Moloch Unsterblich. Patricia Weiss. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patricia Weiss
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748592587
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und Hunde tollten über die Wiesen. Doch der Park hatte auch eine andere Seite: Gegen Abend wechselte das Publikum und Jugendliche belagerten die Bänke, um Drogen zu nehmen und Bier zu trinken. Und im Sommer hatte Lauras Assistentin Gilda hinter einem Busch sogar eine Leiche gefunden.

      Kein schöner Gedanke.

      Laura hätte es vorgezogen, an der Straße weiterzugehen, doch der Dackel zog sie zielstrebig in die Grünanlage. Die Wege schienen ihn nicht sonderlich zu interessieren, er steuerte quer über die Wiese auf ein Gebüsch zu. Laura holte mit klammen Fingern das Handy aus der Tasche und aktivierte die Taschenlampe. Der Lichtkegel war schmal und nicht besonders hell. Mehrmals strauchelte sie in dem unebenen Gelände und traf schließlich eine Entscheidung.

      „Friedi, warte.“ Sie zog den unwilligen Dackel zu sich heran und leinte ihn ab. Wedelnd verschwand er in der Dunkelheit. „Komm aber zurück, wenn ich dich rufe!“ Sie wusste, wie entlarvend hilflos das klang. Aber es brachte nichts, hinter dem Tier her durch das Gras zu stolpern.

      Wenige Meter vor sich hörte sie ihn durch die Büsche rascheln. Unbeholfen tastete sie sich mit den Füßen in seine Richtung vor, doch bevor sie ihn erreicht hatte, entfernte er sich wieder von ihr.

      „Friedi!“ Sie rief ihn nur leise, um die Anwohner in den benachbarten Häusern nicht zu wecken. Erwartungsgemäß hörte er nicht auf sie.

      Stattdessen schlug er an. Bellte wie rasend.

      „Friedi! Aus!“ So schnell wie möglich versuchte sie, zu ihm zu gelangen. „Sei ruhig!“ Ein Ast ratschte ihr durchs Gesicht, sie tauchte nach unten und schlug blind danach.

      „Verdammt noch mal, Friedi, sei still!“

      Endlich hatte sie ihn erreicht. Sie griff nach seinem Geschirr und hakte die Leine ein. Dann leuchtete sie mit der Taschenlampe die Umgebung ab. Vor ihr befand sich eine Bank, auf der etwas Dunkles lag. Sie ließ den Lichtstrahl darüber wandern: Beine, eine Hand, ein Kopf, der zur Seite gefallen war.

      „Oh mein Gott!“

      Ein Mann!

      War er tot?

      Er musste tot sein. Bei diesen Minusgraden konnte niemand auf einer Parkbank herumliegen, ohne zu erfrieren. Sie griff nach der Hand, prüfte, ob sie noch warm war. Aber natürlich war sie kalt. Ihre Eigene fühlte sich ja auch wie ein Eisklumpen an. Vorsichtig schob sie ihre Finger in den Kragen seiner Jacke, um nach einem Puls zu suchen.

      „Nein!“

      Sie schreckte zurück. Er lebte! Ein Glück. Aber vielleicht war er gefährlich? Wer bei diesen Temperaturen und zu der Uhrzeit hier herumlag, führte womöglich nichts Gutes im Schilde. Innerlich wappnete sie sich, jederzeit die Flucht anzutreten.

      „Sie können hier nicht liegen bleiben, es ist zu kalt!“ Sie griff seine Schultern und schüttelte ihn.

      „Lass mich in Ruhe!“ Er versuchte, sie wegzuschieben.

      „Jetzt kommen Sie schon!“ Laura ließ sich nicht abwimmeln. „Wo wohnen Sie? Sie können nicht hierbleiben. Soll ich jemanden anrufen?“

      „Nein!“

      Mit viel Mühe gelang es ihr, ihn aufzurichten, doch er sank sofort nach vorne.

      „Jetzt helfen Sie mir doch ein bisschen. So geht das nicht.“

      Plötzlich krampfte sein Körper sich zusammen, er erbrach sich. Direkt auf ihre Füße.

      „Scheiße!“ Sie sprang zur Seite, ohne ihn loszulassen. „Ich rufe die Polizei. Oder einen Krankenwagen.“

      „Nein!“ Seine Stimme klang verzweifelt, brüchig.

      Friedi stupste die Hand des Mannes an. Der schluchzte auf und fing an zu schniefen. „Nicht die Polizei. Sie dürfen nichts erfahren. Er bringt mich um! Was soll ich bloß tun?“

      „Ruhig.“ Laura überlegte, während sie abwesend seine Schulter tätschelte.

      Dann ließ sie den Lichtstrahl ihres Handys erneut über ihn wandern. Schmal, Daunenjacke, Jeans, Sneakers. Das war kein Mann. Jedenfalls noch kein richtiger. Er war vielleicht siebzehn, achtzehn Jahre alt. „Junge, was treibst du dich nachts im Park herum?“

      Sie erwartete keine Antwort und bekam auch keine.

      Der Lichtstrahl streifte den Dackel, der mit den Vorderpfoten mitten in der Lache aus Erbrochenem stand und wedelte.

      „Friedi, komm da raus.“ Sie zerrte den Hund zu sich. „Was soll ich denn mit dir machen?“ Sie hatte Mitleid mit dem Jungen. Wenn sie die Polizei rief, würde er sicher Ärger bekommen. Und bestimmt hatte er das auch verdient, sie brachte es trotzdem nicht übers Herz.

      „Kannst du laufen?“

      Er weinte weiter, ohne zu reagieren. Ihre Hand, die noch auf seiner Schulter lag, drückte sanft zu. „Hey, kannst du laufen, habe ich gefragt!“

      Zum ersten Mal schien er sie wahrzunehmen, das Schluchzen versiegte.

      „Du kannst erst mal mit zu mir kommen. Ich wohne nur ein paar Häuser weit weg. Da wärmst du dich auf, trinkst einen Kaffee und dann überlegen wir weiter. Ist das ein Vorschlag?“

      Im Licht der Handylampe nickte er.

      „Ist dir noch schlecht?“

      Er schüttelte den Kopf.

      „Gut, dann steh auf. Ich helfe dir. Stütz dich auf mich. Ich halte dich schon. Ich bin stärker, als ich aussehe.“ Sie versuchte, munter zu klingen. Auch, um sich selbst Mut zu machen. „Und tritt nicht in dein Erbrochenes“, fügte sie hinzu. Doch sie sah ein, dass das zu viel verlangt war.

      Der Weg zurück war mühsam. Nach anfänglicher Scheu hatte sie alle Zurückhaltung fahren lassen, sich seinen Arm um die Schultern gelegt und den eigenen Arm fest um seine Hüfte geschlungen. Zu ihrer großen Erleichterung trugen ihn seine Beine und er ließ sich widerstandslos mitführen.

      Nicht so der Dackel.

      Friedi hatte eine interessante Stelle entdeckt und war nicht bereit, mitzukommen. Und als sie ihn hinter sich her zerrte, änderte er die Taktik und lief kreuz und quer vor ihren Füßen her, sodass sie ständig über ihn stolperten. Als sie in den Vorgarten des Mietshauses einbogen, in dem sich ihr Apartment befand, war sie schweißgebadet.

      In der Wohnung angekommen, entledigte sie sich ihrer verschmutzten Stiefel und feuerte sie in die Ecke. Dann half sie dem Jungen aus seinen Sneakers und bugsierte ihn aufs Sofa.

      „So, du kannst dir die Decke nehmen. Soll ich den Kamin anmachen?“

      Ihr Besucher sah sich um, sein Blick wanderte über die Umzugskisten, die überall im Raum verteilt waren, und blieb am Kaminofen hängen, der in der Ecke stand.

      „Ok, ich nehme das mal als ein Ja.“

      Laura wohnte erst seit ein paar Wochen hier. Ein Einbrecher, der sich als sadistischer Stalker entpuppt hatte, hatte sie in der alten Wohnung heimgesucht und ihre Sachen durchwühlt. Auch wenn sie wusste, dass er ihr nichts mehr tun konnte, hatte sie sich dort nicht mehr sicher gefühlt und sich nach einer anderen Unterkunft umgesehen. Das neue Domizil lag nur wenige Schritte von ihrer Detektei entfernt, hatte Rheinblick und Kamin, da hatte sie nicht lange überlegt.

      Sie schichtete Holzscheite auf, gab ein paar Stücke Kaminanzünder dazu und entfachte das Feuer. Dann ging sie in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine an. Während das heiße Getränk in die Tasse lief, suchte sie die Schränke nach Keksen und Schokolade ab. Da sie nicht der gut organisierte Vorratstyp war, fanden sich nur eine geöffnete Tüte mit ein paar hart gewordenen Gummibärchen und das letzte Rippchen einer Nussschokolade. Besser als nichts.

      Als sie mit zwei Kaffeetassen zurück ins Wohnzimmer kam, bot sich ihr ein idyllisches Bild. Der junge Mann hatte sich auf den weichen Polstern des Sofas in eine Decke gewickelt, Friedi lag neben ihm und hatte den Kopf auf sein Bein gelegt. Im Kaminofen loderte das Feuer und verbreitete eine angenehme Wärme. Laura widerstand dem Impuls, den Hund von der Couch zu