Karibien. Xaver Engelhard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Xaver Engelhard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754179611
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Drecksloch, nicht mehr und nicht weniger!”

      Die abgewetzte Auslegware am Boden, das an vielen Stellen zersplitterte Plastikfurnier an den Wänden, die vergilbte und stellenweise vom Schimmel geschwärzte Decke gaben ihr Recht. Rodney erkannte zum ersten Mal, dass sein Zuhause tatsächlich ein wenig heruntergekommen war.

      „Na ja, man müsste es vielleicht ein bisschen herrichten.”

      „Da hilft höchstens die Schrottpresse. Wenn du geglaubt hast, dass ich dir diesen Saustall in Ordnung bringe, hast du dich gründlich geirrt.”

      „Man hat hier seine Ruhe. Und ich habe eine Satellitenschüssel!” Er wies mit dem Kinn auf eine Pyramide aus fünf gefährlich übereinander getürmten Fernsehern verschiedener Größen und Marken.

      „Großartig!” Sylvie verdrehte die Augen. „Ich bin jedenfalls total erledigt. Wo ist das Schlafzimmer?”

      Rodney wies auf eine angelehnte Tür.

      „Und das da ist das Bad?”

      Er nickte.

      „Heißes Wasser?”

      „Selbstverständlich!” Er versuchte, empört zu klingen.

      „Handtücher?”

      Er zuckte vorsichtig mit den Achseln.

      „Schon gut! Ich brauch jetzt jedenfalls ‘ne Dusche. Und dann nichts wie ab in die Heia! Vielleicht ist das Ganze ja doch nur ‘n Alptraum!” Sie öffnete ihre Tasche, entnahm ihr einen bunten Beutel und zwei Handtücher und verschwand im Badezimmer. Rodney schleppte die Koffer ins Schlafzimmer, kehrte in den Wohnbereich zurück und ließ sich vorsichtig auf einem verstaubten Sofa nieder, wo er dem ungewohnten Prusten und Plätschern zuhörte, das durch die dünnen Wände drang.

      „Ich bin fertig“, verkündete Sylvie, als sie mit einem roten, ihr deutlich zu kleinen Morgenmantel und einem turbanartig um den Kopf geschlungen Handtuch bekleidet wieder aus dem Bad erschien. „Ich hoffe du hast nichts dagegen?” Sie breitete die Arme aus und sah kokett an sich hinab.

      Rodney schüttelte den Kopf.

      „Okay, dann sehen wir mal weiter.” Sie ging auf nackten, frisch verdreckten Sohlen ins Schlafzimmer, tauchte noch einmal kurz auf, um eine Decke und ein Kissen auf dem Sofa abzuladen, und warf die Tür hinter sich endgültig und mit Nachdruck zu. Rodney stand auf und richtete sich mit der Decke und dem Kissen einen Schlafplatz auf dem Sofa ein.

      „Und du meinst, das funktioniert?” Schmiss warf Rodney über das Bierglas in der Hand hinweg einen besorgten Blick zu.

      „Keine Ahnung! Aber ich schätz’ mal, wir müssen mitmachen. Sonst hängt sie uns hin!”

      „Und du glaubst wirklich, ihr Vater is’ so bescheuert und zahlt auch nur einen Cent, damit sie ihm wieder auf die Nerven geht und in seinem Keller rumlungert? Eher zahlt er uns was dafür, dass wir sie für immer beiseite schaffen.” Schmiss fuhr sich über die blonden Haarstoppel und sah sich in der Bar um, in der sie sich getroffen hatten. Die Wände waren mit rohen, nicht entrindeten Planken getäfelt, auf denen noch die Spuren der Sägeblätter zu erkennen waren. Alles Mobiliar war fest am Boden verschraubt wie in einem Gefängnis oder einer Irrenanstalt. Sägespäne bedeckten den Boden. Zwei Holzfällertrupps, die für den Samstagabend aus dem Wald an die Küste gekommen waren, unterhielten sich lautstark und schielten immer wieder zum Eingang, als könnte einer der ihnen so verhassten Fischer unversehens dort auftauchen und Anlass zu einer der Schlägereien bieten, für die das Sailor ‘s Grave berühmt war.

      „Du weißt, ich mag es nicht, wenn du schlecht von anderen redest. Das ist nur ein Zeichen von Schwäche. So was hast du gar nicht nötig.”

      „Schwäche?” Schmiss sah seinen Chef beleidigt an.

      Rodney nickte und spielte mit seinem Glas Cola.

      „Außerdem bist du nicht ihr Vater! Der hält sie bestimmt für was ganz Besonderes und zahlt, was immer sie verlangt.”

      „Sie ist super fett, das ist aber auch schon alles, was an ihr besonders ist. So viel kannst du gar nich’ klauen, wie die futtert.”

      „Sie hat vor ‘nem halben Jahr ihre Mutter tot in der Badewanne gefunden. Und sie ist gestresst. Sie muss sich an eine neue Umgebung gewöhnen, neue Leute. Das ist nicht einfach. Und du trägst nicht gerade dazu bei, dass sie sich bei uns willkommen fühlt! Kein Wunder, dass sie sich in Ding Dongs flüchtet!”

      „Ich kann sie einfach nicht ausstehen. Wenn sie wieder weg is’, bin ich auch wieder nett zu ihr.” Schmiss kicherte und bemerkte die drei Gestalten in karierten Flanellhemden und schweren Stiefeln nicht, die sich in der Nähe aufgebaut hatten und immer wieder zu ihm hinüber schielten.

      „Wusste gar nicht, dass die hier Schlitzaugen rein lassen“, sagte der eine von ihnen laut zu seinen Kumpels.

      „Was will der Kuli denn hier? Es gibt keine Hunde zu fressen und keine verfaulten Eier.”

      „Sucht vermutlich seine opiumrauchende Mama, die mir nachher für ‘nen Dollar einen blasen wird.”

      Schmiss, der in keiner Weise hatte erkennen lassen, dass er die drei Kerle überhaupt bemerkt hatte, sprang plötzlich auf und stürzte sich mit dem Kopf voran auf den mittleren von ihnen, der kaum Zeit gehabt hatte zu reagieren und mit Schmiss zu Boden ging.

      „Schmiss!“, rief Rodney entsetzt. „Hör doch gar nicht auf die Idioten!” Er erhob sich und sah, wie sich Schmiss von seinem ersten Opfer los machte und sich dem nächsten zuwandte, der bereits an seinem Kragen zerrte und ihm einen Schlag auf das Ohr versetzt hatte. Der Dritte holte zu einem Tritt aus.

      „Hey, das gilt nicht!“, schrie Rodney, flog auf einen der Angreifer und versuchte, ihn von hinten zu würgen. Der Kerl schüttelte Rodney ab wie eine lästige Fliege und wollte seinem Kumpel zur Hilfe kommen, der unter der Einwirkung eines Magenschwingers einknickte, da hatte sich Rodney bereits erhoben und sich erneut auf ihn gestürzt. Die übrigen Gäste des Sailor ‘s Grave hatten bereits eine Art Kreis um die fünf Kämpfer gebildet und feuerten sie dankbar an.

      „Los, Rod, der hat doch genau deine Kragenweite!“, rief einer und nippte an seinem Bier.

      Rodney und Schmiss kämpften verbissen, aber schließlich machte sich bemerkbar, dass sie den drei Holzfällern zahlen- und kräftemäßig unterlegen waren. Als sie endgültig zu Boden gegangen waren und die drei Holzfäller ihr Werk mit Fußtritten vollenden wollten, griffen die anderen Gäste ein.

      „Okay, Jungs, ihr habt euren Spaß gehabt, jetzt verduftet von hier oder der Wirt hetzt euch Sheriff Marge auf den Hals.”

      Der größte von den Dreien, dessen eine Auge bereits völlig verquollen war, reagierte nicht und musste handgreiflich daran gehindert werden, den ohnmächtigen Rodney weiter zu misshandeln. Seine beiden Kumpels – dem einen liefen wegen einer Platzwunde auf der Stirn zwei rote Rinnsale über die Wange, der andere humpelte – nahmen ihn zwischen sich und schleppten ihn zum Ausgang.

      Als Rodney wieder zu sich kam, beugte sich ein rundes, hübsches Frauengesicht über ihn.

      „Fay!”

      Die junge Frau hatte halblanges, blondes Haar, das in einer dramatischen Welle nach hinten gekämmt war. Sie lächelte und legte einen Finger auf Rodneys Lippen.

      „Psst! Du hast ganz schön was abbekommen.”

      „Bin ich tot? Bin ich im Himmel?“

      Fay schüttelte den Kopf.

      „Was ist mit Schmiss?“

      „Dem wird in der Notaufnahme eine Platzwunde vernäht.“

      „Habt ihr Marge angerufen? Weil, ich hab’ihr nämlich eigentlich versprochen ...”

      „Keine Sorge!” Fay strich ihm über die Wange.

      „Gut!” Rodney stieß erleichtert die Luft aus.

      Fay kämmte