Geschichten des Windes. Claudia Mathis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claudia Mathis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753197715
Скачать книгу
Möglichkeit übrig, Sean hatte einen Entschluss gefasst.

      Beschwingt ging er zu Arthurs Haus und klopfte. Arthurs Mutter öffnete, Angus kam neugierig herbei. Er hatte vor Kurzem Laufen gelernt.

      „Sean, komm rein! Wie geht es dir?“

      Sean nuschelte „Gut!“ und sah zu Arthur, der gerade trübsinnig am Küchentisch saß und etwas aß. Sonst war niemand im Raum. Überrascht sprang Arthur auf.

      „Sean! Schön, dass du da bist!“

      „Wollen wir ins Zimmer gehen?“, fragte Sean bedeutungsvoll. Arthur verstand, räumte den Tisch ab und die beiden gingen nach oben. Fiona schaute ihnen irritiert nach und machte sich dann an den Abwasch. Still litt auch sie unter der Entscheidung, doch sie und Tevin sahen keinen anderen Weg, ihrem Sohn eine gesicherte Zukunft zu ermöglichen. Angus erkundete indessen weiter fröhlich quietschend die Küche.

      „Ich habs!“, flüsterte Sean verschwörerisch.

      „Was hast du?“

      „Die Lösung natürlich! Für unser Problem! Wir müssen weggehen, gemeinsam“, sagte Sean stolz.

      „Abhauen meinst du?“

      Arthur schaute seinen Freund verdutzt und ungläubig an. „Du willst weg von Dunnottar Castle? Aber deine Eltern. Und du bist doch irgendwann der Laird. Das verstehe ich nicht.“ Das war zu viel für Arthur.

      „Hör mal zu. Ich will kein Laird sein. Und auf der Burg ist es sowieso so langweilig. Wir hatten doch gesagt, dass wir zusammen die Meere befahren wollen. Warum also nicht jetzt?“

      „Hm, das wäre natürlich fantastisch! Wobei, meine Eltern und Geschwister werden schon sehr traurig sein. Aber wir können doch auch wieder zurückkommen, oder?“, wandte Arthur ein.

      „Natürlich! Wir sind noch so jung. Wer weiß, was das Leben noch mit uns vorhat. Machst du mit?“, fragte Sean herausfordernd.

      „Ja, du rettest mich damit! Du bist der Beste!“, stürmisch umarmte Arthur seinen Freund. Er hatte wieder Hoffnung geschöpft.

      Sofort machten sich die beiden Jungen daran, ihre Flucht zu planen. Das Schwierigste war der Weg zum Festland. Wenn sie den geschafft hatten, mussten sie bloß noch nach Stonehaven kommen und dann wollten sie weiter schauen.

      ***

      Zwei Tage später schlichen des nachts zwei Gestalten mit Kapuzen über den Burghof zu den Stallungen. Kurz darauf führten sie ein Pferd mit großen Satteltaschen in Richtung Torhaus. Alles ging leise und schnell vonstatten, auch das Pferd machte keinen Laut. Beim Torhaus angekommen, blieb eine Gestalt beim Pferd und die andere huschte mit einem langen Gegenstand in der Hand in das Gebäude. Es dauerte eine Weile, dann öffnete sich das Tor, die Gestalt kam wieder heraus und winkte der anderen zu. Diese setzte sich mit dem Pferd am Zügel in Bewegung und gemeinsam verließen sie die Burg. Flink stiegen sie die Stufen hinab und folgten dem schmalen Pfad bis zum Festland. Erst dort blieben sie stehen und blickten zurück.

      „Wir haben es geschafft!“ Sean zupfte seine Kapuze zurecht. „Gut gemacht, Vika!“ Liebevoll streichelte Sean den Hals seiner treuen Stute. „Wie hast du das mit der Wache gemacht?“

      Sie hatten sich geeinigt, dass Arthur diesen Teil übernahm, da er größer und stärker war als Sean.

      „Es war Brendan. Er saß auf seinem Stuhl und döste. Da habe ich mich von hinten angeschlichen und ihm mit dem Knüppel auf den Hinterkopf gehauen, aber nicht so stark natürlich. Er ist einfach vom Stuhl gekippt und bewusstlos liegen geblieben. Schnell habe ich ihn geknebelt und gefesselt und das Tor geöffnet. Es war schon ein komisches Gefühl, jemanden zu überfallen und dann noch von hinten“, erwiderte Arthur verwirrt.

      „Brendan wird schon wieder. Du hast das gut gemacht, Arthur.“

      Mit diesen Worten stieg Sean auf und half Arthur, sich hinter ihn zu setzen. Mühelos trabte Vika trotz des Gewichtes los, die Stute war zäher, als sie aussah. Schweigend ritten sie den Küstenweg entlang und vermieden, sich umzublicken. Ganz so einfach, wie sie sich gegenseitig versicherten, war es doch nicht, ihr Zuhause und ihre Lieben zu verlassen.

      Würden sie sie je wiedersehen?

      II

      Auf zu neuen Ufern

      Wenn du den Mut aufbringst

      Auf den Meeren des Lebens zu segeln

      Entdeckst du nicht nur neue Welten

      Sondern auch dich selbst

       R.B.B.

      Zehn

      - 1692 -

      „Das muss Aberdeen sein!“, rief Sean freudig und spornte seine Stute an.

      Erschöpft von dem anstrengenden, fünfstündigen Ritt durch weichen Schneematsch sehnten sich seine Glieder nach Erholung. Auch Arthur konnte sich kaum noch auf dem Pferd halten.

      Sean hatte vor ihrer Flucht heimlich die Landkarte seines Vaters studiert und zum Glück war der Weg nach Aberdeen nicht schwer zu finden, denn er ging immer an der Küste entlang. Der silberne Mond hatte ihnen treu geleuchtet und wurde nun langsam von seiner goldenen Schwester, der Sonne, abgelöst.

      Als die Jungen der Stadt näherkamen, bemerkten sie die eigenartige Farbe der Häuser. Die Gebäude bestanden alle aus einem silbergrauen Stein, der in der aufgehenden Sonne glitzerte. Einige sahen ziemlich beeindruckend aus, mit Türmchen und anderen Verzierungen. An der Kirche hielten sie an. Sie war aus dem gleichen Gestein gebaut und sah sehr alt aus.

      Hier also wohnt meine Tante, dachte Sean. Er hätte sie gern besucht, aber es war keine Zeit und außerdem bestand die Gefahr, dass sie seiner Familie von seinem Besuch berichtete.

      „Wo ist der Hafen? Ich sehe hier nur Häuser, Häuser, Häuser“, bemerkte Arthur schmollend.

      „Ich muss den Weg zum Meer verpasst haben. Am besten fragen wir jemanden.“

      Sean stieg ab und wandte sich an eine ältere Frau, die gerade mit einem Korb zu einem der Häuser ging.

      „Ihr müsst diesen Weg dort in die Richtung reiten. Bald könnt ihr dann den Hafen sehen.“

      Zur Unterstützung stellte sie den schweren Korb kurz ab und zeigte mit ihrer linken Hand in die von ihr beschriebene Richtung. Sean bedankte sich und kam wieder zu Arthur und Vika.

      Sie mussten länger reiten als sie dachten, der Hafen war ein ganzes Stück vom Ortskern entfernt. Doch dann konnten sie die ersten Segelmasten aufragen sehen.

      „Da, da sind Schiffe!“, rief Arthur aufgeregt. „Da müssen wir hin!“

      Sean beschleunigte sein Pferd, auch er konnte es kaum erwarten, endlich am Hafen zu sein. Die Bucht mit den Schiffen wurde größer und größer, so auch die Begeisterung der beiden Jungen. Am Hafen angekommen, bot sich ihnen ein überwältigender Anblick.

      „Sean! Hast du die Schiffe gesehen? Die sind ja riesig!“

      „Wie soll ich die übersehen?!“, antwortete Sean belustigt und schaute ehrfurchtsvoll an einem 60 Fuß19 hohen Mast hinauf.

      „Sie sind wunderschön.“

      Der Hafen bestand aus einem großen natürlichen Becken mit einem Kai für große Zwei- bis Drei-Mastschiffe und einer Menge Anlegestege für kleinere Einmaster und Fischerboote. Am Ende wurde die Durchfahrt zum offenen Meer durch einen Damm mit einem Leuchtturm darauf verengt.

      An diesem Morgen ankerten sieben große Schiffe an der Kaimauer und warteten darauf, dass sie beladen wurden. Armdicke Seile waren kunstvoll an den Pollern befestigt. Über Rampen gelangten die Seeleute mit ihrer Fracht auf dem Rücken auf die Schiffe und unbeladen wieder hinunter. Sean erinnerte das alles an einen Ameisenhaufen, den er einmal im Wald gesehen hatte. Die Berge der Ladung an Land wurden immer kleiner. Die Fässer und Säcke verschwanden über die Rücken der Männer-Ameisen im Bauch des