Moloch Unsterblich. Patricia Weiss. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patricia Weiss
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748592587
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mit den Löwenfüßen, zog die Beine auf das Polster und vergrub die nackten Füße unter einem Kissen. „Es ist schon sechs Uhr, so langsam fängt der Tag an. Selbst ein Sonntag.“ Der Versuch, den Jungen durch belanglose Konversation und einen Scherz aus der Reserve zu locken, misslang. Er wärmte die Finger an der Kaffeetasse und starrte ins Feuer.

      „Was ist passiert? Warum hast du im Park auf der Bank gelegen? Du bist doch kein Obdachloser, das sehe ich. Hattest du Ärger? Oder hast du Drogen genommen und nicht mehr nach Hause gefunden?“

      Die Wärme und der Kaffee hatten den Jungen wieder etwas aufgerichtet. Trotzdem schwammen in den blauen Augen immer noch Tränen, die er tapfer wegzuschlucken versuchte. „Danke, dass Sie mich mitgenommen haben. Es war verdammt kalt dort draußen. Hätte schiefgehen können.“

      Laura lachte trocken. „Das ist wohl wahr.“

      „Es stimmt, ich habe ein paar Bier getrunken. Und etwas geraucht.“

      „Im Park? Allein?“

      „Nein, bei einem Freund.“

      „Dann hast du es nicht mehr bis nach Hause geschafft.“ Laura war erleichtert, dass er keine Selbstmordabsichten gehabt hatte. Sonst hätte sie seine Eltern oder einen Notdienst informieren müssen. So konnte sie ihn einfach gehen lassen, wenn er sich wieder besser fühlte.

      „Ja. Nein. Ich wollte nachdenken. Und ich war ... durcheinander. Ich weiß auch nicht.“ Er beugte sich zu Friedi hinunter, streichelte über das Fell und eine Träne lief seine Wange hinab. Er biss sich auf die Lippen.

      „Liebeskummer?“, riet Laura das Erstbeste, was ihr in den Sinn kam.

      „Quatsch. Liebeskummer ist ein Scheiß.“ Er schob sich eine Strähne aus der Stirn und sie sah, dass seine Hand zitterte. „Es ist gestern Nacht etwas Schlimmes geschehen. Das werde ich nie wieder aus meinem Kopf kriegen. Ich weiß nicht, wie ich damit leben kann.“

      Laura wurde es unbehaglich. War er doch ein Selbstmörder? „Was ist passiert?“, fragte sie hart.

      „Das kann ich nicht sagen. Dann kriegt mein Kumpel echt Ärger. Und dann lässt er es mich büßen. Nein, das geht nicht.“ Er schüttelte heftig den Kopf und Kaffee schwappte aus seiner Tasse. „Oh, Entschuldigung!“

      „Macht nichts.“ Laura winkte ab. Nach Friedis Schmutzpfoten machte das auch keinen Unterschied mehr. Sie wohnte in der Wohnung, es war keine Möbelausstellung. „Was hat dein Freund getan? Gib mir wenigstens einen Hinweis. Handelt es sich um etwas Kriminelles? Eine Straftat?“

      Der Junge nickte unmerklich, sah zu Boden und hielt sich die Hand vors Gesicht.

      „Jetzt sag schon. Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich dich verpetze. Ich bin Detektivin, da ist Diskretion nicht nur Ehrensache, sondern gehört zu meinem Job.“

      „Detektivin?“ Er sah hoch. Zum ersten Mal zeigte er Interesse an ihrer Person. „Das hätte ich nicht gedacht.“

      „Warum? Weil ich eine Frau bin? Wir haben auch unsere Methoden.“ Sie zwinkerte ihm aufmunternd zu. „Los, was ist passiert?“

      „Ach, vielleicht war es ja gar nicht so schlimm. Ich hatte ja echt einiges geraucht. Da kann man sich schon mal Sachen einbilden.“

      „Los jetzt!“ Lauras Ton wurde unbarmherzig.

      „Also, wir waren bei meinem Kumpel. Er ist kein richtiger Freund. Ich kann ihn eigentlich nicht ab. Ein Lauch. Total toxic. Aber meine Bros und ich hängen zusammen mit ihm ab. Er hat ein cooles Haus. Mit Pool. Und gut gefüllter Bar. X verschiedene Ginsorten und son Zeug. Und seine Eltern sind fast nie zu Hause. Aber er baut ständig irgendeinen kranken Scheiß. So richtig. Als wäre er nicht ganz sauber im Kopf. Vielleicht kifft er einfach zu viel. Ich versuche, mich immer da rauszuhalten. Geht mich ja auch nichts an, was er macht. Aber gestern Abend ...“ Er stockte, schluckte hart und presste die Lippen aufeinander.

      Laura sah ihn unverwandt an.

      „Also gestern hatten wir ziemlich viel getrunken. Und noch mehr geraucht. Und er hat einen Dackel. So einen wie den hier.“ Er streichelte sanft über Friedis Rücken. „Er hat den Hund den ganzen Abend geärgert. Und wir haben gelacht. Dabei war es nicht lustig. Überhaupt nicht. Ich mag Hunde. Und ich habe auch gelacht. Obwohl ich es gar nicht wollte. Aber wenn man zu viel Gras geraucht hat, lacht man über alles.“ Wieder rollten die Tränen.

      Laura räusperte sich. „Ich verstehe. Und dann hat er dem Hund etwas Schlimmes angetan. Richtig?“

      „Ja.“ Der Junge nickte. „Er hat eine Weinflasche genommen ... und ... und ... sie kaputt geschlagen ... der Hund hat so geschrien ...“ Weiter kam er nicht, da er heftig würgen musste.

      Laura sprang auf, rannte in die Küche und kam mit einer Teigschüssel zurück.

      Doch der Junge winkte ab. „Geht schon wieder.“ Aber er sah käsebleich aus.

      „Ok, ich glaube, ich habe verstanden, was passiert ist.“ Laura war es auch ganz schlecht. Am liebsten hätte sie mit ihm geweint. Geweint um diese unschuldige, vertrauensvolle Kreatur, die zum Zeitvertreib von einem sadistischen Arschloch gequält worden war. In ihrem Beruf hatte sie viel zu sehen bekommen und war sogar selbst in die Hände eines Monsters geraten, das sie gefoltert hatte, nur um seinen Spaß zu haben. Die Erinnerung daran bereitete ihr schlaflose Nächte und machte es schwer, einfach nur den Alltag zu bewältigen. Doch Tierquälerei und Gewalt gegen Kinder waren für sie weit schlimmer. Diese Zerstörung von Vertrauen und Unschuld stand an der Spitze der Skala der Scheußlichkeiten, zu denen Menschen fähig waren. Solche Taten machten sie fassungslos und riefen unendliche Traurigkeit und rasende Wut in ihr hervor.

      „Ich muss nachdenken“, murmelte sie. Mehr zu sich selbst als zu ihrem Besucher.

      „Vielleicht geht es dem Hund ja gut?“ Seine Augen bettelten nach einer Lüge. Wie ein kleiner Junge, dem man sagen soll, dass alles wieder gut wird.

      Aber Laura fühlte sich nicht danach, ihm diesen Trost zu spenden. Er hatte zugesehen. Hatte nichts getan. Hatte nicht verhindert, dass die widerliche Tat vollzogen worden war. Hatte dem armen Hund nicht geholfen. Am liebsten hätte sie sich vor lauter Abscheu in die Schüssel übergeben. Stattdessen nahm sie einen tiefen Schluck abgekühlten Kaffee.

      „Du konntest nichts tun, um das zu verhindern?“ Sie versuchte, neutral zu klingen, kühl, beherrscht. Aber sie musste die Lippen zusammenpressen, um nicht loszuschreien.

      „Nein. Ich war stoned. Betrunken. Ich weiß auch nicht. Du kennst ihn nicht. Man kann ihn nicht aufhalten, wenn er sich etwas vorgenommen hat. Er ist völlig crazy. Der hätte das Gleiche mit mir angestellt.“

      „Du weißt, dass es mit dem Kerl nicht so weitergehen kann? Das war sicher nicht seine erste Schandtat.“ Sie schnaubte. Schandtat. Das Wort klang so harmlos, so überhaupt nicht angemessen. Schändung? Frevel? Ruchlosigkeit? Für manche Dinge gab es keine Bezeichnung, die ausreichte, um auch nur im Mindesten das Ausmaß des Abartigen wiederzugeben. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ballte die Hände zu Fäusten. „Und du weißt, dass es nicht seine letzte ... Schandtat ... sein wird.“

      „Ich weiß. Alle wissen es. Seine Eltern auch. Er hatte schon oft Ärger mit der Polizei. Muss sogar jede Menge Sozialstunden abbrummen. Wenn ich ihn jetzt verpetze, kriegt er garantiert Jugendknast. Der Richter hat ihm gesagt, dass es seine letzte Chance sei.“

      „Ich glaube, es wäre das Beste für ihn, wenn man ihn aus dem Verkehr zöge. Das Beste für alle. Für den Hund war es ein Desaster, dass man ihn nicht eingebuchtet hat.“

      „Ich weiß.“

      „Was machen wir jetzt?“

      Der Junge fuhr hoch, sah sie erschrocken an, zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Wir können nichts tun. Das sind Bonzen, total reich. Die Eltern kaufen jeden. Da kommt man nicht gegen an. Man kriegt nur jede Menge Ärger!“

      „Das werden wir ja sehen!“ Laura hob das Kinn und machte schmale Augen. „Wie heißt das Bürschchen? Den knöpfe