Der Käfig
Sabine Riedel
Die Tür fiel quietschend ins Schloss.
»Liebling, ich bin zu Hause!«
»Hallo Schatz!«, presste sie heraus. »Ich bin in der Küche.«
Sie saß in der Falle, nun gab es kein Zurück mehr.
Als Mike ihr einen Kuss auf die Wange hauchte, bäumte sich die Angst noch einmal heftig in ihr auf, aber Melanie kämpfte sie nieder. Es ging nicht anders. Nicht mehr ...
»Hast du was?«
»Nein, nein!«, sagte die junge Frau hastig und hielt dem Blick seiner misstrauischen Augen stand. »Ich habe nur ... irgendwie Kopfschmerzen.«
»Ach so.« Mike setzte sich an den Küchentisch. »Was gibt es zu essen?«
»Dein Lieblingsessen!« Melanie stellte einen Teller köstlich duftender Lasagne vor ihm ab und setzte sich ihm gegenüber an den kleinen Küchentisch.
»Du isst nichts?«
Melanie faltete die Hände unter dem Tisch auf ihrem Schoß, damit er nicht merkte, wie sie zitterten. »Nein, ich habe keinen Hunger. Wie war dein Tag?«
»Ach die haben doch alle keine Ahnung, die feinen Pinkel!« Mit einer sehnigen Hand fegte er eine Strähne pechschwarzen Haares aus dem Gesicht. In seinen grünen Augen blitzte es giftig. »Wenn die so unfähige Leute in ihrer Abteilung hätten wie ich, würden die nicht so großkotzig daher labern! Wie soll man solche Mitarbeiter schon motivieren?«
»Vielleicht ...«
»Bier, bitte!«
Melanie seufzte innerlich und holte das geforderte Alt aus dem Kühlschrank. Als sie ein Glas aus dem Schrank holte, zögert sie. »Ich ... muss dir etwas sagen ...«
»Und dann diese Frau Lärchenfeld«, schmatzte Mike und versenkte einen großen Löffel Lasagne im Mund. »Grottenhohl die Kleine, aber dafür echt heiß!«
»Wo bleibt mein Bier?« Er drehte sich zu ihr um und musterte ihre fleckige Schürze über Leggins und T-Shirt und das nachlässig zusammen gebundene blonde Haar. »Du könntest dich auch mal etwas hübsch für mich machen!«
Sie antwortete nicht, aber das hatte er auch nicht erwartet und er wandte sich wieder dem Essen zu. Sein kurzer Pferdeschwanz wippte hin und her.
Mit einem lauten Zischen öffnete Melanie die Bierflasche und kurz darauf schäumte das dunkle Getränk ins Glas.
»Bitte, dein Bier.« Heftiger als beabsichtigt knallte Sie das Getränk auf den Tisch, und zwar so heftig, dass es überschwappte.
Mike funkelte sie missbilligend an. »Bist auch ganz schön fett geworden!«
Melanie setzte sich. »Ich bin schwanger.«
Mike nahm einen tiefen Schluck und wischte sich den Bierschaum aus dem dünnen Schnurrbart. »Ich dachte, du könntest keine Kinder mehr kriegen.«
»Ja, das habe ich auch gedacht.«
»Jetzt sieh mich nicht so an!« Sein Ehering blitzte Melanie höhnisch entgegen. »War doch nicht meine Schuld!«
Melanie ballte die Hand unter dem Tisch zur Faust. »Nein, es war nicht deine Schuld!«
»Konnte doch keiner Ahnen ...«
»Nein.«
»... das du die Treppe runter fällst!«
»Hm, hm.«
»War besser, dass du es verloren hast!«
»Ja«, ihre Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in die Haut, »es war besser so.«
»Ich habe dir damals gleich gesagt, dass du abtreiben sollst.«
»Ja, das hast du.«
»Aber diesmal treibst du ab! Hast du schon einen Termin?«
Sie sah zu, wie er die Reste des Essens in den Mund stopfte und ihr auffordernd das leere Glas hinschob.
»Ich möchte nicht abtreiben«, flüsterte sie, als sie mit unsicherer Hand Bier hineingoss. Mike leerte es mit einem Zug. »Und ich will keine Kinder, also?« Nachdrücklich stellte er das Glas vor sie hin.
Melanie legte die kalten Hände auf ihren schon leicht geschwollenen Leib. Mit der Wärme schien ihr das Baby auch Kraft zu geben. Sie lehnte sich vor und schenkte ihm mit schneller, sicherer Bewegung das restliche Bier ein. Mike war verwundert über den herausfordernden Ausdruck, der plötzlich in ihrem Gesicht lag. Dann lächelte sie ihn sogar an. »Du bist nicht der Vater!«
»Was?« Seine Augen weiteten sich ungläubig. »WAS?« Er sprang auf und warf das Bierglas an die Wand, wo es scheppernd in tausend Scherben zerschellte. »Ich bring’ dich um, du ...«
»Hast du dein Bier genossen?«, fragte Melanie ungerührt.
»Was? Du ...«, Mike taumelte und warf den Stuhl um. Dann kauerte er sich auf den Boden.
»Du wirst dieses Kind nicht auch noch umbringen!« Ihre Stimme war so kalt, als könne sie damit Glas schneiden. »Ich bin damals nicht gefallen!«
»Hilf mir!«, keuchte Mike, doch Melanie stand auf und ging.
»Bleib bei mir!« Er schnitt sich die Hände an den Scherben blutig.
»Melanie?«
Die Tür fiel quietschend hinter Melanie ins Schloss.
»Melanie?«
Sie stand vor der Tür und hörte ihn schreien. Sein Rufen wurde lauter.
Lauter.
Und lauter.
Jemand rüttelte sie grob an der Schulter und Melanie wachte auf.
Das Mädchen und der liebe Gott
Gislinde Bock
Stolz saß sie hinter dem Schreibtisch in »ihrem« Lesesaal. Für die junge Frau war es »ihr« Lesesaal, denn dieser war nach einer langen Ausbildung ihr erster Arbeitsplatz. Endlich konnte sie Geld verdienen und sich Wünsche erfüllen, die bisher in weiter Ferne gelegen hatten.
Nach dem Examen hatte sie das Glück, in der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften die Aufsicht über diesen Lesesaal zu erhalten. Das war es, was sie sich gewünscht hatte: Bibliotheksarbeit mit »Benutzerkontakt«. Sie freute sich jeden Tag gemeinsam mit ihren Bibliotheksbenutzern, wenn es ihr wieder gelungen war, den Wissenschaftlern ihre oft unmöglich erscheinenden Literaturwünsche zu erfüllen.
Hinzu kam dieser majestätisch erscheinende Arbeitsplatz in dem alten wilhelminischen Bau Unter den Linden in Berlin, in dem die Akademiebibliothek untergebracht war. Hohe Fenster mit schweren Samtvorhängen erfüllten den Raum mit Licht, der große Saal mit seiner stuckverzierten Decke war ringsum mit Regalen für die Handbibliothek ausgestattet.
Nicht selten wünschte sich die junge Frau, auch etwas von den Inhalten in diesen dicken Bänden zu erfahren, aber das war nur den Wissenschaftlern vorbehalten. Ihre eigene Arbeit an einem Buch beschränkte sich hauptsächlich auf Autor, Titel und Verlag. Die Hoffnung, als Bibliothekarin auch mit den Buchinhalten arbeiten zu dürfen, hatte sie schon vor langer Zeit, zu Beginn des Studiums,