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jan Schreiber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752918878
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der Einzige, der erklären könnte, was am Samstagabend in diesem Hotelzimmer passiert ist. Toni, wie denkst du? Was sollen wir machen?“

      „Ich denke vor allem an die nächsten vierzehn Tage. Und ich will jetzt auch wissen, was Michael dazu sagt.“

      „Mir geht das zu langsam“, sagte Jessica. „Das Foto kann in der nächsten Minute im Netz auftauchen, und dann müsste ich mich verteidigen. Ich will mich aber gar nicht erst in diese Rolle drängen lassen, sondern den Typen oder wem auch immer das Foto wieder aus der Hand nehmen. Ich sollte das Foto selbst veröffentlichen, eine Erklärung dazu schreiben und fertig.“

      Toni raufte sich die Haare. Jessica bemerkte die riesigen Schweißflecke der massigen Frau.

      „Jess“, sagte Sebastian. „Ich bitte dich, lass uns da hier die Zeit, die Dinge zu verstehen. Ich möchte jetzt wissen, wie sich Belzer dazu stellt, obgleich …“

      „Was?“, fragte Jessica.

      Sebastian winkte ab, ging zum Schreibtisch und hielt Jessica den Hörer hin.

      ***

      Im Hintergrund hörte Jessica eine Tür zufallen. Sie horchte angestrengt, froh darüber, dass Michael an sein Handy gegangen war.

      „Jessica, ich kann nicht viel reden. Die Kinder sind krank, und Christine ist mit den Nerven runter.“

      „Michael, nur du kannst sagen, wie das am Samstagabend gewesen ist. Überhaupt finde ich, dass du mir einen Gefallen schuldest. Entschuldigt hast du dich bisher bei mir nicht.“

      „Ja, tut mir leid. Aber wir hatten beide getrunken, nicht nur ich.“

      „Ja, ja, schon gut.“

      „Wenn Christine davon erfährt, dreht sie ganz durch. Unsere Ehe ist momentan ohnehin schwierig.“

      „Michael, Michael“, hörte Jessica Christines Stimme.

      „Jess, ich muss Schluss machen. Tut mir leid. Warum sagst du nicht einfach, die Fotos sind ein Fake?“

      „Du kannst dich doch nicht so einfach aus deiner Verant…“ Noch bevor Jessica den Satz beenden konnte, hörte sie ein langgezogenes Tuten. Sie ließ den Hörer sinken und schaute über den Schreibtisch zu Sebastian und Toni. Toni stand still im Raum, Sebastian lief um sie herum, wie um eine Verkehrsinsel.

      „Und warum überrascht mich das nicht?“, fragte Sebastian. „Wie lange arbeitet Belzer als Externer für uns, Jess?“

      „Seit ich da bin.“

      „Genauso lange versucht er, hier in unserer Kanzlei Fuß zu fassen. Nicht wahr?“

      „Was du bis jetzt erfolgreich verhindert hast“, antwortete Jessica.

      „Weiß Belzer eigentlich etwas, was ich nicht weiß“, fragte Sebastian auf einmal. „Du wolltest dich ja mehr auf das Schreiben konzentrieren und auch auf die Familie.“

      „Ja, aber das zweite Buch ist gerade erst fertig geworden. Ich habe jetzt noch keinen Anlass gesehen, hier an diesem Arbeitsverhältnis etwas zu ändern.“

      „Hm, ich dachte kurz, Belzer weiß mehr als ich.“

      „Was willst du damit sagen?“

      „Belzer hat sich zweimal bei mir angetragen, die Heinrich-Verteidigung zu übernehmen. Vielleicht dachte er, Exhibitionismus ist Buh und Bäh und kein Thema für eine Verteidigerin. Es kommt mir so vor, als sähe er seine Zeit nun gekommen. Und ich habe tatsächlich kurz überlegt, ihm diesen Fall zu überlassen.“

      „Aber davon hab ich ja nichts gewusst!“

      Sebastian beachtete Jessicas Bemerkung nicht und sagte:

      „Was ist, wenn Belzer von dieser Synchronisierung des Handys mit dem Internet gewusst hat? Sein Hinweis, das Bild zu löschen, wirkt wie ein Alibi. Aber hier spielt die Zeit eine Rolle, denn als du das Foto auf dem Handy gelöscht hast, war es höchstwahrscheinlich schon im Netz. Toni, das sehe ich doch richtig? Auch wenn ich kein Technikexperte bin.“

      Toni nickte.

      „Michael und Christine, Alexander und ich“, sagte Jessica, „wir kennen uns aus der Studienzeit. Wir waren zusammen in der Theatergruppe. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Michael da etwas gedreht hat.“

      „Und was hat Belzer in der Theatergruppe gemacht?“, fragte Sebastian. „Er war für die Requisite zuständig. Nicht wahr? Hast du mir selbst erzählt.“

      Gab es überhaupt etwas, das Sebastian vergaß?

      „Ja, wie?“, fuhr Toni auf. „Das kann doch nicht alles gewesen sein. Michaels Frau ist extrem eifersüchtig, besonders, wenn es um Jessica geht. Wir wissen das alle. Er will seine Ehe nicht gefährden, auch klar. Aber er muss doch noch etwas gesagt haben, außer, dass er dir nicht helfen kann.“

      „Er meinte, wir sollen behaupten, das Bild sei ein Fake.“

      „Ja, warum eigentlich nicht?“, fragte Toni. „Das ist immerhin ein Vorschlag. Die meisten Bilder im Netz sind manipuliert. Und wir können Zeit gewinnen.“

      Sebastian wiegte den Kopf. Jessica sagte:

      „So einfach es ist, das Bild zu bearbeiten, genauso einfach ist es nachzuweisen, dass es sich eben nicht um eine Fälschung handelt. Und wie stehen wir dann da?“

      Das Gespräch steuerte auf eine Entscheidung zu. Sebastian hatte alle Punkte bedacht, bis auf einen. Er trat zu ihr. Jessica blickte in seine blauen Augen.

      „Wie stellt sich eigentlich Alexander dazu?“, fragte er ruhig.

      Sie schaute sofort zu Boden und rieb sich mit den Händen über die Arme. „Alexander denkt jetzt, ich hätte etwas mit Michael. Du weißt ja, wie gut die beiden miteinander können.“

      Sebastian nickte und drehte sich weg. Jessica schaute auf seine Hände. Er hielt sie immer noch hinter dem Rücken. An der rechten schaute der Zeigefinger ein winziges Stück aus der Faust hervor. Jessica sah es deutlich: Ein Zeichen außerhalb der Präsentationsfläche.

      „Jessica“, hörte sie Sebastians Stimme. Er drehte sich schwungvoll um, ging auf sie zu und fasste sie mit beiden Händen an den Unterarmen. „Bevor du das Bild und die Erklärung ins Netz stellst: Du fährst jetzt nach Hause und sprichst noch einmal mit deinem Mann. Um die Zeit ist er noch in seinem Büro, oder nicht? Also los, beeil dich!“

      Jessica nickte.

      Toni kam auf sie zu, fuhr sich mit den Händen durch die Haare und rief: „Ich komme mit!“

      „Nein, du bleibst hier!“

      ***

      Jessica trat in das Treppenhaus der Scheffold-Villa und bemerkte sofort die kühle Luft. Sie ging nach oben und fragte sich, wie sie sich verhalten sollte. Wäre es besser, Tonis Vorschlag zu folgen und sich im schlimmsten Fall darauf zu berufen, das Foto sei ein Fake? Ihr Gefühl allerdings drängte sie zum Handeln, obgleich sie eben nicht wusste, welche Folgen das haben würde. War sie dabei, die Tür in die Tiefe zu öffnen, die in das Nichts und in die Bedeutungslosigkeit führte? Sie schaute über das Treppengeländer nach unten und konnte den Schriftzug „Grüß Gott“ im Terrazoboden gerade noch erkennen. Mit der linken Hand umfasste sie den wuchtigen, hölzernen Handlauf. Ihre Finger reichten gerade so bis in die ausgefräste Vertiefung, die für die Fingerspitzen vorgesehen war. Das stabile Geländer bewahrte sie vor dem Fall. Was wäre, bräche das alles weg? Der Traum drohte aus der Tiefe ihrer Seele emporzusteigen. Das Ganze wäre nur halb so bedrohlich, hätte sie einen konkreten Gegner vor sich. So aber musste sie sich gegen etwas Unbestimmtes zu Wehr setzen.

      Bevor Jessica die Wohnungstür aufschloss, schaute sie noch einmal über das Geländer in die Tiefe.

      ***

      Die Tür zu Alexanders Arbeitszimmer war nur angelehnt. Jessica hörte eine dunkle, angenehme und warme Frauenstimme.

      „Ich