Karibien. Xaver Engelhard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Xaver Engelhard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754179611
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nein, nicht direkt, ich ...” Rodney errötete.

      „Willst du etwa, dass ich aufstehe und dir irgendwie behilflich bin?” Sie prustete los, erheitert von so viel Naivität. Sie stand nicht einmal auf, um ihrem Vater behilflich zu sein, und das schon mindestens seit er die neue Frau hatte. Sie beruhigte sich mit einem letzten Schnauben. „Oder willst du mich am Ende vergewaltigen?” Eine absurde Vorstellung, sah man den schmächtigen Rodney vor ihrem riesigen Körper stehen! Sie pickte mit der gleichen Hand, die auch die Zigarette hielt, einen Ding Dong aus der offenen Schachtel neben sich, begann, nachdenklich daran zu knabbern, und musterte Rodney. „Würde mir vielleicht gar nichts ausmachen. Bist ‘n hübsches Bürschchen.”

      „Nein nein, das geht leider nicht. Wir haben oben schon alles fertig und müssen gleich abhauen.” Rodney wedelte mit der Hand.

      „Wir? Also auf Schweinereien steh’ ich nich’. Ich zieh’ mein Angebot zurück.” Sie griff verärgert nach der Fernbedienung und schaltete zu einer Talkshow um. Eine Frau beschwerte sich wortreich darüber, dass sie ihren Freund nicht dazu bringen könne, sich die Haare zu schneiden. „Da hört sich doch alles auf“, brummte die Dicke leise. „Kannst du das glauben?”, fragte sie lauter und an Rodney gewandt.

      Rodney schüttelte den Kopf und sah sich vorsichtig in dem Zimmer um. Außer dem Fernseher gab es nichts, was den Abtransport gelohnt hätte.

      „Bist du vielleicht auch so einer, wo sich nich’ pflegt?” Sie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu und musterte seine Frisur. Ihr eigenes Haar war im Moment kupferrot und fiel in langen, schillernden Wellen auf die Schultern. „So was kann ich nämlich überhaupt nich’ ab.”

      Wieder schüttelte Rodney den Kopf.

      „Wird dein Kumpel da oben nicht unruhig, wenn du so lange weg bleibst?” Sie drückte die Zigarette in einen randvollen Aschenbecher, der zwischen den Kissen verborgen war, und griff gleich nach der nächsten.

      „Sie sollten nicht im Bett rauchen, wissen Sie?!“, stammelte Rodney. „Eigentlich sollten Sie überhaupt nicht rauchen!”

      „Mein Gott, das kann dir doch nun wirklich scheiß egal sein, was ich mit meinem Körper mach’! Du willst mich doch eh nur ausrauben.” Sie warf ihm einen schlauen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Und missbrauchen, falls du Manns genug dazu bist! Was ich ehrlich gesagt bezweifle!” Sie sog mit demonstrativem Genuss an der Zigarette.

      „Um Gottes Willen!” Rodney hob abwehrend die Hände. „Wir nehmen nur ein paar von den elektrischen Geräten mit.”

      „Von mir aus könnt ihr euch schnappen, was ihr wollt. Fahren ohne mich in den Urlaub und glauben, ich bin so blöd und pass’ so lange auf ihre Klunker auf! Die wird sich wundern.”

      „Gibt es denn etwa Juwelen?” Rodney schaute die Frau erstaunt an. „Vielleicht in einem Safe?“

      „Du meine Scheiße, was glaubst du denn, wo du gelandet bist? In ‘nem Luxushotel am Strand von Nice?” Sie sprach den Namen der französischen Hafenstadt betont falsch und betont englisch aus. „Der Schmuck ist im Wohnzimmer unterm Sofakissen. Aber versprich dir nicht zu viel davon! Das Meiste is’ aus’m HOT.”

      „Was ist mit Computern. Schmiss ist ...”

      „Schmiss? Klingt nicht sehr amerikanisch, wenn du mich fragst. Is’ doch kein Schwarzer, oder? So einen lass’ ich bestimmt nich’ ran.” Sie kicherte.

      „Er hat deutsche Vorfahren“, stellte Rodney empört klar. „Zumindest zum Teil!”

      „Na, das is’ aber ‘ne Beruhigung! Ein verfluchter Nazi nimmt mir die Bude auseinander. Gibt ‘s denn keine Juden mehr, mit denen die spielen können? Das hätten die sich mal vorher überlegen sollen, bevor sie die alle durch den Schornstein jagen.” Sie setzte sich mühsam auf und angelte mit ihren auffällig kleinen Füßen nach den Plüschpantoffeln vor dem Bett. Sie streifte mit der Zigarette im Mund ein weites, Kaftan-ähnliches Hemd über den Pyjama.

      Rodney streckte beide Arme aus.

      „Bitte keine Umstände! Wir finden das Zeug auch allein, ehrlich!”

      „Du lässt nich’ locker, was? Gönnst mir nich’ mal für ‘nen Augenblick die Illusion, dass dein Eindringen hier romantische Gründe haben könnte.” Sie warf ihm unter langen, aufgeklebten Wimpern einen koketten Blick zu. „Du bist doch ‘n Eindringling, oder?”

      „Ich weiß nicht. Ich ...”

      „Werd’ mir auf jeden Fall mal diesen Schmiss anschauen. Vielleicht is’ mit dem ja mehr los.” Sie fuhr sich durchs Haar. „Bei diesen Krauts kann man leider nie wissen. Von denen sind viele voll pervers, heißt es.”

      „Du meine Güte, was ist denn da oben los?”, fragte die Dicke schon auf der Treppe, die aus dem Keller führte, und rümpfte die Nase. „Wonach stinkt ‘s denn hier?“

      Rodney war genauso erstaunt wie sie, hatte aber sofort einen Verdacht.

      „Äh ... das ... ja, das ist vermutlich mein Partner Schmiss.“

      „Und der riecht so?“ Sie blickte ihn ungläubig an. Sie waren im Flur angelangt und näherten sich der Küche, aus der der Brandgeruch zu kommen schien. Sie traten durch die Tür und blieben verblüfft stehen.

      Schmiss hatte sich eine Schürze umgebunden, stand pfeifend vor dem spiegelblanken, in Abwesenheit des Hausherren und dessen neuen Ehefrau kaum benutzten Herd und frittierte ein paar schwarz-braune, nach Fisch riechende Klumpen in einer Pfanne voll Fett.

      „Verflucht noch mal, bist du verrückt geworden?”, schrie Rodney, um einem Wutausbruch der einen noch verbliebenen Hausbewohnerin zuvorzukommen. „Was machst du denn da?”

      Schmiss zuckte zusammen und drehte sich mit einem schwarz verkrusteten Bratenwender in der Hand um.

      „Ich ... Hey, wer is ‘n das? Wo hast ‘n die Schnecke her? Ich dachte, die Bude is’ leer.” Er wandte sich wieder der Pfanne zu und kratzte zwischen den blubbernden Batzen herum. „Wollt ihr ‘n paar? Ich hau’ sie auf ‘n Stück Toast und mach’ ‘nen Salat dazu. Is’ welcher im Kühlschrank. ‘N bisschen welk, aber sonst ganz okay!”

      Rodney schüttelte stumm den Kopf, um der Dicken zu zeigen, dass er hilflos und genauso betroffen war wie sie.

      „Sind das Fische?”, erkundigte sie sich leise bei ihm. „Die Fische aus dem Aquarium?”

      In Rodney stieg ein schrecklicher Verdacht auf. Er zwängte sich an ihr vorbei, verließ die Küche, durchquerte den Flur und eilte ins Wohnzimmer. Er ließ den Strahl seiner Taschenlampe kurz über das Aquarium streifen, das er dort bei seinem ersten Streifzug durch das Haus entdeckt hatte. Bis auf die Pflanzen und drei benommene Guppys war es völlig leer. Der Kescher lag quer über dem Glaskasten. Rodney musste schlucken, machte kehrt und wollte in die Küche zurück, da bemerkte er, dass die Dicke ihm gefolgt war.

      „Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll“, stammelte er. „Er ist sonst ...”

      „Du willst doch nicht etwa sagen, der Schwachkopf brät die Fische aus dem Aquarium? Die Lieblinge meines Vaters? Seine wertvollen Amazonasschönheiten?”

      Rodney nickte vage. Er ahnte, während er im Keller geplaudert hatte, war Schmiss über das Aquarium voll exotisch schillernder Zierfische hergefallen. Fettfreies, aufregend verpacktes Eiweiß! Schmiss’ gesamte Lebensphilosophie ließ sich auf Kohlenhydrate und Proteine reduzieren. Für ihn war das ungewöhnliche Äußere der Zierfische vermutlich Hinweis auf einen interessanten Geschmack gewesen.

      Die Dicke brach in ein gewaltiges Lachen aus. Sie lachte, bis ihr die Tränen kamen. Wellen liefen über ihr Fett. Sie beruhigte sich nur langsam und stützte sich schnaufend am Türrahmen ab.

      „Ehrlich, wenn ihr nich’ von selbst gekommen wärt, hätt’ ich euch rufen sollen. Ich hoffe, ihr scheißt ihnen auch noch auf den Teppich.”

      Rodney fühlte sich zutiefst in seiner Einbrecherehre gekränkt.