Karibien. Xaver Engelhard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Xaver Engelhard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754179611
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bist sie los und kannst dich hier erholen, und wenn ‘s dir wieder besser geht ...”

      „Nichts ist gut!“, fauchte Sylvie. „Ich hock’ hier in diesem Drecksloch; und sie lässt sich von meinem Dad in meinem Haus verwöhnen; und ich hab’ niemanden, überhaupt niemanden mehr ...”

      „Aber Sylvie, das ist doch gar nicht wahr! Du hast Schmiss und mich zum Beispiel. Wir sind deine neuen Freunde. Hast du doch selbst gesagt.”

      „Hör mir nur mit diesem mongoloiden Nazi auf! Und ich wette, du überlegst dir auch schon, wie du mich loswerden kannst.”

      „Stimmt nicht!”, widersprach Rodney voll schlechtem Gewissen. „Wirklich! Ich find’ es total super, nicht mehr so allein zu wohnen. Es ist immer jemand da, mit dem man sich unterhalten kann.”

      Sylvie warf ihm einen misstrauischen Blick zu.

      „Na gut! Wollen wir mal hoffen, dass das so ist.” Sie lächelte verschmitzt. „Zuzutrauen wär ‘s dir glatt.” Es klang nicht wie ein Kompliment.

      „Ich hab’das Alleinsein echt satt“, murmelte Rodney, überzeugender diesmal.

      „Ist schon gut.“ Sylvie winkte ab und widmete sich wieder den Zeitungsblättern und der Schere.

      Willkommen zu Hause, Waldo! stand auf dem Pappschild, das sie in den wolkenverhangenen Himmel hielten. Sie waren zu dritt: Rodney, Schmiss und Finch, ein vom Leben und seinen Stürmen gezeichneter Seemann, der seine Karriere als Steuermann eines Kühlschiffs beendet hatte, seither im Hafen von Wilbourne auf einem umgebauten Kutter lebte und davon erzählte, wie er mit diesem noch einmal um die Welt fahren würde, aber nie auch nur die leisesten Anstalten traf, tatsächlich den Anker zu lichten. Es regnete; und die Pappe begann, sich zu wellen; und die mit wasserlöslicher Farbe gemalten Buchstaben zerliefen und standen bald auf bunten, dürren Stelzen. Endlich erschien Waldo in der Glastür des Krankenhauses. Er öffnete sie vorsichtig und blieb stehen.

      „Wär’ wirklich nicht nötig gewesen. Das reinste Empfangskomitee!” Er lächelte verlegen.

      „Mein Gott, Waldo, du hast doch nicht etwa abgenommen?”, brummte Finch mit seiner tiefen Stimme. Er war mittelgroß und hager. Er nahm seine schmutzige Kapitänsmütze ab und wischte sich mit dem Ärmel seines Blazers über die nasse Stirn. Seine knollige Nase und überhaupt die ganze Gesichtshaut waren von kleinen, blauen und roten Äderchen überzogen. Er trug Ledersandalen, deren Sohlen aus alten Autoreifen geschnitzt waren. Seine weiße Hose reichte nur knapp bis zu den Knöcheln.

      Waldo, an dem die hellbraune Windjacke und die Cordhose lose herab hingen, die aus dem Fundus des Krankenhauses stammten, hob die Arme und ließ sie wie gebrochene Flügel wieder fallen. Er trug eine grüne Kappe, auf deren Vorderseite Zoloft stand.

      „Wenn du wüsstest, was die einem hier zu essen geben, wärst du nicht so überrascht. Und dann noch die widerlichen Tischmanieren mancher Mitinsassen!” Er winkte traurig ab.

      „Das klingt, als bräuchtest du ein anständiges Frühstück“, rief Rodney betont fröhlich. Waldo nickte müde.

      Sie kletterten in Rodneys Lieferwagen: Rodney, Waldo und Finch saßen vorne; und Schmiss ließ sich auf dem mit einer alten Wolldecke gepolsterten Reserverad nieder, das hinten auf der Ladefläche lag.

      „Was haben die denn mit dir so lang da drin gemacht?”, fragte er von hinten.

      „Das Gleiche wie sonst: Sie haben mich justiert.” Waldo machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen.

      „Dich justiert? Wie ‘nen Vergaser oder so was?”

      „Genau! Welche Pillen, welche Dosierung und so!”

      „Damit du die armen Touristen nicht mehr erschreckst?” Finch, der kein Auto hatte und auch nur selten in einem mitfuhr, blickte mit kindlicher Freude aus dem Seitenfenster.

      „Der Arzt da drinnen meinte, ich erinner’ ihn an einen dieser Japsen, die sich dreißig Jahre lang auf irgendwelchen Pazifikinseln im Dschungel versteckt gehalten haben, ohne mitzukriegen, dass der Krieg längst vorbei ist.”

      „Hat Humor, der Mann!”

      „Eins steht fest: Ich lass’ mich von den Typen nicht noch einmal vollspritzen. Eher blas’ ich mir selbst was ins Hirn.” Waldo betrachtete seine blassen Hände, als wären sie ihm fremd. „Ich erkenn’ mich gar nicht wieder.“

      „Wir dich auch nicht!“, verriet Rodney grinsend. „Du hast noch nicht ein einziges Mal geflucht.”

      „Wenn diese Spritzen die einzige Möglichkeit sind, diesen scheiß Krieg loszuwerden, behalt’ ich ihn lieber. Es ist alles so gedämpft. Kennt ihr das: Du gibst das Kommando Arm nach oben!, und dann vergehen erst einmal fünf Sekunden, bevor was passiert? Genauso ist es im Moment. Und es ist alles weit, weit weg.”

      „Nichts, wogegen unser House of Pancakes nicht ein geeignetes Mittel hätte!“, rief Rodney und stellte den Dodge auf dem Parkplatz von Wilbournes einzigem Restaurant ab.

      „Als wenn dein Kopf mit Watte vollgestopft wäre! Als wenn ich Handschuhe anhätte!“, murmelte Waldo. „So kann man nicht Schachspielen!”

      „Das ist jetzt auch gar nicht nötig. Für ‘s Erste reicht es, wenn du eine belgische Waffel vertilgst.” Finch, den die Arthritis plagte, ließ sich vorsichtig von der Sitzbank auf den Asphalt des Parkplatzes gleiten. Das dünne weiße Haar, das unter der Kapitänsmütze hervorschaute, flatterte im Wind.

      „Ich könnte ‘ne 16jährige Muschi essen und würde nichts dabei spüren.”

      „Hey, habt ihr das gehört?”, rief Rodney. „Ein schweinischer Gedanke! Es scheint so, als würden die Pfannkuchen bereits ihre Wirkung tun. Muss der Geruch sein oder die Aura oder so was!”

      „Ich seh’ schon, hinterher müssen wir ihn noch zum Macmanimous karren, damit er sich dort eine von den Damen krallt.” Finch streckte sich andeutungsweise.

      „Ich hab’ euch doch schon oft gesagt, von denen kann keine mit meinen Schwedinnen mithalten. Die stecken dich nicht mit irgendwelchen Krankheiten an, und die rauben dir nicht mit ihrem zynischen Mundwerk deine Illusionen.”

      „Ich hab’ bisher weder die einen noch die anderen ausprobiert, aber mir scheint, dass deine Video-Bekanntschaften aus etwas zu viel Illusion und die Damen des Macmanimous aus etwas zu viel Realität bestehen.”

      „Du hast sie noch nicht probiert?!“, höhnte Waldo. „Für was warst du denn Seemann?”

      „Ich bin immer noch Seemann, und als solcher weiß ich, dass die aufgegebenen Wracks des Macmanimous einen niemals die süßen Mädels der Karibik vergessen lassen würden. Eher im Gegenteil!“ Finch schüttelte sich, damit die Knochen seines Skeletts die eine weitgehend schmerzfreie Position einnahmen, die ihnen noch blieb.

      „Du warst in Karibien?” Schmiss, der aus dem Laderaum klettern wollte, hielt erstaunt inne. „Stimmt es, dass es dort Affen gibt und Löwen und diese ganzen seltsamen Früchte?”

      „Seltsame Früchte trifft es ganz gut“, brummte Finch und warf Rodney und Waldo einen kurzen Blick zu. Sie warteten, bis Schmiss die Tür des Lieferwagens geschlossen hatte, und machten sich auf den Weg zu dem Klinkergebäude, über das tiefe, graue Wolken geblasen wurden.

      „Hast du viele von ihnen gegessen?”

      „So viele wie möglich!” Finch erreichte als erster den Eingang und hielt den anderen die Glastür auf.

      „Mann, da würd’ ich auch gern mal hinfahren.” Schmiss rammte Rodney einen Ellbogen in die Seite. „Muss gar keine Kreuzfahrt sein.”

      „Spar dir das Geld!” Finch war vor einer Tafel stehen geblieben, die im Windfang stand. „Das Angebot der Woche sind Belgische Waffeln mit Mangos. Exotischer wird ‘s auch in der Karibik nicht.”

      „Ja, aber trotzdem ...” Schmiss wirkte nicht überzeugt und kratzte sich am Kopf, während sie zu viert die Tafel und das darauf mit einem